Studie zur Keimbahntherapie: Genchirurgie für Embryonen
Amerikanische Forscher entfernen erstmals eine krank machende Erbanlage für Herzleiden aus befruchteten Eizellen.
Kann eine Genschere Krankheiten schon vor der Geburt verhindern? Einer neuen Studie zufolge könnte das eines Tages möglich sein. Die Rede ist vom Genskalpell Crispr/Cas9 (sprich: „Krisper“). Es schneidet gezielt Erbinformation aus dem Erbgut heraus. Erstmals in den USA zeigten nun Forscher, dass die Methode bei frühen menschlichen Embryonen funktioniert. Die Wissenschaftler entfernten aus dem Erbgut befruchteter Eizellen ein krank machendes Gen für ein Herzleiden, wie sie im Fachblatt „Nature“ berichten. Damit haben sie die Tür zur umstrittenen Keimbahntherapie aufgestoßen.
Die Forscher um den Embryologen Shoukhrat Mitalipov von der Oregon Health & Science University in Portland sind nicht die ersten, die menschliche Embryonen mit Hilfe von Crispr/Cas9 genetisch verändert haben. Seit 2015 wurden drei chinesische Studien zu diesem Thema veröffentlicht.
Die Chinesen legten vor, jetzt holen die USA auf
Die Ergebnisse waren bislang wenig überzeugend, die Resultate der Amerikaner sind nun wesentlich akkurater und rehabilitieren die Genschere Crispr/Cas9. So wurden tatsächlich alle Zellen der Embryonen genetisch verändert und zudem traten keine Mutationen an Stellen im embryonalen Erbgut auf, an denen dies nicht erwünscht war – beides Probleme, mit denen die Chinesen zu kämpfen hatten.
Mehr als 10 000 Ein-Gen-Krankheiten sind bekannt, bei denen Veränderungen (Mutationen) in einer einzigen Erbanlage die Ursache eines Leidens sind. Eines von ihnen ist das von den Wissenschaftlern untersuchte MYPBC3-Gen. Es führt in krankhaft veränderter Form zu einem zu starken Muskelwachstum der linken Herzkammer (Hypertrophie), was wiederum Pumpschwäche, Herzrhythmusstörungen und plötzlichen Herztod zur Folge haben kann.
Der Erfolg des Mitalipov-Teams basiert auf gründlichen Experimenten. Sie testeten die gegen die defekte Erbanlage gerichtete Genschere zunächst an Stammzellen, die sie aus dem Spendergewebe eines bereits schwer herzkranken Mannes mit mutiertem MYPBC3-Gen gewonnen hatten. Dann befruchteten sie gespendete Eizellen in der Petrischale mit den Spermien des Mannes.
Wie sich herausstellte, war neben der Art des Vorgehens das Reifungsstadium der Eizelle entscheidend für das Gelingen. Optimal für eine künstliche Befruchtung war eine als Metaphase II bezeichnete Phase der Eizellreifung. Zusätzlich zum Spenderspermium des kranken Mannes wurde die Genschere und eine intakte „markierte“ Form des MYPBC3-Gens in die Eizelle gespritzt.
Crispr/Cas9 besteht aus zwei Komponenten: dem „Suchmolekül“ Crispr, das exakt jene Stelle im Erbmolekül aufspürt, die geschnitten werden soll, sowie der eigentlichen Genschere Cas9, einem Eiweiß.
Scharfe Genschere: Die Reparatur war effektiver als gedacht
Das Gespann leistete in den befruchteten Eizellen hervorragende Arbeit. In den 58 künstlich erzeugten Embryonen (sie wurden drei Tage nach der Befruchtung aufgelöst und genau analysiert) war sämtlich das defekte „Herz-Gen“ nicht mehr existent. An seiner Stelle war in 42 Fällen das intakte Gen im väterlichen Erbgut vorhanden, eine perfekte Reparatur. In 41 Fällen glich das Baumuster dem im mütterlichen Genom, in einem Fall stammte es von dem „markierten“ Erbmerkmal, das zusätzlich zur Genschere ins Ei injiziert worden war. In den restlichen 16 Fällen glückte der Eingriff nicht. Das von der Genschere erzeugte „Loch“ im Erbgut war nur unzureichend geflickt worden.
Insgesamt kann kann man von einer Erfolgsrate von rund 72 Prozent sprechen (42 von 58 Embryonen waren erfolgreich „korrigiert“ worden). Bei der bisher bei solchen Krankheiten praktizierten Präimplantationsdiagnostik – bei der der Frau nur genetisch intakte Embryonen eingepflanzt werden – liegt die Rate bei 50 Prozent. Und so argumentieren die Forscher, dass ihr Vorgehen eines Tages die Chancen erhöhen kann, dass in Familien mit Erbkrankheiten gesunde Kinder zur Welt kommen.
Eine Keimbahntherapie wäre irreversibel
Allerdings ist der Weg bis zum ersten genetisch veränderten Menschen noch weit, sofern er überhaupt gegangen wird. Zum einen muss das Vorgehen der Wissenschaftler von anderen Forschern erfolgreich wiederholt und womöglich verfeinert werden. Zum anderen gibt es erheblichen Widerstand gegen genetische Veränderungen von Embryonen. Eine solche Keimbahntherapie prägt den Organismus für ein ganzes Leben und wird an die kommenden Generationen vererbt.
Shoukhrat Mitalipov, dem Kopf hinter der „Nature“-Studie, ist das natürlich bewusst. Immer wieder hat er mit spektakulären Experimenten die bioethisch Besorgten herausgefordert und provoziert. So klonte er 2013 menschliche Embryonen aus Hautzellen, um aus ihnen Stammzellen zu gewinnen. In den USA, wo der gebürtige Kasache seit 1995 forscht (nach einer kurzen Episode an der Universität Münster), hat der Kongress verboten, dass Bundesmittel für Forschung verwendet werden, bei der Embryonen zerstört werden.
Amerikanische Wissenschaftler wollen den ersten Schritt tun
Anfang des Jahres hat die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA dafür plädiert, in engem Rahmen die Keimbahntherapie zu erproben. Nämlich dann, wenn sie der einzige Weg für Eltern sei, ein gesundes Kind zu bekommen. Genetische Verbesserungen wie etwa höhere Intelligenz sollen jedoch tabu bleiben. Der Kongress reagierte mit einer Anweisung an die Zulassungsbehörde FDA, entsprechende Anträge für klinische Versuche abzulehnen.
In Deutschland (wie auch in Österreich und der Schweiz) wäre Forschung wie die von Mitalipov verboten. Sie verstößt gegen das Embryonenschutzgesetz, nach dem Embryonen nicht zum Zwecke der Forschung erzeugt werden dürfen. Allerdings haben Wissenschaftler der Nationalen Akademie Leopoldina im März einen Vorstoß unternommen, um das Gesetz zu lockern. Forschung mit überzähligen Embryonen solle erlaubt werden, fordern sie. Eingriffe in die Keimbahn dagegen sollten weiterhin unterbleiben.
Hartmut Wewetzer