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Im "Radialsystem V" in der Holzmarktstraße in Friedrichshain war zur "Falling Walls"-Konferenz jeder Platz besetzt. Gerade spricht Kevin Esvelt, Erfinder der Gene-Drive-Technologie.
© Florian Gaertner/photothek/Falli

"Falling Walls"-Konferenz in Berlin: Gemeinsam Grenzen überwinden

Im zehnten Jahr stellen Spitzenforscher aus aller Welt am Tag des Mauerfalls ihre visionäre Forschung vor. Auch dieses Mal war Spektakuläres dabei.

Der 9. November ist wohl das bedeutendste Datum der deutschen Geschichte: Novemberrevolution 1918, Novemberpogrome 1938, friedliche Revolution 1989. Ein vergleichsweise kleines, diese positive Bezeichnung aber unzweifelhaft verdienendes, „Jubiläum“ wurde am Freitag auch im Radialsystem begangen: die zehnte „Falling Walls Konferenz“.

Ein voller Saal voller Ideen

Vor einem Saal, gepackt voll mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Unternehmern, Personen aus Politik und öffentlichem Leben, Kommunikatoren und anderen, stellten Forscher Projekte und Ideen vor, mit denen sie im übertragenen Sinne Mauern einreißen wollen. Diese gingen von Hirnforschung über Nachhaltigkeit, Gentechnik, Big Data und künstliche Intelligenz bis hin zur Weltraumerkundung. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek mahnte in ihrer Rede einen „kulturellen Wandel“ an, der mit dem technologischen einhergehen müsse, wolle man eine freiheitliche und pluralistische Gesellschaft erhalten. Dafür müsse man „Menschen auch vielfältige Erfahrungen gönnen“.

Emotionale Ansprache

Die Bundesregierung ist einer der wichtigsten Förderer der Konferenz. Jürgen Mlynek, Präsident der Falling-Walls-Stiftung, sagte, er vertraue „in Gott und das Ministerium“, dass sie auch jenseits dieses zehnten Mals weiterhin möglich sein werde. Dass die Konferenz mehr als nur ein weiteres cooles Berliner Event voller schlauer Leute ist, sondern im Kontinuum jener anderen Novemberereignisse steht, zeigte auch die Ansprache ihres Erfinders, Tagesspiegel-Herausgeber Sebastian Turner. Ihm stockte die Stimme, als er Nachfahren von Verfolgten des Naziregimes begrüßte. Mauern zum Fallen zu bringen und neue zu verhindern, ist gerade in Berlin eben nicht nur ein Slogan, sondern eine – technologische und kulturelle – Aufgabe.

Im Folgenden stellen wir drei Themen der Konferenz vor:

Mini-Hirne aus dem Reagenzglas

"Wenn ich Sie bitte, mir ein Stück Ihres Gehirns zu geben, damit ich sehen kann, wie es funktioniert, würden Sie zustimmen?", fragte die Harvard-Professorin Paola Arlotta. Die Antwort ist einer der Gründe, warum wir immer noch so wenig über unser eigenes Denkorgan wissen. Arlotta erforscht, wie psychische Krankheiten entstehen: Autismus, Depression, Schizophrenie. Zwar kennt man die Gene, die an diesen Störungen beteiligt sind, aber was ihre Veränderungen im Hirn bewirken, wusste man bisher nicht – man konnte es einfach nicht an echtem Gewebe untersuchen. Für dieses große Problem hat Arlotta eine kleine Lösung entwickelt: Hirn-Organoide, Mini-Denkapparate aus der Petrischale. Aus menschlichen Stammzellen einer einzigen Blutprobe könne sie hunderte davon in einer Nährlösung heranwachsen lassen. Zwar werden sie bisher nur fünf Millimeter groß, sind aber ausgestattet mit allen Zellen, die sich auch in einem echten Organ vernetzen. Erstmals können Forscher damit live beobachten, wie ein menschliches Hirn entsteht. Und damit vielleicht bald besser verstehen, warum jemand krank wird – auch ohne ein Stück eigenes Hirn herzugeben.

Trau keinem außer dir selbst

Die Amsterdamer Politologin Stefania Milan entschuldigte sich gleich im Voraus: "Sorry, dass ich so viele schlechte Nachrichten habe." Tatsächlich breitete sie eine dystopische Welt aus, in der die Daten regieren. Das Smartphone? "Die beste Überwachungsmaschine, die je erfunden wurde." Soziale Medien? "Wir werden fremdgesteuert" – Bots und Algorithmen sind schuld. Und dann sind da die großen Tech-Firmen: "Was die Stasi über die DDR-Bürger wusste, ist vergleichbar mit dem, was Google über uns wissen könnte." – Nun mag das bekannte Kritik sein. Milan verband sie aber mit einer kleinen Demonstration, dass ein Publikum wie das der "Falling Walls"- Konferenz vielleicht nicht ganz so aufgeklärt ist, wie es von sich denken würde. Sie bat die Zuschauer, sich mit einem von ihr vorgegebenen Wlan-Netz zu verbinden. Das taten denn auch viele brav. Kurz darauf präsentierte Milan einen Datenstream, den sie aus dem Netz ziehen konnte. Die Lehre daraus, so Milan: "Seid misstrauisch!" Und: "Traut nur eurem gesunden Menschenverstand."

Aus Müll Gold machen

Brennende Handys und Mainboards auf riesigen Müllhalden, überall Kinder die den schwarzen Rauch einatmen. An diese Bilder aus ihrer Kindheit in Mumbai erinnert sich Veena Sahajwalla immer noch. Heute ist sie Professorin an der Universität von New South Wales in Australien. Dort hat sie "Mikrofabriken" entwickelt, wo komplexe elektronische Produkte recycelt werden können. Roboter trennen Glas, Plastik und Leiterplatten voneinander. Durch Anwendung bestimmter Temperaturen gelingt es, die einzelnen Metalle aus den Mainboards zu extrahieren und sogar zu Legierungen zu verbinden. Aus der übrigen Plastik mache man Filamente, die sich als Material für 3D-Drucker eignen. Weltweit fallen pro Jahr 50 Millionen Tonnen Elektroschrott an.

"Wir müssen Müll als Ressource begreifen, nicht als Last", sagte Sahajwalla. Die erste Mikrofabrik ist seit April dieses Jahres in Sydney in Betrieb, bald sollen weitere in aller Welt folgen. Jede Fabrik ist modular aufgebaut und benötigt nur 50 Quadratmeter Fläche. Müll zu sehen und etwas neues daraus zu machen sei das Wichtigste, betonte auch Sahajwallas Vorredner Steve Evans von der Uni Cambridge, bevor er eine verstörende Zahl nannte: Nur ein Prozent des weltweit an- oder abgebauten Materials wird nach sechs Wochen noch benutzt: "Zeit das zu ändern."

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