Biomedizin: Mäuse, Menschen und Modelle
Bei einem Symposium am Systembiologie-Institut BIMSB ging es um Genregulation und die Rolle des Computers in der Forschung.
Die Maus als Versuchstier ist nach wie vor einer der wichtigsten Helfer in der biologischen Forschung. Auf einer Abbildung, die Nikolaus Rajewsky, Leiter der Arbeitsgruppe „Systembiologie von genregulatorischen Elementen“ am Berliner Max-Delbrück-Centrum (MDC), während seines Vortrags zeigte, waren allerdings zwei Mäuse zu sehen: eine echte und eine Computermaus. Rajewsky sprach beim elften, diesmal etwas verspäteten, „Sommer-Meeting“ zu Fragen der Genregulation. Rajewsky ist zugleich wissenschaftlicher Leiter des Berlin Institute for Medical Systems Biology im MDC. Es feierte bei dieser Gelegenheit zehnten Geburtstag und den bevorstehenden Umzug in ein neues Forschungs- und Laborgebäude auf dem historischen Gelände des Campus Nord der Humboldt Universität in der Hannoverschen Straße in Mitte.
Zebrafische
Das Institut, kurz BIMSB, mit seinen 17 Arbeitsgruppen, strebe eine Balance zwischen Forschung im Labor und der Arbeit mit Computermodellen an, so Rajewsky. Die Verschmelzung computerbasierter Modelle mit experimentellen Methoden sei eine besondere Stärke des BIMSB.
Die doppelte Maus ist für diese Kombination aus Laptop und Labor nur ein Sinnbild. So berichtete Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard auf dem Symposium über ihre Forschungen, bei denen der Zebrafisch, dessen enge Verwandte und die Genschere CRISPR/Cas9 tragende Rollen spielen. Eine neue Technik ermöglicht es ihrer Arbeitsgruppe am Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen, den genetischen Ursachen für Unterschiede in der Farbgebung dieser Fische im Detail nachzugehen. Drei Zelltypen - Xanthophores, Iridophores und Melanophores genannt, sind im Einsatz, um den Fischen die charakteristischen Streifen zu verleihen. Der Mensch dagegen hat wie alle Säugetiere nur einen Zelltyp dafür, die Melanozyten. „Farbmustern nachzugehen ist keine Esoterik, sie haben nützliche Funktionen als Signale in der Kommunikation“, sagte die Biologin.
Fliegen
Die weit unscheinbarere Taufliege Drosophila fehlte natürlich auch nicht, denn sie fehlt eigentlich nie auf Tagungen von Biologen, die sich mit Genen und deren Regulation befassen. Jürgen Knoblich hat die meiste Zeit seines Forscherlebens mit diesen Tieren verbracht. Er geht am Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in Wien der Frage nach, wie Krankheiten im menschlichen Gehirn entstehen.
Genomweite Analysen bei Drosophila hätten ihm dabei geholfen, sagt er. „Erst als ich einige Zusammenhänge bei der Fliege verstanden zu haben glaubte, habe ich mich den Mäusen zugewandt.“ Um zu verstehen, wo neurologische Erkrankungen ihren Ursprung nehmen, reiche das Modell Maus aber auch nicht aus. Vor allem der hartnäckigen Arbeit der Nachwuchs-Wissenschaftlerin Madeline Lancester aus Knoblichs Arbeitsgruppe ist es zu verdanken, dass eine neue Option ins Spiel kam: induzierte menschliche pluripotente Stammzellen (iPS). Hier werden Zellen im Labor so manipuliert, dass sie sich ähnlich wie Embryozellen zu praktisch allen Geweben entwickeln können. Die Wiener züchten aus ihnen dreidimensionale organähnliche Gebilde. In diesen „Organoiden“ bilden sich frühe Stadien verschiedener Hirnregionen aus. Sie erlauben es, viele Entwicklungsprozesse des menschlichen Gehirns im Experiment nachzuvollziehen. Wenn man von erkrankten Personen gewonnene iPS gewinnen kann, so die Überlegung der Wissenschaftler, sollte es möglich sein, die Entstehung der Krankheit zu rekapitulieren. Inzwischen wurde das Verfahren weiter verfeinert, in der Fachzeitschrift „Nature Methods“ berichteten Knoblich und seine Kollegen kürzlich darüber.
Organoide
Das erste Anwendungsfeld fanden sie in der Mikroenzephalie. Bei dieser Erkrankung kommen Kinder – etwa aufgrund von chromosomalen Besonderheiten oder Infektionen (bekannt sind etwa solche durch das Zika-Virus) während der Schwangerschaft – mit zu kleinem Kopf und kognitiven Einschränkungen auf die Welt. Die Forscher fanden heraus, dass hier ein Schritt bei der Entwicklung von Nervenzellen verfrüht abläuft und mit dem Verlust eines bestimmten Proteins einhergeht. „Jetzt können wir fragen, ob wirklich dieses Gen für die Entwicklung verantwortlich ist“, sagt Knoblich.
Es gehe in der Wissenschaft zunächst darum, die Welt zu verstehen, betont der Molekularbiologe. „Sie ist nicht allein daran zu messen, welche Hoffnungen auf Heilung sich mit ihr verbinden.“ Allerdings versuchen Knoblich und seine Mitarbeiter mit ihren Gehirn-Nachbauten auch die Entstehung neurologischer Erkrankungen besser verstehen zu lernen. Dazu gehören Hirntumoren, die etwa in Mäusen nicht gut zu erforschen sind und für die dringend neue Behandlungswege gesucht werden. Wiederum sollen Organoide aus den Stammzellen Erkrankter den Forschern helfen, die Entstehung des Tumors, seinen Anschluss an die Blutversorgung und die typischen und auch therapeutisch möglicherweise nutzbaren Stoffwechselveränderungen zu verstehen.
Die organähnlichen Gebilde können zudem eingesetzt werden, um Wirkstoffe zu testen. Man hoffe, anhand besonderer Kombinationen von Mutationen im Tumor, den Effekt der Behandlung vorhersagen zu können, sagte Knoblich. „Und man kann auf diesem Weg auch gleichsam verrückte Behandlungsmethoden austesten, die nicht auf der Hand liegen." Man könne schlicht Risiken eingehen, ohne Menschen zu schaden. Derzeit wird mithilfe der Organoide etwa die Wirkung einiger Viren getestet, von denen bekannt ist, dass sie Krebs bekämpfen können.
Ob es irgendwann möglich sein wird, anhand der Organoide auch zu untersuchen, was beim Denken im Kopf passiert, das wird Knoblich immer wieder gefragt. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel verneint er entschieden: Hier stoße man an fundamentale Barrieren. Das bedaure er allerdings nicht: „Dass ich mich mit den ethischen Fragen, die aufgeworfen würden, wenn man mit unserer Methode kognitive Prozesse untersuchen könnte, nicht beschäftigen muss, ist ausgesprochen erleichternd."
Adelheid Müller-Lissner