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Rettender Stich. Als sich 2014 in Westafrika Ebola-Viren verbreiteten, konnte die Weltgesundheitsorganisation einen neuen Impfstoff gegen die Seuche noch nicht einsetzen. Im Kongo haben die Impfungen wohl tausende Menschenleben gerettet.
© Jerome Delay/AP/dpa

Neuinfektionen mit Ebola gehen zurück: „Für Entwarnung ist es zu früh“

Im Kampf gegen die zweitgrößte Ebola-Epidemie aller Zeiten gibt es gute Nachrichten. Unter Kontrolle ist die Seuche aber noch nicht, sagt WHO-Experte Mike Ryan.

Seit Juli 2018 sind in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) mehr als 2100 Menschen an Ebola gestorben, mindestens 3200 haben sich infiziert. Im Juli hat die Weltgesundheitsorganisation WHO den internationalen Gesundheitsnotstand ausgerufen. Doch seit einigen Wochen zählen die Helfer weniger Neuinfektionen, wie auf dem World Health Summit zu hören war, der bis Dienstag in Berlin stattfand. Ist die Gefahr gebannt?
Das zu sagen, wäre zu früh. Es ist uns in der Tat gelungen, das Virus auf eine kleinere Zone zu beschränken als noch vor einigen Monaten. Und vor allem haben wir es aus den dicht besiedelten Regionen vertrieben. Die Gefahr war groß, dass sich die Viren dort verbreiten und in andere Länder außerhalb der DRC verschleppt werden. Jetzt sind die Infektionen auf Nord-Kivu beschränkt, wo die Seuche vermutlich begann. Allerdings ist das eine ländliche, sehr schwer zugängliche Gegend, in der es gewaltsame Auseinandersetzungen gibt und die Bevölkerung gegenüber jeder Art von Fremden misstrauisch ist. Dort gegen Ebola vorzugehen, ist eine Herausforderung, wie die Zahlen zeigen: Mehr als die Hälfte der Neuinfektionen in den vergangenen drei Wochen kamen aus dieser Region. Außerdem haben wir es noch immer mit zehn oder mehr verschiedenen Übertragungsketten zu tun. Wir müssen also noch immer wachsam sein. Das bedeutet, das Virus in den Regionen, in denen es noch zirkuliert, unter Druck zu setzen und dort, wo es verschwunden ist, vorbereitet zu bleiben, sollte es zurückkommen. Für Entwarnung ist es zu früh.

Was macht es so schwierig, die Seuche in der DRC zu kontrollieren?
In dem Land überlagern sich mehrere Krisen. Wir haben den Ebola-Ausbruch, aber auch den schon lange andauernden Bürgerkrieg. Und zum ersten Mal seit fünfzig Jahren gibt es eine neue Regierung. Das ist eine sehr toxische Mischung und eine so gefährliche Situation , dass viele Institutionen es nicht verantworten können, ihre Mitarbeiter dorthin zu schicken.

Wo wäre die Epidemie heute, gäbe es den Ebola-Impfstoff rVSV-ZEBOV noch nicht?
Das lässt sich wissenschaftlich natürlich nicht genau sagen, aber wir haben mit Forschungsgruppen zusammengearbeitet, die den Verlauf der Epidemie mit und ohne Impfung mehrfach modelliert haben. Und das Ergebnis ist klar: Wir haben mit den Impfungen wahrscheinlich zwei Drittel der Infektionen verhindert. Der Ausbruch hätte drei bis vier Mal schlimmer ausfallen können.

So wie bei der Epidemie 2014 bis 2016 in Westafrika?
Vergleichbar schlimm.

Die WHO ist kritisiert worden, den Impfstoff nicht häufiger eingesetzt zu haben.
Wir entscheiden auf Basis wissenschaftlicher Fakten und in Rücksprache mit vielen unabhängigen Wissenschaftlern. Dazu zählt etwa die Erfahrung mit der Ausrottung der Pocken. Massenimpfungen führten damals nicht zum Ziel. Es wurde erst erreicht, als die WHO zur Ringvakzinierung wechselte.

Also die Kontaktpersonen von Infizierten und deren Kontakte zu finden und zu impfen…
Wir lernten damals, dass es für die Bekämpfung eines Virus essentiell ist zu wissen, wie es sich in der Bevölkerung verbreitet. In der allgemeinen Bevölkerung kann man mit einer Massenimpfung während eines Ausbruchs bestenfalls 80 Prozent erreichen. Aber das sind nicht unbedingt diejenigen, die ein besonders hohes Infektionsrisiko haben. Doch unter den 20 Prozent kann es viele mit hohem Infektionsrisiko geben, also Kontaktpersonen von Infizierten. Das heißt, man impft sehr viele Menschen ohne Infektionsrisiko, verpasst aber zu viele mit einem hohen. Im Kongo hatten wir in den betroffenen Regionen etwas mehr als 3000 Ebola-Infizierte, die Bevölkerungszahl dort liegt aber bei drei Millionen. In allen Impf-Szenarien, die wir durchgespielt haben, ist Ringvakzinierung immer effektiver als Massenimpfung. Außerdem verbraucht man wesentlich weniger Impfstoff – und das ist vor allem wichtig, weil es sich ja um einen experimentellen, noch nicht zugelassenen Impfstoff handelt. Wir waren und sind also gehalten, Informationen über die Gesundheit der Geimpften zu sammeln.

Die WHO hat etwa 250.000 Menschen mit der Ebola-Vakzine geimpft, und Informationen gesammelt, mit denen die Europäische Zulassungsbehörde für die Zulassung von rVSV-Zebov entschieden hat. Lassen sich in einem Land, das eine Seuche und bewaffnete Konflikte durchmacht, valide Forschungsdaten sammeln?
Es ist eine große Herausforderung. Trotzdem haben wir es geschafft. Und das gilt nicht nur für den Impfstoff, sondern auch für neue Medikamente gegen Ebola.

Der Arzt und Public-Health-Experte Michael Ryan leitet das WHO-Programm für Gesundheitsnotfälle und bekämpft in dieser Funktion Ebola-Ausbrüche bereits seit 1996.
Der Arzt und Public-Health-Experte Michael Ryan leitet das WHO-Programm für Gesundheitsnotfälle und bekämpft in dieser Funktion Ebola-Ausbrüche bereits seit 1996.
© WHO

Aber wie effektiv sind diese Antikörper wirklich? 67 Prozent der Infizierten sind gestorben, die gleiche Sterberate wie in der 2014er Epidemie.
Das stimmt. Aber die Patienten, die schon kurz nach der Infektion in ein Behandlungszentrum kommen, überleben zu 90 Prozent. Und von allen, die es in die Behandlungszentren schaffen, überleben zwei Drittel. Es ist eine der großen Tragödien dieser Epidemie, dass viele so lange in ihren Dörfern bleiben – aus Angst oder Misstrauen gegenüber den Behandlungszentren – bis es zu spät ist.

Kann man sich also entspannt zurücklehnen, jetzt wo es Impfstoff und Medikamente gegen Ebola gibt?
Nun, wir haben einen Impfstoff gegen einen Stamm von Ebola-Viren, Ebola-Zaire. Es gibt keine Garantie, dass er auch gegen Ebola-Sudan oder andere Varianten wirkt. Es gibt noch eine Menge anderer Viren da draußen.

Wird man Ausbrüche von Ebola oder ähnlichen Viren je komplett verhindern können?
Die Viren kommen aus Wirtsorganismen, etwa Flughunde oder Affen, wir werden das absolute Risiko also nie völlig ausschließen können. Aber wir können das biologische System besser verstehen. Die Überwachung von Viren sollte nicht nur den Menschen, sondern auch Tiere umfassen. Wir brauchen einen „OneHealth“-Ansatz, der sowohl die Gesundheit der Umwelt als auch Tiere und Menschen berücksichtigt. Wenn wir Menschen schützen wollen, dann müssen wir die neuen Krankheiten kennen, die auf den Menschen überspringen könnten. Eines der effektivsten Frühwarnsysteme in Gabun waren Wildhüter, die ungewöhnliche Todesfälle bei Primaten beobachteten. Außerdem gibt es Impfstoffkandidaten, die gegen mehrere Ebolavarianten wirksam sind und mit mehreren Impfdosen hoffentlich längeren Schutz vor mehreren Ebolavarianten verschaffen. Damit könnten wir Ärzte und Pfleger vor Ebola schützen und damit die anfängliche Verbreitung von Ebola verhindern helfen. Denn diese Epidemie begann zwar in einer ländlichen Region, erreichte mit einem Patienten aber ein Krankenhaus und verbreitete sich dann von dort aus weiter. So wichtig Gesundheitszentren im Kampf gegen Krankheiten sind, manchmal sind sie auch der wunde Punkt. Verhindern werden wir Ausbrüche also nie, aber ich bin optimistisch, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Ära der Ebolakontrolle stehe.

2014 hat die WHO lange gezögert, den internationalen Gesundheitsnotstand auszurufen. Hat es geholfen, dass die Entscheidung diesmal schneller fiel?
Unbedingt. Eine der Lehren aus der Epidemie 2014 war, schneller Kapazitäten vor Ort aufzubauen. Das klingt allerdings einfacher als es ist. Wir hatten Schwierigkeiten damit, dass es vor dem Ebola-Ausbruch praktisch keinerlei humanitäre Hilfe in der Region gegeben hatte. Die Bevölkerung fragte, warum es gegen Ebola eine Hilfsaktion gab, nicht aber als ihre Kinder in den Massakern der regionalen Konflikte umgebracht wurden. Die Ebola-Intervention stellte die internationale Gemeinschaft bloß: Dass sie verdammt viel tun kann, wenn sie nur will, dass die humanitären Bedürfnisse der Bevölkerung aber wohl nicht weit oben auf der Prioritätenliste standen, sondern erst, als Ebola ausbrach.

Sie leiten die akuten Hilfseinsätze der WHO gegen Ebola seit 1996, wissen aber, dass es vor allem kontinuierliche Unterstützung der Gesundheitssysteme bräuchte, um die Länder gegen Ebola zu wappnen. Ist das nicht frustrierend?
Zunächst einmal sind wir dankbar für die Unterstützung, die wir bekommen, um schnell gegen Ebola vorgehen zu können – insbesondere für die technische und finanzielle Hilfe Deutschlands. Aber natürlich wissen wir, dass die beste Antwort auf solche Epidemien ist, vorbereitet zu sein. Das Problem ist, dass es einfacher ist, Geld für akute Hilfe zu bekommen, als die generelle Widerstandfähigkeit der Länder gegen solche Epidemien zu fördern. Jede Regierung hat eine ureigene Verantwortung, ihre Bevölkerung auf solche Fälle vorzubereiten. Aber viele Regierungen sind sehr schwach. Lassen wir solche Länder mit ihren schwachen Gesundheitssystemen allein, dann werden diese Ausbrüche häufiger vorkommen und auch ihren Weg in den Westen und Norden finden. Für die reicheren Länder gibt es also zwei gute Gründe in eine bessere Widerstandskraft dieser Länder zu investieren: Erstens ist es das Richtige, humanitär zu handeln. Es ist aber auch intelligent, weil es eine Investition in globale Sicherheit ist und hilft, diese Krankheiten dort einzudämmen, wo sie ausbrechen.

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