Scholars at Risk: Frei forschen, lehren und leben
Sie machte sich für die Rechte von Frauen stark und musste ins Gefängnis: Die Historikerin Fatemeh Masjedi hat durch das Programm Scholars at Risk in Berlin Fuß gefasst.
Die Angriffe geschahen mitten am Tag: Säureattacken auf Frauen im iranischen Isfahan machten zuletzt im Oktober 2014 Schlagzeilen. Berichtet wurde von Motorradfahrern, die Autofahrerinnen durch das geöffnete Fenster Säure ins Gesicht kippten. Manche Frauen erblindeten, für andere gingen solche Angriffe sogar tödlich aus. Was die Täter antrieb, ist nicht genau belegt. Vermutet wird, dass die Frauen in ihren Augen nicht ausreichend bekleidet waren, also etwa keinen langen Mantel trugen.
Fatemeh Masjedi verfolgt diese Nachrichten aus ihrer Heimat genau. Sie begrüßt es, dass sich trotzdem viele Frauen den strengen Kleidervorschriften widersetzen. Doch dies sei nur eine Diskriminierung unter vielen, die Frauen im Iran erleben. Fatemeh Masjedi ist Historikerin und Politikwissenschaftlerin und schreibt seit 2011 an der Freien Universität und am Zentrum Moderner Orient (ZMO) in Berlin ihre Dissertation bei der Islamwissenschaftlerin Professorin Ulrike Freitag.
Die Zusage für das Dissertationsprojekt erhielt sie bereits 2010. Pünktlich antreten konnte sie die Stelle jedoch nicht: Wegen ihres Engagements für eine Frauenrechtsinitiative war sie im Iran für sechs Monate inhaftiert. Ihr Glück im Unglück: Die Haftstrafe für „Propaganda gegen das islamische System“ wurde in Masjedis Fall nachträglich um die Hälfte verkürzt, da sie vorher nicht auffällig geworden war.
Frei im Iran forschen, lehren und leben kann sie seitdem dennoch nicht mehr. Masjedi bewarb sich bei Scholars at Risk, einem internationalen Netzwerk, das sich weltweit für verfolgte Wissenschaftler einsetzt und dem die Freie Universität 2012 als erste deutsche Universität beigetreten ist. Dank der Vereinigung kann sie ihre verspätet begonnene Doktorarbeit als Stipendiatin nun in Deutschland zu Ende bringen.
Die Unterdrückung beginnt bereits in der Schule
Fatemeh Masjedis Schilderungen zeigen: Die Benachteiligung von Iranerinnen im Alltag findet wenig öffentliche Beachtung, anders als es bei Säureangriffen auf offener Straße der Fall ist. Die Unterdrückung beginne zudem bereits bei Kindern, etwa durch die Prügelstrafe in der Schule.
Sich selbst sieht Masjedi als privilegiert: Nach einem Geschichtsstudium in Teheran absolvierte sie einen Masterabschluss in Politikwissenschaft an der Illinois State University in den USA. Doch als sie 2006 nach Jahren erstmals wieder in ihre Heimatstadt Qom zurückkehrte, wurde ihr die Lage anderer Frauen bewusst: Ihnen fehlen Perspektiven, nicht nur in beruflicher Hinsicht, obwohl die Frauen oft sehr gut ausgebildet sind. „Qom ist selbst für iranische Verhältnisse sehr konservativ, von religiösen Hardlinern geprägt und gesellschaftlich geschlossen“, erläutert die Forscherin.
Immer wieder hörte sie von Gewalttaten gegen Frauen und schloss sich im selben Jahr der noch jungen „One Million Signature“-Kampagne an: einer Initiative für die Gleichstellung von Männern und Frauen, angetrieben von Intellektuellen in mehr als 30 Städten und eine der Vorläuferinnen der „Grünen Bewegung“. Ziel war es, eine Million Menschen zum Unterschreiben einer Petition zur Gleichstellung zu bewegen.
„Noch wichtiger war uns aber, Frauen etwa bei Workshops über ihre Rechte aufzuklären und Wege in die finanzielle Unabhängigkeit aufzuzeigen“, sagt Masjedi. Zunächst setzte die Initiative auf Kontakte und Mundpropaganda und mied die Aufmerksamkeit der Medien. Die lokalen Behörden bekamen so anfangs nichts mit.
Die Haftstrafe hat ihr Privatleben zerstört
Doch als sich Masjedi und ihre Mitstreiterinnen für eine minderjährige Schwangere stark machten, die von ihrer Familie zur Abtreibung gezwungen wurde, geraten die Frauen zunehmend in Konflikt mit Justiz und Sicherheitsbehörden. Vor allem Fatemeh Masjedi wird wegen ihrer Verbindungen in die USA misstrauisch beäugt. Für zwölf Tage nimmt die Polizei sie in Gewahrsam, bevor das Urteil zur Haftstrafe ergeht.
Die Universität darf sie nicht mehr betreten. Auch ihr damaliger Partner wird festgenommen, weigert sich jedoch, über sie auszusagen. Druck üben die Behörden auch auf die Familie der Wissenschaftlerin aus, die deren „wilde Ehe“ toleriert.
Mit der Härte des Lebens im Gefängnis habe sie gerechnet, sagt die Forscherin. Nicht aber mit den Folgen für ihr Privatleben: die Beziehung zu ihrem Freund zerbricht, ihre Familie sieht sie zuletzt 2011. Als das halbe Jahr in Haft überstanden ist, rät man ihr, möglichst schnell die Stelle in Berlin anzutreten. „Als ich dort ankam, brauchte ich acht Monate, bevor ich wieder so etwas wie ein normales Leben führen konnte“, erzählt sie. „Ich bin nicht die einzige Frau mit einer solchen Geschichte. Mittlerweile haben viele Aktivistinnen das Land verlassen.“
"Mit der Dissertation gewinne ich Optionen"
Nicht zuletzt durch ihre Forschung bringt Masjedi heikle Themen zur Sprache. Für ihre Dissertation beschäftigt sie sich anhand eines historischen Falles mit Gewalt im öffentlichen Raum. Es geht dabei um die Stadt Tabriz in den Jahren 1905 bis 1920. „Ich beleuchte Gewalt in dieser Region aus politischer, sozialer, religiöser und regionaler Sicht sowie aus der Gender-Perspektive“, erläutert sie. „Aus der bisherigen Forschung schließe ich, dass es im Iran seit jeher nicht gelungen ist, Gewalt unter Kontrolle zu bringen.“
Soziale und religiöse Konflikte seien bis heute an der Tagesordnung, ohne dass der Staat gezielt dagegen vorgehe. Am Zentrum Moderner Orient lerne sie von Kollegen verschiedener Disziplinen etwas über die Wahrnehmung von Gewalt in anderen Gesellschaften.
Was die Zukunft bringt, ist offen: „Mit der Dissertation gewinne ich Optionen“, sagt die Historikerin. Diese bespricht sie mit ihrem für das Scholars-at-Risk-Programm zuständigen Berater an der Freien Universität. Eine Rückkehr in den Iran hält Masjedi aber für unwahrscheinlich, da sich die Situation dort nach ihrer Einschätzung verschlechtert. „Für Frauenrechtsaktivistinnen ist die Arbeit unter den aktuellen Bedingungen kaum möglich. Wenn ich das Gefühl hätte, dort etwas bewegen zu können, würde ich sofort zurückkehren“, sagt sie. Nicht allerdings, um vom Flughafen direkt ins Gefängnis zu müssen.
Marianne Henkel