Bio-Rhythmus: Forscher: Nachtmenschen haben erhöhtes Risiko für Schizophrenie und Depressionen
Sind Frühaufsteher gesünder als Morgenmuffel? Eine Studie liefert – teils überraschende – Antworten.
„Aufstehen“ ist eine Sammelbewegung, in der sich zum Leidwesen der Initiatoren nicht so recht das Gewünschte sammeln und bewegen will. Da haben es ausnahmsweise Wissenschaftler, die das Aufstehen an sich erforschen wollen, leichter. Von den 700 000 geeigneten Personen, deren bereits gesammelte Daten sie für eine jetzt in "Nature Communications" erscheinende Studie auswerten konnten, kann Sahra Wagenknecht jedenfalls nur träumen. Das Ergebnis ist zwar nicht revolutionär, aber zumindest ein Weckruf. Denn ob jemand Frühaufsteher oder Morgenmuffel ist, scheint nicht nur – wie erwartet – zu wichtigen Teilen im Erbgut vorbestimmt zu sein. Auch für Risiken für bestimmte Erkrankungen ergeben sich neue, wenn auch zum Teil wieder neue Fragen aufwerfende, Befunde.
351 Gene
Die Daten kamen von 697 823 Personen, die der britischen „UK Biobank“ und dem US-Unternehmen „23andMe“ Blut- oder Speichelproben überlassen und auch noch Fragebögen ausgefüllt hatten. In letzteren sollten sie unter anderem einschätzen, ob sie eher Frühaufsteher oder Nachteulen sind. Mehr als 80 000 Testpersonen wurde dann auch noch ein Überwachungsarmband verpasst, um zu überprüfen, ob diese Selbsteinschätzung überhaupt stimmt.
Das tat sie bei der großen Mehrheit, woraus die von einem Team von der britischen University of Exeter angeführten Forscher schlossen, dass sie auch den anderen gut 600 000 glauben und deren Daten zur Analyse nutzen konnten. Das Frühaufsteher-Gen allerdings haben sie nicht gefunden, sondern eher 351 solche. Diese Erbanlagen stehen jedenfalls rein statistisch im Zusammenhang mit der Frühaufsteher-Eigenschaft. Die entsprechenden Gene kommen also bei Früh- und Spätaufstehern in bestimmten, unterschiedlichen Varianten vor. Sie haben zum Beispiel – wenig überraschend – mit der körpereigenen inneren Uhr zu tun, aber auch mit Proteinen in der Netzhaut des Auges. Über diese werden etwa Lichtsignale von außen verarbeitet, die wichtig für das Nachjustieren jener inneren Uhr sind. Dazu kommen gesundheitsrelevante Stoffwechselwege, Funktionen des Nervensystems oder Proteine, die mit der biochemischen Verarbeitung von Nikotin oder Koffein zu tun haben.
Assoziation ist nicht unbedingt Ursache
Neben all den Genen interessierte das Forscherteam auch, ob eine ganz bestimmte, auf älteren Studien und Beobachtungen fußende Vermutung stimmt: dass Frühaufsteher sich im Mittel einer besseren psychischen Gesundheit erfreuen und auch für manche anderen häufigen Erkrankungen wie etwa Diabetes weniger anfällig sind. Tatsächlich, so die Autoren der Studie, gaben Frühaufsteher – in der Studie „morning persons“ genannt – im Schnitt ein deutlich höheres Maß an psychischem Wohlbefinden an. Und diese Eigenschaft sei auch „genetisch am stärksten korreliert“ gewesen, also aus den Genvarianten vorhersagbar.
Ob jene Frühaufsteher-Gene auch wirklich Wohlfühlgene sind – also nicht nur irgendwie damit im Zusammenhang stehen, sondern als Ursache gelten können –, ist allerdings nicht so leicht zu beantworten. Dass bei einem Konzert von 351 Genen diejenigen, die in diesem Konzert die ersten Geigen und die Soli spielen, nicht so ohne Weiteres zu identifizieren sind, ist nur ein Grund. Denn auch das Henne-Ei-Problem spielt bei solchen sogenannten „genomweiten Assoziationsstudien“ fast immer eine Rolle. Zwar versuchten die Forscher, auch etwa Schlafqualität und Schlafdauer in ihre Analyse einzubeziehen. Trotzdem ist es nicht auszuschließen, dass Frühaufsteher einfach besser in der modernen Welt zurechtkommen. Denn ihr Wecker klingelt zur selben Zeit wie der ihrer Nachteulen-Kollegen, nur dass diese möglicherweise später ins Bett gegangen sind und deshalb weniger Schlaf bekommen haben.
Ist's das Wachen, ist's der Wecker?
Trotzdem schließen die Forscher nach weiteren Analysen, dass die Gene der „Morgenpersonen“ Ursache eines geringeren Schizophrenie- und Depressionsrisikos zu sein scheinen. Wie groß der Effekt der Gen ist, dazu wollen sich selbst die Forscher nicht konkret äußern: “Etwa Prozent der Menschen, die sich selbst als Morgenmenschen bezeichnen, geben an, unter Depressionen zu leiden, gegenüber zwölf Prozent der Abendmenschen“, sagt Michael Weedon, der die Studie leitete. Das sei also ein etwa um 50 Prozent höheres Risiko. „In unserer Studie zeigen wir anhand von Genetik, dass zumindest ein Teil dieser Assoziation nicht nur eine Korrelation ist, sondern ein Morgenmensch zu sein tatsächlich eine bessere psychische Gesundheit verursacht.“
Den Verdacht, Nachteulen neigten aufgrund ihrer Genvarianten eher zu Diabetes und Übergewicht, bestätigten die Daten allerdings nicht. Es ist ein – in Forschersprache – „negatives Ergebnis“. Nachteulen – zumindest die, die nicht zu ungesunden Zeiten aus dem Bett geklingelt werden – dürfen sich aber durchaus darüber freuen. Beziehungsweise: Ob es wirklich nicht die Gene sind, sondern der früh klingelnde Wecker, der sie krank macht, müsste unbedingt untersucht werden. So schreiben es auch die Autoren der Studie. Sollte es sich bestätigen, wäre das vielleicht ein Grund, die Sammelbewegung „Liegenbleiben“ zu gründen.