Zufallsfund in der Todeszone: Forscher finden unbekanntes Leben - 900 Meter unter dem Eis
Eigentlich waren die Bohrungen für Bodenuntersuchungen vorgenommen worden. Doch eine Kamera machte überraschende Bilder.
Mehrere hundert Meter dickes Eis, darunter Meerwasser mit Minusgraden, ewige Dunkelheit und dann irgendwann ein schlammiger Grund. So sieht es unter weiten Teilen des antarktischen Schelfeises aus. Was kann in so einer unwirtlichen Umgebung schon leben?
Praktisch nichts, wie Forschende bisher annahmen. Nur ein paar kleine Krebse werden von Strömungen hierher verdriftet. Sie sind so klein, dass sie von den winzigen Nährstoffmengen an diesem Ort leben können. Aber auch sie treiben irgendwann weiter. Dauerhaft hält es hier nichts aus. Dachte man.
Umso überraschter waren die Mitglieder eines internationalen Polarforschungsteams über eine Entdeckung, von der sie nun im Fachmagazin „Frontiers in Marine Science“ berichten. An diesem Ort, eher eine Todeszone als ein Lebensraum, stießen sie auf Organismen, die hier überdauern. Wenige Zentimeter groß sitzen sie auf Felsen unter Wasser. Welchen Organismengruppen sie angehören, ist völlig unklar.
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Mindestens zwei Organismenarten
Die Entdeckung war „versehentlich“, wie die Forschenden schreiben. In den antarktischen Sommern zwischen 2015 und 2017 wurden zwei Bohrungen vorgenommen. Eigentlich sollten dabei Sedimentproben vom Meeresboden unter dem Schelfeis der Antarktis genommen werden. Das Forschungsteam wählte dafür zwei nahe beieinanderliegende Stellen auf dem Ronne-Filchner-Eisschelf. Es liegt südlich des atlantischen Ozeans.
260 Kilometer vom Rand des Eispanzers entfernt bohrten sie mit einem Spezialsystem durch das Eis, das an dieser Stelle 900 Meter dick ist. Doch anstatt weichen Meeresboden zu erreichen, stießen sie auf Fels. Die Forschenden ließen eine Kamera herab, um den Boden zu erkunden. Dabei machten sie ihre verblüffende Entdeckung.
Im Lichtkegel des mitgeführten Scheinwerfers beobachteten sie mindestens zwei verschiedene Organismenarten: zum einen beulige, etwa münzgroße Gebilde, bei denen es sich den Vermutungen der Forschenden nach um Schwämme handelt. Wie sie leben und wovon sie sich ernähren, ist unbekannt.
Möglicherweise sind einige von ihnen fleischfressend, so die Forschenden. Diese Lebensweise ist unter Schwämmen im südlichen Ozean nicht selten: Hier lebt etwa ein Fünftel aller bekannten Schwammarten, die sich von anderen Tieren ernähren.
Ein noch größeres Rätsel sind die stielförmigen Körper, die in einer Kugel enden. Sie sind fünf bis zehn Zentimeter lang und sitzen mit abgeflachten Füßen teilweise in Gruppen auf den Steinen. Details konnten die Forschenden auf den Aufnahmen nicht erkennen. Welcher Organismengruppe sie zuzuordnen sind, ist daher völlig unklar – ebenso, um wie viele Arten es sich handelt.
„Das ist einer dieser glücklichen Zufälle, die feste Vorstellungen in neue Richtungen bringen“, sagt der Polarforscher Huw Griffiths vom British Antarctic Survey. Er ist der Hauptautor der Studie, in der die Lebensformen nun vorgestellt werden.
Spurensuche im Wasser
Bisher ging man davon aus, dass alles Leben in den Polarmeeren umso seltener wird, je weiter man sich vom offenen Meer und vom Sonnenlicht entfernt. Dementsprechend war extrem unwahrscheinlich, an der Stelle der Bohrungen Organismen zu finden. Wasser, das Nährstoffe bis hierher transportiert hat einen Weg von 625 bis 1500 Kilometer unter dem Schelfeis hinter sich. Die Wassertemperatur liegt unter dem Gefrierpunkt bei -2,2 Grad Celsius.
„Unsere Entdeckung wirft so viel mehr Fragen auf, als sie beantwortet“, sagt Griffiths, „zum Beispiel wie diese Lebewesen dorthin gekommen sind? Wie lange sind sie schon dort? Wie häufig sind solche bewachsenen Felsen? Sind es die gleichen Lebewesen, die man auch im offenen Meer findet oder sind es neue, unbekannte Arten?“
Es ist nicht das erste Mal, dass Forschende das Meer unter dem Eispanzer der Antarktis mit Kameras betrachten. Bereits acht Mal zu vor wurden Löcher an verschiedenen Stellen gebohrt, in die anschließend Kameras hinabgeführt wurden. Dabei sah man jedoch nur Fische, Krebse und andere Tiere, die im Wasser schwammen – keine sesshaften Organismen.
14 Millionen Quadratkilometer misst die Fläche des antarktischen Kontinents. Zwei Drittel davon besteht aus Eis, das auf einem Felssockel ruht. Der Rest sind Eispanzer, die auf Meerwasser liegen. Wie es darunter aussieht, weiß man bisher nur von einer Fläche, die etwa der Größe eines Tennisplatzes entspricht.
Weitere Expeditionen sind nötig, um diese praktisch unbekannten Ökosysteme zu erforschen. Diesmal war es unmöglich, ein paar der Lebewesen an die Oberfläche zu befördern, um sie genauer zu studieren. In künftigen Studien könnte man jedoch Rückschlüsse auf sie ziehen, indem man geringste Spuren ihres Erbguts in Wasserproben aus solchen Bohrlöchern analysiert.
Viel Zeit bleibt dafür nicht: Der ursprünglich stabile Eispanzer der Antarktis bricht wegen der globalen Erwärmung an vielen Stellen immer öfter auseinander. Die Ökosysteme unter dem Eis könnten daher noch vor ihrer Beschreibung verschwunden sein.
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