Die Risiken bemannter Missionen: Flug ins Ungewisse
Strahlung, Muskelschwund und Gruppenkoller: Weite Flüge ins All stellen Menschen vor extreme Herausforderungen. Forscher versuchen, die Gefahren zu verringern
„Wir gehen, wie wir gekommen sind. Und wenn Gott will, werden wir zurückkehren mit Friede und Hoffnung für die ganze Menschheit.“ Mit diesen pathetischen Worten verließ Eugene Cernan den Mond. Vor 42 Jahren. Seitdem war kein Mensch mehr dort. Das könnte sich im nächsten Jahrzehnt ändern: Die USA, Russland und China wollen wieder beziehungsweise erstmals Astronauten zum Mond schicken. Und Mitte der 2030er Jahre soll erstmals eine Crew zum Mars fliegen, lautet das Ziel der Nasa. Wobei sie sich bisher nicht festlegt, ob damit eine Landung oder nur eine Umrundung gemeint ist.
Eigentlich wollte die US-Raumfahrtbehörde längst eine bemannte Mission zum Roten Planeten gestartet haben, wieder und wieder wurde der Zeitplan der Realität angepasst. Denn bei solch einem Unterfangen gibt es zu viele Unwägbarkeiten. Auf der einen Seite die Technik: Erdnahe Flüge zur Internationalen Raumstation ISS sind inzwischen Routine. Doch für weitere Expeditionen sind stärkere Raketen nötig, um die Kapsel der Erdanziehung zu entreißen. Mehrere Tonnen Nahrung, Atemluft und Wasser für die Crew müssen ebenfalls mitgeschleppt werden; ein robotisches Vorauskommando sollte bereits ein Wohnmodul auf der Oberfläche abgesetzt haben.
Die Amerikaner wollen nicht auf dem Mond landen - bislang
Den Personentransport über den erdnahen Raum hinaus will die Nasa mit der „Orion“-Kapsel bewältigen. Anfang Dezember absolvierte sie einen ersten unbemannten Testflug. Für den Antrieb und die Energieversorgung soll später ein Bauteil verwendet werden, das in Europa gefertigt wird, das sogenannte Servicemodul. Es ist eine Premiere, dass die Nasa ein sicherheitskritisches Element im Ausland einkauft. Um Orion auf Kurs und vor allem auf Tempo zu bringen, arbeiten die Amerikaner zudem an einer neuen Rakete namens „Space Launch System“ (SLS). Es wird erst 2018 flugfähig sein. Im Jahr 2021 geht’s dann erstmals bemannt auf Reisen, geplant ist eine Umrundung des Mondes.
Bislang beharren die USA darauf, Astronauten nicht auf dem Mond landen zu wollen: „Da waren wir schon, ich finde, das können andere Länder machen“, sagt der Nasa-Chef Charles Bolden. Er schmiedete lieber Pläne, zu einem Asteroiden zu fliegen – wobei auch davon in jüngster Zeit kaum noch einer spricht. Russland und China hingegen sagen explizit, dass sie auf dem Erdtrabant landen und Stationen errichten wollen. Der Vollständigkeit halber muss noch „Mars One“ erwähnt werden: Ein privates Konsortium will ab 2024 Freiwillige zum Mars bringen, ohne Rückflugmöglichkeit. Finanziert werden soll der Trip durch den Verkauf von TV-Rechten. Abgesehen davon, dass das Vorhaben ethisch äußerst umstritten ist, ist es nach Ansicht von Experten unwahrscheinlich, die Leute in zehn Jahren überhaupt lebend bis auf die Planetenoberfläche zu bekommen. Geschweige denn sie dort für längere Zeit am Leben zu erhalten.
Geschwächtes Immunsystem
„Das größte Problem bei einem Flug zum Mars ist die Strahlung“, sagt der Weltraummediziner Hanns-Christian Gunga von der Charité Berlin. „Bei einem Sonnensturm ist man jenseits der Erde und ihrem schützenden Magnetfeld massiv gefährdet, noch haben die Raumschiffe keine geeignete Abschirmung.“ Das nächste Problem sind Muskel- und Knochenschwund, der umgehend einsetzt, wenn die gewohnte Erdanziehung fehlt. Astronauten auf der Raumstation machen täglich mindestens eine Stunde Sport, um dagegen anzukämpfen. Auch die Immunabwehr arbeitet in der Schwerelosigkeit nicht wie gewohnt. Warum, das wissen die Ärzte bis heute nicht genau. Umso wichtiger sei es, das zu erforschen, sagt Gunga. „Nicht dass eine Crew auf dem Mars landet, und dann sind alle krank.“
Neben den physiologischen Schwierigkeiten spielt auch die Psychologie eine – womöglich gar entscheidende – Rolle. „Es ist ein Unterschied, ob ich auf der ISS um die Erde kreise und sie immer sehe“, sagte der Astronaut Thomas Reiter einmal, „oder ob die Triebwerke zünden in Richtung Mars und es mehrere Monate dauert, bis ich am Ziel bin.“ Noch bedrohlicher für die Moral ist der Rückflug. Aus Isolationsexperimenten oder von Überwinterern in Antarktisstationen haben Psychologen gelernt, dass Expeditionsteilnehmer nach etwa Dreiviertel der Zeit übellaunig und mitunter aggressiv sind.
Psychologen entscheiden mit, wie eine Crew zusammengesetzt ist
„Man versucht daher bereits bei der Missionsplanung entsprechende Aktivitäten vorzusehen, damit es gar nicht so weit kommt“, sagt Gunga. Wie überhaupt Psychologen eine gewichtige Stimme bei der Zusammensetzung von Raumfahrtcrews hätten. „Im schlimmsten Fall kann eine Mission scheitern.“ Daher wird die Mannschaft – günstig sind sechs bis acht Leute – so ausgewählt, dass sich die Charaktere ergänzen: zurückhaltende wie lustige, rationale wie impulsive Typen. Und unbedingt eine klare Führungspersönlichkeit, die auch im größten Chaos den Überblick behält und die übrigen Teilnehmer motivieren kann. Um wenigstens während der Flugzeiten die Nerven wie auch die Nahrungsmittelvorräte zu schonen, gibt es Forschungen zu einer Art Weltraumschlaf. Von Tieren ist bekannt, dass sie beim Winterschlaf ihren Stoffwechsel und ihren Herzschlag extrem herunterfahren, vielleicht geht das auch bei Astronauten. Gunga warnt vor zu großen Erwartungen: „Die Raumfahrer müssen bei der Ankunft am Mars fit sein und sollten sich an all das erinnern, was sie im Training gelernt haben.“ Komapatienten zeigten aber, dass es da Schwierigkeiten geben könnte. Auch auf dem Mars selbst lauern Gefahren. „Es gibt gewaltige Staubstürme, die Körnchen sind vermutlich messerscharf und ziemlich klein.“ Die sollten besser nicht eingeatmet werden. Daher seien extrem dichte Wohncontainer und entsprechende Reinigungsschritte für die Marsanzüge nötig. Denn die Astronauten werden lange auf dem fernen Land bleiben: Die Planetenkonstellation erlaubt erst nach 16 Monaten einen Rückflug zur Erde.