Windenergie: Fledermäuse werden am Windrad zerfleddert
In Deutschland boomt die Energiegewinnung aus Wind. Fledermäuse halten Windkraftanlagen allerdings für Bäume. Das kann sie das Leben kosten.
Für viele Fledermäuse wird die Windenergie zu einer tödlichen Falle: „Unter einer einzigen Anlage liegen jedes Jahr im Durchschnitt zehn tote Fledermäuse“, erklärt Christian Voigt vom Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung IZW in Berlin. „Allein in Deutschland könnten Windkraftanlagen also rund 300000 Flattertiere das Leben kosten, wenn keine Maßnahmen zur Reduzierung des Schlagopferrisikos ergriffen werden“, vermutet der Fledermaus-Spezialist. In anderen Ländern ist die Situation wohl ähnlich. Paul Cryan vom United States Geological Survey in Fort Collins, Colorado, und seine Kollegen nennen jetzt im Fachblatt „PNAS“ einen möglichen Hintergrund für den massenhaften Tod der Tiere. Vor allem die Waldbewohner unter den Fledermäusen verwechseln Windkraftanlagen anscheinend mit hohen Bäumen.
Paarung im Flug
Die US-Forscher kamen dem Verhalten der fliegenden Säugetiere auf die Spur, als sie im August und September die nähere Umgebung von drei Windkraftanlagen im US-Bundesstaat Indiana mit Wärmebild-Überwachungskameras, Infrarot-Videos, Abhörgeräten für Fledermauslaute und Radargeräten beobachteten. Insgesamt 993-mal identifizierten die Wissenschaftler Fledermäuse eindeutig an ihrem Verhalten: Sie jagten Insekten, flatterten auf der Stelle oder flogen typische Manöver in der Luft. Meist handelte es sich um einzelne Tiere, in 29 Fällen aber tauchten gleich zwei Fledermäuse auf den Überwachungskameras auf. In fast der Hälfte dieser Fälle jagten die Tiere einander und zeigten damit einen typischen Fledermaus-Flirt. Einige Male berührten die Tiere sich einander im Flug, einmal schossen sie zehn Sekunden nebeneinander durch die Luft – offensichtlich paarten sie sich.
Windrad ähnelt Bäumen
Die meisten der Solo-Flieger änderten vor allem bei niedrigen Windgeschwindigkeiten während der Beobachtung ihren Kurs, um auf das jeweilige Windrad zuzusteuern. Meist kamen sie von der windabgewandten Seite auf die Anlage zu. Die US-Forscher vermuten, dass die Luftbewegung hinter der langen Betonsäule einer Windkraftanlage in solchen Fällen der Situation hinter einem hohen Baumstamm ähnelt. Im Windschatten der Bäume aber tummeln sich viele Insekten, die sonst vom Winde verweht würden. Dort finden die Fledermäuse aber nicht nur Beute, sondern auch Wohnraum und Kinderstuben in Form von Höhlen in den Baumstämmen. Und da andere Fledermäuse sich ähnlich orientieren, sind die Chancen dort groß, einen Partner zu finden. Kein Wunder, wenn hohe Bäume oder Windkraftanlagen die Waldbewohner unter den Fledermäusen anziehen – und viele von ihnen dort verunglücken.
Gefährliche Luftdruckschwankungen
Meist kollidieren die wendigen Flugkünstler dabei nicht einmal mit den Rotorblättern. Schließlich drehen sich deren Spitzen mit einem Tempo bis zu 300 Kilometern in der Stunde quer zum Wind. Hinter den Rotoren und damit genau dort, wo sich die Fledermäuse normalerweise nähern, schwankt der Luftdruck daher enorm. Kommt eine Fledermaus nur in die Nähe, können diese Schwankungen ihre Lungen und andere Organe zerreißen. „Das Innere der verunglückten Tiere ist dann meist nur noch eine blutige Masse“, berichtet IZW-Forscher Voigt.
Von einigen dieser toten Fledermäuse haben er und seine Kollegen die Wasserstoff-Atome im Fell analysiert. Von diesem Element gibt es zwei Atom-Sorten, die von Physikern „Isotope“ genannt werden. Je weiter man in Europa nach Norden kommt, umso höher liegt der Anteil des leichteren Wasserstoff-Isotops in der Natur. Solche Haar-Analysen verraten den Forschern daher die ungefähre Gegend, in der die verunglückten Fledermäuse in den vergangenen Monaten lebten. Mehr als ein Viertel der untersuchten Großen Abendsegler aber stammten aus einem Gebiet, das sich vom Baltikum über Russland und Weißrussland bis nach Polen erstreckt, berichteten die Forscher gerade im Online-Magazin „Plos one“.
Wenige Stunden Stillstand könnte viele Tiere retten
Dort können diese Tiere aber kaum überwintern, weil sie bei den strengen Frösten in ihren Baumhöhlen erfrieren würden. Daher ziehen sie im August und September ähnlich wie viele Vögel in mildere Regionen und suchen sich im Osten und Südwesten Deutschlands oder in Frankreich wärmere Winterquartiere. Dabei sind sie meist nur zwei oder drei Stunden in der Abenddämmerung unterwegs. „Wenn in diesen Zugzeiten mehr Windräder während der Hauptaktivität der Fledermäuse in den Abendstunden still stehen würden, könnten sehr viele Fledermäuse gerettet werden“, schlägt Voigt vor. Und das auch nur bei schwachen Winden von weniger als 30 Kilometern in der Stunde, bei denen die Anlagen ohnehin nicht sehr effektiv arbeiten. Weht der Wind stärker, fliegen die Fledermäuse ohnehin kaum noch und die Windräder könnten sich weiterdrehen. „Jährlich würden die Windkraftanlagen so nicht einmal ein Prozent weniger Elektrizität liefern, gleichzeitig würden sehr viel weniger Fledermäuse getötet“, erklärt Voigt. Da die Flattertiere nach den Vorgaben der Europäischen Union ohnehin streng geschützt sind, würde bei dieser Vorgehensweise auch das EU-Recht beachtet.