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Heilen mit Energie. Die japanische Reiki-Therapie bekommt in der "Integrativen Medizin" akademische Weihen.
© Klaus Rein/mauritius images

Konferenz in Berlin: Die hohe Kunst der Skepsis

In Zeiten von Fake News und "gefühlten" Wahrheiten ist skeptisches Denken wichtiger denn je. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Schweres fällt schneller, Leichtes langsamer. Leuchtet ein, oder? Es war Aristoteles, der diese naheliegende Vermutung anstellte, und die Menschen glaubten sie fast 2000 Jahre lang. Bis der italienische Astronom Galileo Galilei das Theorem des unfehlbaren Philosophen nachprüfte und feststellte: Aristoteles irrte. Intuition kann trügen.

Der Legende nach warf Galileo verschieden schwere Kugeln vom schiefen Turm von Pisa und ließ messen, wann sie auftrafen. Es gab keinen Unterschied! Die Geschichte ist wohl zu schön, um wahr zu sein. Aber das ändert nichts daran, dass der italienische Wissenschaftler mit seinen experimentell abgeleiteten Fallgesetzen Aristoteles tatsächlich widerlegte. Damit wurde er zu einem Urvater des Skeptizismus. Akzeptiere keine noch so ehrwürdige Autorität, wenn es um die Wahrheit geht. Prüfe es selbst nach. Gebrauche deinen Verstand. Zweifle.

Die Erben Galileos treffen sich an diesem Wochenende zum Jubiläum in Berlin. Seit 30 Jahren besteht die „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften“, die GWUP. Der deutsche Zweig der internationalen Skeptiker-Bewegung hat es vor allem auf Pseudomedizin, Esoterik und Verschwörungstheorien abgesehen. Sie werden mit den Mitteln des kritischen Verstandes und des Experiments überprüft.

Sollen sich Skeptiker in die Politik einmischen?

Über die Jahre sind die deutschen Skeptiker professioneller im Umgang mit der Öffentlichkeit geworden, weniger scheu und verkrampft, dafür spaßiger und spöttischer. Humor gegen Obskurantismus: Ober-Skeptiker und Kriminalbiologe Mark Benecke ist längst ein Medienstar, Comedians und andere Prominente sympathisieren mit den Hobby-Aufklärern der GWUP und ihren Ideen. In Zeiten von „Fake News“, „gefühlten Wahrheiten“ und „Echokammern“ erscheint die Expertise der Zweifler wichtiger denn je. Dennoch, sollte man sich in den Trubel des politischen Tagesgeschäfts einmischen?

Den Skeptikern geht es um korrekte Fakten, weniger um deren Auslegung oder um Glaubensinhalte, Meinungen oder politische Folgerungen. Weshalb auch die Religionskritik nur insofern stattfindet, als sie sich auf Nachprüfbares bezieht, also etwa auf vermeintliche Wunderheilungen. An Gott darf jeder glauben, er ist kein messbares Faktum, jedenfalls keines von dieser Welt.

"Integrative Medizin" - ein Einfallstor für Scharlatane?

An Stoff für Kritik mangelt es dennoch nicht. Kurz nach dem Berliner Jahrestreffen der Skeptiker findet ebenfalls in der Hauptstadt ein „Weltkongress für Integrative Medizin“ statt. Dahinter verbirgt sich das ziemlich erfolgreiche Unterfangen der Alternativmedizin, ihr Außenseiter-Stigma abzuwerfen, indem sie sich mit der „Schulmedizin“ versöhnt und mit ihr gemeinsam – „integriert“ – ans Krankenbett tritt. Viele Kliniken „integrieren“ mittlerweile Homöopathen, Akupunkteure, Qi-Gong-Heiler, Ayurveda-Therapeuten und viele andere Glaubensmediziner. Die wissenschaftlich nicht abgesicherten Methoden kommen auf diese Weise zu akademischen Weihen und erschließen sich zudem neue Einkommensquellen. Die „kalte Schulmedizin“ bekommt dafür einen sanften Touch. Höchste Zeit für einen skeptischen Fakten-Check!

Warum glauben Menschen Humbug? Warum „fühlen“ sich Dinge richtig an, die doch nicht wahr sein können? Das hängt ganz wesentlich damit zusammen, dass wir nun einmal keine Vernunftwesen sind, jedenfalls nicht in erster Linie. Den größten Teil seiner Entscheidungen fällt der Mensch unbewusst oder aus dem Bauch heraus, häufig von Gefühlen und nur selten vom Verstand geleitet. Meist funktioniert das ganz hervorragend, gewissermaßen schnell und lautlos. Aber manchmal führt die Intuition in die Irre – siehe Aristoteles. Unser Denkorgan neigt zu Kurzschlüssen à la „Schweres fällt schneller als Leichtes“.

Wir erkennen Gefahren - und manchmal erfinden wir sie

Ein wesentlicher Kurzschluss besteht darin, Zusammenhänge zu sehen, wo keine existieren. Er entspringt einer eigentlich sehr nützlichen Eigenschaft, nämlich der Fähigkeit, versteckte Ursachen rasch zu erkennen. Der Steinzeitmensch, der im Gebüsch hinter sich ein Rascheln vernahm, konnte das auf den Wind zurückführen oder auf einen lauernden Säbelzahntiger. Wer sich für den Wind entschied, obwohl der Tiger das Rascheln verursacht hatte, wurde kurzerhand aus dem Genpool entfernt. Wer dagegen das Geräusch richtig deutete und die Flucht ergriff, blieb der Menschheit erhalten. Und mit ihm das Talent, versteckte Gefahren zu erkennen, und zwar lieber einmal zu viel als zu wenig.

Der moderne Verschwörungstheoretiker, der Krebs für eine Erfindung der Pharmaindustrie hält, handelt scheinbar wie sein Vorfahr in der Steppe. Er registriert Tatsachen – Krebs ist oft tödlich, Krebspatienten werden mit Medikamenten behandelt –, aber er interpretiert sie falsch: Nicht der Krebs, sondern die Medikamente sind tödlich.

Der Verschwörungstheoretiker ist in gewisser Weise auch ein Skeptiker, sogar ein extremer. Aber er hat die Bodenhaftung verloren und ist unerreichbar für Belege, die seiner Weltanschauung widersprechen. An die Stelle des fruchtbaren Zweifels ist Zynismus getreten. Doch der Baum der Erkenntnis wird nicht mit Ignoranz gedüngt. Sondern mit Skepsis.

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