Antisemitismus an Schulen: Experten fordern Meldesystem für antisemitische Vorfälle an Schulen
Experten werfen Schulen in Deutschland ein mangelndes Problembewusstsein gegenüber dem Antisemitismus vor. Sie fordern bundesweite Meldesysteme für Vorfälle.
Antisemitische Vorfälle an Schulen werden in Deutschland nicht flächendeckend und systematisch erfasst. Das kritisieren Samuel Salzborn, Professor am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, und Alexandra Kurth, Politikwissenschaftlerin an der Universität Gießen, in einer am Montag veröffentlichten Bestandsaufnahme zu „Antisemitismus in der Schule“. Die Experten fordern „die Einführung eines obligatorischen Meldeverfahrens für antisemitische (Vor-)Fälle“ bei den Schulaufsichtsbehörden.
Nach einer Abfrage bei den Kultusministerien der Länder verfügt etwa Niedersachsen „über kein besonderes Meldewesen für antisemitische Vorfälle in Schulen“, dasselbe gilt für Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und das Saarland. In anderen Ländern wie in Thüringen und Sachsen sind „besondere Vorkommnisse“ meldepflichtig, wenn es etwa um Rechtsextremismus oder Antisemitismus geht. In Nordrhein-Westfalen sollen seit Mai 2018 antisemitische Straftaten von den Schulen bei der Polizei angezeigt werden, in Hessen und Baden-Württemberg sind solche Fälle bei der Schulaufsicht zu melden.
Berliner Schulverwaltung als Vorbild
Doch ob und wie viele Fälle verzeichnet wurden, erfuhren die Forscher kaum. Ihrer Dokumentation der Länderumfrage zufolge war etwa aus Brandenburg zu erfahren, dass dort keine antisemitischen Vorfälle bekannt seien, aus anderen Ländern wie Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt heißt es, es gebe keine Hinweise auf einen Anstieg der Vorfälle. Vielfach fehlen quantitative Hinweise ganz.
Als vorbildlich sehen die Autoren dagegen Berlin mit seinem „statistisch präzisen Erhebungs- und Meldesystem“. 2017 seien damit 19 Fälle von Antisemitismus an Schulen erfasst worden. Hervorgehoben wird zudem, dass die Bildungsverwaltung eine Antidiskriminierungsbeauftragte berufen hat und in der „Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung“ der Justizverwaltung Antisemitismus ausdrücklich adressiert wird.
Salzborn und Kurth fordern nicht nur bundesweite Meldesysteme und eine öffentliche Dokumentation der Fälle. Fallweise müsse von Schulen und Behörden auch entschieden werden, inwiefern eine strafrechtliche Verfolgung geboten ist. Bei Lehrkräften, die sich antisemitisch äußern, müssten konsequent disziplinarrechtliche Maßnahmen eingeleitet werden. Generell sollte antisemitische Diskriminierung in die „schulische Öffentlichkeit“ getragen werden. Gegenüber den Eltern müssten solche Vorkommnisse immer „als Problem kommuniziert“ werden.
Vorwurf: Schulen wehren Verantwortung ab
Insgesamt attestieren die Autoren den Lehrkräften und Schulleitungen „ein mangelndes Problembewusstsein“. So würde Antisemitismus, wenn er „aus muslimischem Kontext“ geäußert wird, zuweilen „aus einer falsch verstandenen Multiperspektivität“ heraus „toleriert“. Jeder Antisemitismus müsse aber, „ohne Rücksicht auf den politischen, sozialen oder religiösen Kontext der ihn formulierenden Personen als falsch und unwahr zurückgewiesen werden“, schreiben Salzborn und Kurth. Den Schulen werfen sie auch „Verantwortungsabwehr“ vor, wenn etwa auf die Rolle der außerschulischen Lernorte wie Gedenkstätten verwiesen wird. Neben der Familie bleibe die Schule „die zentrale Sozialisierungsagentur der bundesdeutschen Gesellschaft“, betonen die Autoren.
Ergänzendes Schulbuch zu Antisemitismus empfohlen
Die gemeinsame Erklärung der Kultusministerkonferenz und des Zentralrats der Juden in Deutschland von 2016, nach der eine möglichst umfassende Darstellung jüdischen Lebens und jüdischer Geschichte auch dem Antisemitismus entgegenwirken soll, wird positiv gesehen. Doch in den Schulbüchern sei die Initiative bislang kaum angekommen. Das gelte auch für die Rahmenrichtlinien und Lehrpläne, hinter denen die Schulbücher größtenteils zurückblieben. So seien sie zum Themenfeld Israel „drastisch einseitig propälestinensisch ausgerichtet“. Salzborn und Kurth empfehlen bundesweite Zulassungsverfahren für Schulbücher – und ein ergänzendes Schulbuch „Antisemitismus“, das Kultusminister und Zentralrat gemeinsam erarbeiten könnten.
Amory Burchard
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