Italienische Zwangsarbeiter: Erinnern statt entschädigen
Deutsche und italienische Historiker wollen der Erforschung der deutschen Besetzung Italiens 1943 bis 1945 neuen Schwung geben. Geld dafür soll von beiden Regierungen kommen. Die damals versklavten italienischen Soldaten warten bis heute auf Entschädigung.
„Wir litten unter dem Dreck, den Parasiten, dem Hunger“, sagt Michele Montagano, „wir schufteten in den Minen unter zynischen Aufpassern. Aber beinahe noch bedrückender waren unsere Diskussionen: Mitmachen oder nicht?“
Montagano, der heute 92 Jahre alt ist, war 1943 Oberleutnant der königlichen italienischen Armee und musste Sklavenarbeit leisten, nachdem er sich, wie viele seiner Kameraden, geweigert hatte, in die Verbände der faschistischen Restrepublik von Salò einzutreten und an der Seite der Deutschen weiterzukämpfen. Er war einer jener Zwangsarbeiter, für die Hitler persönlich den Euphemismus „Militärinternierte“ (Imi) befahl, italienische Soldaten, die die Deutschen nach dem 8. September 1943 entwaffneten und nach Deutschland und in die besetzten Gebiete deportierten. An jenem Tag trat Italien – Mussolini war bereits abgesetzt - aus dem Krieg aus und von einem Tag auf den andern wurden die im Lande stehenden deutschen Freunde zu Feinden und Besatzern. Das Schicksal der Imi war grausam: Der Hass auf die italienischen „Verräter“, den die NS-Propaganda noch geschürt hatte, drückte sie in den Lagern und bei der Arbeit auf den Rang der aus rassistischen Gründen verachteten osteuropäischen und jüdischen Leidensgenossen herab, sie litten unter ähnlich brutaler Behandlung. Bis zu 50 000 der etwa 600 000 Imi hat dies Schätzungen zufolge das Leben gekostet. Entschädigung jedoch, die Deutschland von 2000 bis 2007 spät und unter internationalem Druck an die noch lebenden Ex-Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter zahlte, haben die Italiener bis heute nicht gesehen. Ein Gutachten des Berliner Völkerrechtlers Christian Tomuschat, vom Finanzministerium im Auftrag gegeben, definierte sie als einzige aus dem Heer der Sklaven Hitlers heraus.
Michele Montagano sprach vergangene Woche an der Freien Universität auf einer Tagung jener deutsch-italienischen Historikerkommission, die die Regierungen in Rom und Berlin 2009 eingesetzt hatten, um, so der offizielle Auftrag, jenes schwarze Kapitel gemeinsamer Geschichte aufzuarbeiten. Der dringendere Grund war wohl nicht historiographisch, sondern politisch, worauf Nicola Labanca hinwies, Militärhistoriker aus Pisa und selbst nicht Mitglied der Kommission. Die Bundesrepublik fühlte sich seinerzeit unter Druck, Ersatz zu schaffen für die verweigerte Entschädigung., nachdem mehrere italienische Gerichte den Imi dieses Recht zugesprochen hatten und dafür auch deutsches Staatseigentum in Italien und Griechenland beschlagnahmen ließen.
Dieser Hintergrund freilich wurde auf der Tagung „Hypotheken der Vergangenheit“ von den anwesenden deutschen und italienischen Historikern der Kommission – nur zwei der zehn Mitglieder waren Historikerinnen – beschwiegen. Natürlich sei es ungerecht, dass die Imi nichts erhalten hätten, sagte der deutsche Kommissionspräsident Wolfgang Schieder auf Nachfrage. Doch „wir sind Historiker“ und eine „rein deklamatorische“ Stellungnahme hätten er und die Kollegen nicht in ihren Abschlussbericht schreiben wollen. Stattdessen wurde auf der Tagung betont, wie wenig doch der Zeitraum wissenschaftlich aufgearbeitet sei – was mindestens eine Übertreibung ist: Die Geschichte der Imi ist schon seit mehr als zwei Jahrzehnten in einem knapp 650 Seiten starken Werk bearbeitet; den Namen des Autors Gerhard Schreiber, seinerzeit Wissenschaftler am Militärgeschichtlichen Forschungsamt, nannte freilich erst in der Diskussion ein informierter Zuhörer.
Auch wenn das grundlegende Werk geschrieben ist, so wurde auf der Tagung doch auch klar, wie viel lohnende Arbeit bleibt – weil seit dem Fall der Mauer auch Quellen für die ost- und mitteleuropäischen Verbündeten der Achsenmächte zugänglich sind, aber auch eine neue Historikergeneration wieder ihren ganz eigenen Blick auf die Vergangenheit richten kann. Das dürfte etwa für jene „Akteure der Erinnerungspolitik“ gelten, die mehr Aufmerksamkeit brauchten, so Thomas Schlemmer (München), darunter deutsche Generäle mit ihren Memoiren ebenso wie Italiens Widerstand, die Resistenza, die etwa mit den Imi lange nichts anzufangen wusste. Lutz Klinkhammer wies auf die „essenzielle“ Rolle der Frauen der Resistenza hin. Sie seien als Meldeläuferinnen einem oft weit höheren Risiko ausgesetzt gewesen als ihre Kameraden. Klinkhammer nannte eine von ihnen, die von einem von Partisanen freigelassenen Faschisten wiedererkannt wurde und nach zwanzig Tagen Folter durch dessen Gesinnungsgenossen Vollinvalidin war. Hans Woller vom Münchner Institut für Zeitgeschichte schlug gemeinsames Forschen von Europäern, Afrikanern und US-Historikern vor: „In Italien führte ja fast die ganze Welt Krieg gegen Deutschland.“
Die Geschichte der Imi und dieser deutsch-italienischen Jahre 1943 bis 1945 könnte aber auch zählebige Mythen auf beiden Seiten zertrümmern helfen, etwa den italienischen vom bösen Deutschen und guten Italiener, über den Filippo Focardi von der Universität Padua sprach, die deutsche Legende vom sauberen Wehrmachtssoldaten oder, bis heute, von der seit Goethe und Winckelmann angeblich ewigen deutschen Italien-Liebe. Dass den Imi im Gegenteil reinster Hass entgegenschlug, beleuchtete Gabriele Hammermann. Die Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau und Imi-Expertin der Kommission hat deren absichtsvoll „katastrophale Lebensbedingungen“ unter den Deutschen erforscht. Das ebenso zählebige deutsche Vorurteil gegen die Italiener als faul, feige, verschlagen und militärisch unfähig, sagte Carlo Gentile aus Köln, gehörte „schon zum mentalen Gepäck deutscher Soldaten, als sie zum ersten Mal italienischen Boden betraten“. Es sage „mehr über die Erinnerungspolitik als über den Krieg selbst aus“. Am Ende von mehr Forschung könnte „geteilte Erinnerung“ stehen, meinte Christoph Cornelissen (Frankfurt am Main). Was nicht heiße, dass dann alle die gleichen Gefühle teilten, sondern dass sie der Erinnerung der andern mehr Aufmerksamkeit schenkten.
Dass am Gedenken an die Imi längst gearbeitet wird, wurde auf der Tagung letzte Woche ebenfalls deutlich, allerdings wieder aus dem Publikum. Auf die Rolle der Gedenkstätten wiesen Christine Glauning, die Leiterin des Dokumentationszentrum NS-Zwangsarbeit in Berlin-Schöneweide und ihr sächsischer Kollege Jens Nagel hin, der die Gedenkstätte Zeithain Ehrenhain bei Meißen leitet. An beiden Orten leisteten Imi Zwangsarbeit. Nagel wie Glauning äußerten sich befremdet darüber, dass die Gedenkstätten für die Kommission praktisch keine Rolle gespielt hätten. Die Kommission schlägt nun vor, einen Ort der Erinnerung für die Imi in Berlin-Schöneweide zu errichten. Bisher, sagte Nagel dem Tagesspiegel, "fördert der Bund keine Gedenkstätten für diese Opfergruppe". Eine Ausnahme sei Bergen-Belsen.
Förderung wünscht sich auch die Kommission über das Ende ihres Mandats hinaus, das 2012 endete. Dass viel Geld nötig sein werde für weitere Forschung, vergaß kaum einer der Historiker zu erwähnen. Sie hoffen, es von den Regierungen in Rom und Berlin zu bekommen, die diese „diplomatische“ Kommission einsetzten, als die sie Nicola Labanca leise ironisch bezeichnete. Geld, auf das die noch lebenden Imi nicht mehr hoffen können. „Verraten, verachtet, vergessen“ hatte ihr Chronist Gerhard Schreiber sie 1990 im Untertitel seines Standardwerks genannt. Heute, sagte Enzo Orlanducci, der Vorsitzende der Vereinigung der ehemaligen Kriegsgefangenen (ANRP), dem Tagesspiegel, müsse man hinzufügen: „verschaukelt". Erinnerungspolitische Gesten seien schön und gut; eine persönliche Entschädigung der Opfer könnten sie aber nicht ersetzen.
Andrea Dernbach
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