Internationaler Gerichtshof: Keine Entschädigung für italienische Opfer der Wehrmacht
Wer in Italien unter den Massakern der Wehrmacht gelitten hat, kann nicht mehr auf Entschädigung hoffen. Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag ist völkerrechtlich bedeutsam.
Mit dem Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) dürfte sich für die wenigen noch lebenden NS-Opfer die wohl letzte Tür geschlossen haben, wenigstens eine symbolische Entschädigung zu erhalten. Das höchste UN-Gericht entschied am Freitag, dass Italien gegen die sogenannte „Staatenimmunität“ verstoßen habe, die Staaten davor schützt, von Einzelpersonen vor Gericht gezogen zu werden. Mehrere italienische Gerichte, darunter das höchste, der Kassationsgerichtshof, hatten nämlich italienischen Überlebenden von Massakern der Wehrmacht und der Zwangsarbeit in Deutschland recht gegeben und ihnen ein Recht auf individuelle Entschädigung zugesprochen. Um dies auch durchzusetzen, hatten die Richter die Beschlagnahme deutschen Staatsbesitzes in Italien verfügt, des Kulturzentrums „Villa Vigoni“ am Comer See, und zeitweise auch der Einnahmen aus dem grenzüberschreitenden Bahnverkehr. Auch die Klagen griechischer Opfer der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg nahmen sie an. Die Athener Regierung hatte sich nämlich geweigert, die Urteile griechischer Gerichte zugunsten ihrer Staatsbürger durchzusetzen.
All dies hat das Haager Gericht jetzt für nicht rechtens erklärt und Italien verpflichtet, in Zukunft dafür zu sorgen, dass ähnliche Urteile der italienischen Justiz nicht vollstreckt werden. Ein „klassisches Urteil“, heißt es erfreut im Auswärtigen Amt, wobei man durchblicken lässt, dass klassisch in diesem Fall auch einen Schritt zurück bedeuten könnte: Der Gerichtshof habe bestätigt, dass Kriegsreparationen zwischen Staaten vereinbart würden; die heutige menschenrechtliche Auffassung, dass einzelne Menschen entschädigt werden müssten, sei nicht angewendet worden.
Dies hatten die italienischen Gerichte getan, die zugunsten der Kläger entschieden hatten. Sie hatten sich nicht grundsätzlich gegen die Staatenimmunität gewendet, waren aber der Auffassung, dass sie auch Grenzen haben müsse, etwa dann, wenn es um schwerste Menschenrechtsverletzungen geht – zum Beispiel Sklavenarbeit. Sie sind damit nicht allein. Der Frankfurter Völkerrechtler Michael Bothe nannte die Entscheidung des italienischen Kassationsgerichts 2008 „zukunftsweisend“. Es sei inzwischen möglich, Opfern von Völkerrechtsverletzungen auch nach innerstaatlichem Recht Schutz zu gewähren.
Die italienische Regierung profitiert selbst von der "Staatenimmunität".
Tatsächlich haben Verschleppte, Versklavte, Überlebende von Massakern und ihre Angehörigen bisher keinerlei Möglichkeiten, ihr Recht gegen den verursachenden, weil auf diese Weise kriegführenden Staat geltend zu machen. In den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen zum Beispiel wurden die Deportationen und die Zwangsarbeit zwar als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft, aber es wurde kein Anspruch derjenigen anerkannt, die diese Verbrechen erlitten. Auch die im Jahr 2000 errichtete Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ zur späten Entschädigung der überlebenden NS-Zwangsarbeiter erfüllte keine Rechtsansprüche – und schloss übrigens italienische Überlebende von vornherein aus: Ein Gutachten des Berliner Völkerrechtlers Christian Tomuschat hatte die sogenannten italienischen Militärinternierten (Imi) als Kriegsgefangene gesehen, für die die Stiftung nicht zuständig sei – obwohl das NS-Regime die zur Zwangsarbeit gepressten italienischen Soldaten zu Zivilisten erklärt hatte. Die als „Verräter“ gebrandmarkten Italiener wurden nicht weniger geschunden als die rassistisch verachteten „Ostarbeiter“ und kamen zu Tausenden um.
Im Blick auf die Imi hat das Haager Gericht mindestens einen Fingerzeig gegeben. Sie „könnten Gegenstand weiterer Verhandlungen“ zwischen Deutschland und Italien sein, freilich – darauf beharrt man im Auswärtigen Amt – ohne jede rechtliche Verpflichtung. Dazu gebe es aber noch keine Position. Im Klartext: Es dürfte weiterhin kein Cent an die Opfer gehen. Schon einmal war von einer Wende die Rede; Italiens Außenminister Franco Frattini sprach im Sommer 2008 von einer nahen Lösung des Problems „im gegenseitigen Einvernehmen“. Es folgte die Einsetzung einer deutsch-italienischen Historikerkommission und ein gemeinsamer Besuch Frattinis und seines damaligen Kollegen Frank-Walter Steinmeier in einer italienischen Gedenkstätte. Dass die italienische Regierung jetzt härter für ihre Bürger kämpft, ist kaum anzunehmen; sie profitiert schließlich selbst von der „Staatenimmunität“ – gegen die Ansprüche faschistischer Opfer in Afrika und auf dem Balkan.