Goethe-Universität Frankfurt: Eine Professorin nur für Holocaust-Forschung
Sybille Steinbacher wurde in Frankfurt als "bundesweit erste Professorin für Holocaust-Forschung" vorgestellt. Sie sieht noch große Forschungslücken. Ein Porträt.
Forschung und Lehre zum millionenfachen Judenmord sind in Deutschland gut etabliert, sollte man meinen. Im Land der Täter verbindet sich die wissenschaftliche Aufarbeitung des Holocaust mit Namen wie Wolfgang Benz, dem früheren Direktor des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung, oder anderen renommierten NS-Forschern wie Hans Mommsen und Norbert Frei. Und doch wurde am Mittwoch in Frankfurt Sybille Steinbacher als Inhaberin der „bundesweit ersten Professur für Holocaust-Forschung“ vorgestellt. Tatsächlich handelt es sich um die erste Professur in Deutschland, die ausschließlich auf die Shoa ausgerichtet ist.
Steinbacher forschte schon früh zu Dachau und Auschwitz
In neue Dimensionen der Analyse der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik stieß die 1966 in München geborene Historikerin schon mit ihrer Magisterarbeit an der LMU München zu „Dachau – die Stadt und das Konzentrationslager“ vor. Es folgte die Bochumer Dissertation zur „,Musterstadt’ Auschwitz“, in der Steinbacher den Zusammenhang von Germanisierungspolitik und Judenmord erforschte – bis heute ein Standardwerk. Sie lehrte in Jena, schon einmal in Frankfurt am Main und zuletzt als Professorin für Zeitgeschichte und vergleichende Genozidforschung an der Universität Wien.
Eine Studie zeigte Lücken in der Realgeschichte des Holocaust
Kürzlich trat sie ihren Dienst an der Goethe-Universität und als Direktorin des Fritz Bauer Instituts zur Geschichte und Wirkung des Holocaust an, gestern stellte sie sich der Presse vor. Dass es nun an einer deutschen Uni eine Professur mit der besonderen Denomination für Holocaust-Forschung gebe, sei eine „wichtige wissenschaftspolitische Errungenschaft“, sagte Steinbacher. Denn die Realgeschichte des Holocaust weist zumindest in der Lehre durchaus Lücken auf. Das hat 2016 eine Studie der Freien Universität Berlin gezeigt.
Eine Schlussfolgerung: In Deutschland müssten nach israelischem, US-amerikanischem und britischem Vorbild Holocaust-Studies eingeführt werden. Und das ungeachtet einer am privaten Berliner Touro College bestehenden Holocaust-Professur und einer Historiker-Stelle an der Humboldt-Universität mit dem Schwerpunkt Nationalsozialismus, die einschlägige Studien zur Shoa betreibt.
Man weiß noch lange nicht alles über die Shoa
Sybille Steinbacher hat bereits auf Forschungslücken hingewiesen: Unklar sei etwa, wie das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, das als Kriegsgefangenenlager für Sowjetsoldaten konzipiert wurde, zum zentralen Vernichtungslager im Holocaust wurde. Weitgehend unerforscht seien auch die „Kollaborationsregimes“ etwa in Griechenland und in Südosteuropa. In Frankfurt sagte Steinbacher am Mittwoch laut dpa, es gebe weiterhin viele Fragen, die von den Wissenschaftlern noch nicht beantwortet worden seien. „Manche meinen, man weiß schon alles über Auschwitz, aber das ist ganz sicher nicht so.“
Birgitta Wolff, Präsidentin der Goethe-Universität betonte, dass Steinbachers Forschung auch durch die weltweit aktiven populistischen Strömungen "große Aktualität" gewinne. Durch den Rechtspopulismus schienen "ethnisch und rassistisch motivierte Ausgrenzung und Diskriminierung wieder gesellschaftsfähig zu werden".