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Modell einer Herzklappe
© Hendrik Schmidt, picture alliance / dpa

Herzbericht 2015: Eine neue Herzklappe für Hochbetagte

Deutschland ist Weltmeister in der Aortenklappen-Implantation, zeigen die Zahlen im aktuellen Herzbericht. Im Durchschnitt sind die Patienten über 80 Jahre alt.

Die Pioniertat gilt als einer der ganz großen Fortschritte in der Herzmedizin: Alain Cribier und seine Kollegen von der Uniklinik in Rouen hatten im Jahr 2002 erstmals eine künstliche Herzklappe per Katheter von der Leistenbeuge aus ins Herz geschoben und, nachdem die Enge in der Aortenklappe mit einem Ballon geweitet war, dort entfaltet. Die „Transcatheter Aortic Valve Implantation“, kurz Tavi, war geboren. Ein Segen für Menschen, deren Aortenklappe in der linken Herzkammer verengt ist. Die Klappe führt zur großen Hauptschlagader, die den Körper mit sauerstoffreichem Blut versorgt. Sie muss muss genügend Blut durchlassen, sich aber auch gut schließen, damit es nicht sinnlos zurückfließt.

Soll die Herzschwäche sich nicht verschlimmern, muss die Klappe ersetzt werden. Doch manche Patienten sind zu alt und zu krank, um eine offene Operation unter Einsatz der Herz-Lungen-Maschine zu überstehen. Ihnen helfen Ärzte seit 2007 vermehrt mit Tavi. 2014 wurden 13 264 neue Aortenklappen auf diesem Weg eingesetzt, 9953 mit einer offenen Operation. Die Zahlen im Deutschen Herzbericht 2015 zu lesen, den die Deutsche Herzstiftung zusammen mit den Fachgesellschaften für Herzchirurgie (DGTHG), Kardiologie (DGK) und Kinderkardiologie (DGPK) erarbeitet hat und der am Mittwoch in Berlin vorgestellt wurde. Deutschland ist demnach Aortenklappen-Implantations-Weltmeister.

Mit Tavi überleben die Patienten länger als nur mit Medikamenten

Das wissenschaftliche Fundament bilden zwei Studien: Der erste Teil der „Partner“-Studien hat belegt, dass Patienten, die nicht operiert werden können, mit Tavi länger überleben als nur mit Medikamenten. Etwas mehr als die Hälfte der Schwerkranken, die keine neue Herzklappe bekamen, aber nur 30 Prozent der Tavi-Patienten waren nach einem Jahr verstorben. Die Nachfolge-Studie zeigte, dass Tavi der offenen Operation unter Umständen nicht unterlegen ist. In den letzten Jahren ist die Komplikationsrate weiter gesunken. Das Risiko, dass nach dem Eingriff doch noch operiert werden muss, sank von 1,8 Prozent im Jahr 2013 auf 0,6 Prozent im Jahr 2014.

Trotzdem ist Tavi bisher keine Konkurrenz für die offene Operation, sondern eine Option für meist hochbetagte Patienten, die mehr als ein Leiden haben und die früher keine neue Klappe bekamen. So steht dem Anstieg der Tavi um 63 Prozent zwischen den Jahren 2007 und 2012 auch kein Abfall der Zahlen für den chirurgischen Klappenersatz gegenüber, die konstant bei rund 10 000 Eingriffen im Jahr liegen. Liegt der Altersdurchschnitt der Operierten bei 69 Jahren, so sind Tavi-Patienten im Schnitt 81 Jahre alt. Jeder Zwanzigste ist sogar über 90.

Herzteams entscheiden, was für den Einzelnen geeignet ist

Große Studien, in denen beide Verfahren bei Patienten mit mittlerem Risiko verglichen werden, laufen bereits. Die Ergebnisse werden Mitte des Jahres erwartet. Er habe keinen Zweifel daran, dass sie zu einer Neubewertung führen, meint Karl-Heinz Kuck, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie und Chefarzt in der Asklepios Klinik St. Georg in Hamburg. Im Jahr 2011 einigte sich seine Fachgesellschaft mit der der Herzchirurgen darauf, in „Herzteams“ gemeinsam über die für den Einzelnen am besten geeignete Behandlungsmethode zu entscheiden. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) legte zudem 2015 fest, dass die Eingriffe nur in Zentren stattfinden sollen, die im Jahr mindestens 50 Patienten behandeln und über eine eigene Herzchirurgie verfügen.

Die Mindeststandards des G-BA betreffen auch ein weiteres Verfahren, das nicht so oft angewendet wird: das Clipping, mit dem beide Segel der Mitralklappe zwischen linker Herzkammer und linker Vorkammer fixiert werden. Die Bedeutung dieser Eingriffe wird steigen. Denn dem Herzbericht ist auch zu entnehmen, dass allein zwischen 2011 und 2013 die Zahl der Patienten, die wegen einer Herzklappen-Krankheit in der Klinik lagen, um zwölf Prozent gestiegen ist. Fast alle waren über 75 Jahre alt.

Schränkt wirklich der Klappenfehler die Lebensqualität ein?

Angesichts der neuen Behandlungen erscheint es auf den ersten Blick widersinnig, dass zwischen 1999 und dem Jahr 2013 die Zahl der Menschen gestiegen ist, die an einer Herzklappen-Erkrankung gestorben sind, und zwar um beachtliche 96 Prozent. Die Autoren des Herzberichts sehen eine Erklärung in der höheren Lebenserwartung, eine zweite in der verbesserten Diagnostik. Sie wirkt sich auf die Angabe auf dem Totenschein aus.

Ein anderes Bild zeichnet der Herzbericht von der Sterblichkeit der Patienten, die einen Infarkt erlitten haben. Zwischen 1990 und 2013 hat sie um 40 Prozent abgenommen – allerdings mit regionalen Unterschieden zu Ungunsten der neuen Bundesländer. Bei der Behandlung der koronaren Herzkrankheit und des Infarkts werde also nicht „zu viel“ gemacht, meint Kuck. Ein weiterer rapider Anstieg der Tavi-Eingriffe berge indes Risiken, heißt es im Herzbericht. Langzeitdaten zur Haltbarkeit der Transkatheter-Klappen fehlten. Sie sollen nun im Deutschen Aortenklappenregister gesammelt werden.

Auch wenn man die Aortenklappe dank Tavi ohne Operation ersetzen kann, ist sie nicht für jeden Hochbetagten das Richtige. Man müsse sicher sein, dass wirklich der Klappenfehler die Lebensqualität einschränke, sagt Armin Welz, Präsident der DGTHG und Herzchirurg am Uniklinikum Bonn. Thomas Meinertz von der Deutschen Herzstiftung mahnt, alle gesundheitlichen Probleme im Auge zu behalten. Kein Zweifel: Die Herzmediziner müssen sich auch der Frage stellen, welche Patienten besser keine neue Herzklappe bekommen sollten.

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