Herzmedizin: Längeres Leben für das Zentralorgan
Der Herzbericht 2014 belegt Fortschritte bei der Behandlung der Muskelpumpe. Aber er zeigt auch, dass es nach wie vor Unterschiede zwischen Ost und West gibt.
Es reimt sich auf Schmerz, man kann es seinem Liebsten schenken, und wer gefühllos und kalt ist, hat angeblich keines. Dabei sind wir darauf angewiesen, dass es pumpt und schlägt. Für die Lyrikerin Ulla Hahn ist das Herz deshalb das „muskulöse Zentralorgan“. Die Sprache des jährlich mit Spannung erwarteten Deutschen Herzberichts ist noch nüchterner. Er ist jedoch seit Jahrzehnten die zentrale Informationsquelle darüber, wie es um die Gesundheit der Herzen in Deutschland bestellt ist. Gestern wurde der Bericht 2014 in Berlin vorgestellt.
Die umfassende Analyse, die die Deutsche Herzstiftung in Teamarbeit mit drei Fachgesellschaften erstellt hat, stimmt in vielen Bereichen optimistisch. Einer davon sind die Herzinfarkte. Heute sind sie für die Betroffenen oft ein Warnschuss, noch vor wenigen Jahrzehnten waren sie meist ein Todesurteil. Starben von 100 000 Einwohnern im Jahr 1980 rund 150 an einem Infarkt, so waren es im Jahr 2012 nur noch 65.
Bessere Behandlung erhöht die Überlebenschancen
Ein Zusammenhang mit der besseren medizinischen Versorgung ist sehr wahrscheinlich. Die Betroffenen rufen schneller Hilfe, die Engstellen der Gefäße werden in spezialisierten Krankenhäusern effektiver mit blutverdünnenden Mitteln oder einem Eingriff per Herzkatheter wieder durchlässig gemacht, Gefäßstützen, Stents, halten sie langfristig offen, Medikamente unterstützen das. Auch im 21. Jahrhundert gab es noch einmal einen deutlichen Rückgang der Sterblichkeit, am meisten profitierte davon die Gruppe der 70- bis 75-Jährigen. Das ergeben die Daten von Statistischem Bundesamt und statistischen Landesämtern, die erstmals um den Datenpool des Zensus von 2011 erweitert wurden.
Allerdings gibt es in Sachen Tod durch Infarkt weiterhin einen deutlichen Unterschied zwischen den Bundesländern, auch wenn der allmählich geringer wird. Trauriger Spitzenreiter ist weiterhin Brandenburg (mit 105 Verstorbenen pro 100 000 Einwohner), gefolgt von Sachsen-Anhalt (103) und Sachsen (94), am glücklichen unteren Ende der Statistik stehen Schleswig-Holstein (46), Hessen (54) und Berlin (56). „Derzeit laufen Studien, mit denen wir den Gründen für diese Unterschiede nachgehen wollen“, sagte der Kardiologe Thomas Meinertz von der Deutschen Herzstiftung. Als plausible Gründe nannte er Lebensstilfaktoren wie stärkeren Zigarettenkonsum, aber auch „ein tendenziell größeres Misstrauen der Bevölkerung gegenüber der stationären Versorgung und ein stellenweise weniger perfektes Notarztsystem“ in einigen neuen Bundesländern.
Herzklappen ohne offene Operation getauscht
Die Daten liefern auch in anderen Bereichen keine Erklärungen für die detailliert erhobenen Zahlen. So hat zwischen 1980 und 2010 die Zahl der Menschen zugenommen, die an Herzrhythmusstörungen und Problemen mit den Herzklappen erkrankt und gestorben sind. Und das, obwohl sich hierfür neue Behandlungsmöglichkeiten eröffnet haben, etwa der Ersatz der Aortenklappe ohne offene Operation, mit dem Herzkatheter, die TAVI (für: Transcatheter Aortic Heart Valve). 11 000 solcher Eingriffe wurden 2014 in Deutschland gewagt, wie der Herzchirurg Jochen Kremer berichtete. Im Deutschen Aortenklappenregister werden die Daten seit 2010 gesammelt. Dass der gemeinsame Bundesausschuss in der letzten Woche einen Beschluss verabschiedet hat, der die Methode Zentren vorbehalten will, in denen internistische und chirurgische Abteilungen existieren, begrüßt Kremer. Die Fachgesellschaft der Internisten hält noch höhere Anforderungen für wünschenswert, wie Christian Hamm, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, hervorhob.
Dass die Statistik trotz all dieser Eingriffe, auch trotz der 75 000 in jedem Jahr neu eingesetzten Herzschrittmacher, mehr Todesfälle mit der Ursache Herzschwäche und Klappenprobleme ausweist, hat sicher zu einem guten Teil mit der alternden Bevölkerung zu tun. So ist die einzige Altersgruppe, bei der tödliche Herzinfarkte seit dem Jahr 2000 zugenommen haben, die der über 90-Jährigen. Bei Licht besehen ist das eine gute Nachricht: Viele von ihnen überlebten mehrere Infarkte. „Offensichtlich haben wir ein Plateau erreicht, ein weiterer Rückgang der Sterblichkeit wird schwierig sein“, sagte Hamm.
Die Gefahr, an einem Herzfehler zu sterben, sank um 80 Prozent
Da die Aufmerksamkeit für Herzleiden, die in den Krankenhäusern die meisten „Fälle“ ausmachen und nach wie vor die Todesursache Nummer eins darstellen, inzwischen deutlich gestiegen ist, tauchen sie möglicherweise heute häufiger auf den Totenscheinen auf, wie Eckart Fleck, Pressesprecher der deutschen Gesellschaft für Kardiologie, zu bedenken gab.
Bei den ganz kleinen Herzpatienten kann der Herzbericht auf jeden Fall auf drastisch verbesserte Überlebenschancen hinweisen. Die Gefahr, an einem schweren Herzfehler zu sterben, reduzierte sich zwischen 1980 und heute um 80 Prozent. „Am meisten profitierten davon die Neugeborenen und die Säuglinge“, berichtete Brigitte Stiller für die Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie. Dabei sei die Zahl der großen Operationen unter Einsatz von Herz-Lungen-Maschinen in den letzten 20 Jahren recht konstant geblieben. Sorgen macht sich ihre Fachgesellschaft allerdings darüber, dass diese Eingriffe in Deutschland nach wie vor auch in kleinen Abteilungen vorgenommen werden, die weniger als 50 Kinder im Jahr operieren, obwohl eine Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen dagegen spricht.
Auch bei Kindern mehr Herzkatheter
Allerdings wird auch bei Kindern inzwischen deutlich mehr mit dem Herzkatheter gearbeitet, 8252 Mal wurde ein solcher Katheter im Jahr 2013 durch das kindliche Gefäßsystem geschoben. „Meist geschah das nicht für die Diagnostik allein, sondern zu dem Zweck, einem Kind eine offene Operation zu ersparen“, sagte die Kinderherz-Spezialistin.
Bei den Erwachsenen sei die vielfach als zu hoch kritisierte Zahl der Herzkatheter-Untersuchungen in den letzten Jahren ziemlich stabil geblieben, berichtete Hamm. Als positiv hob er hervor, dass bei dieser Gelegenheit häufiger als zuvor gleich eine Behandlung erfolgt. „Reine Herzkatheter-Untersuchungen sollten zurückgehen“, forderte der Kardiologe. Möglich sei das auch dank bildgebender Verfahren wie dem MRT (Kernspin), die keinen Eingriff mit sich bringen.