Flagship-Programm zur Quantentechnologie: Revolution mit Quanten
Sichere Kommunikation und bessere Sensoren: Europäische Forscher hoffen auf viel Geld für neue Technologien. EU-Kommissar Oettinger ist bereits überzeugt.
Europa steht wieder eine Revolution bevor. Dieses Mal durch Quantentechnologien, an denen Wissenschaftler seit Jahrzehnten forschen und die nun endlich alltagstauglich werden sollen. Abhörsichere Datenübertragung, extrem präzise Messgeräte und wichtige Schritte auf dem Weg zu einem grundlegend anderen, besseren Hochleistungsrechner – mit diesen Schlagworten werben dreineinhalbtausend Experten in ihrem „Manifest für Quantentechnologie“.
Der Kontinent möge sich an die Spitze der „zweiten Quantenrevolution“ setzen und dafür eine Milliarde Euro ausgeben, fordern die Autoren. Am Dienstag übergaben sie das Manifest an Günther Oettinger, EU-Kommissar für Digitale Wirtschaft. Es soll als Blaupause für ein drittes „Flagship“-Projekt verstanden werden. Unter diesem Namen fördert die EU bereits zwei große Forschergruppen, die sich mit dem menschlichen Gehirn beziehungsweise dem neuartigen Kohlenstoffmaterial Graphen befassen. Noch ist das „Quanten-Flaggschiff“ nicht beschlossen, aber es gibt Hinweise darauf, dass die Initiative erfolgreich sein könnte. Sicher ist, dass sich der Auswahlprozess deutlich von den beiden anderen Großprojekten unterscheidet, was auch Kritik hervorruft.
Sichere Verschlüsselung
Die Autoren des Manifests sparen nicht mit vielversprechenden Ankündigungen, was die zweite Quantenrevolution bringen könnte. Die erste, das zur Erläuterung, basierte auf relativ einfachen quantenmechanischen Prinzipien, ohne die es keine Computer, keinen Mobilfunk und kein Internet gäbe. Die zweite Revolution soll bisher kaum genutzte Quanteneffekte greifbar machen. Dazu gehört die abhörsichere Datenübertragung. Herkömmliche Verschlüsselung beruht darauf, eine sensible Nachricht mit Hilfe extrem großer Zahlen zu chiffrieren, die aus Primzahlen zusammengesetzt sind. Es ist nahezu unmöglich mit den heute verfügbaren Rechnern, solche Riesenzahlen in kurzer Zeit in Primzahlen zu zerlegen – und damit an die Nachricht zu gelangen. Mit einem Quantencomputer könnte das eines Tages gelingen. Die Verschlüsselungen auf Primzahlbasis wären nutzlos. Daher arbeiten Forscher an Sicherungen auf Basis der Quantentheorie. Sie besagt, dass der Zustand eines Quantensystems (das können mehrere Atome oder Lichtteilchen sein) allein durch ihre Beobachtung beeinflusst werden. Verschlüsselt man eine Nachricht mittels Quantentechnologie und wird diese von einem dritten, unbekannten Teilnehmer mitgelesen, würde diese Störung sofort auffliegen.
Präzise Sensoren für Medizin und IT-Technik
Quantenkryptografie nennt sich das Verfahren. „In zehn bis 15 Jahren können wir diese Technik für das Bezahlen mit Kreditkarten einsetzen“, sagt Tommaso Calarco von der Universität Ulm, Direktor am Center for Integrated Quantum Science and Technology (IQST) und einer der führenden Autoren des Manifests. Ein weiteres Ziel der Forscher sind Quantensensoren, die etwa winzige Magnetfelder in Molekülen oder Festkörpern messen und damit bei der Herstellung besserer Speicher helfen können. Das könne man bereits in fünf Jahren schaffen.
Nur beim Quantencomputer sind die Autoren auffallend zurückhaltend. Seit Jahren tüfteln Forscher an diesem Rechnertyp, der nicht mit der bekannten „Ja“-„Nein“-Logik arbeitet, sondern auf dem quantentypischen „Sowohl“-„als auch“ basiert. Mit einem solchen Computer ließen sich nicht allein Verschlüsselungen knacken, sondern vor allem komplexe Aufgaben lösen wie zum Beispiel die optimale Verteilung von Ressourcen in Wirtschaft und Gesellschaft. Firmen wie Google und IBM investieren hohe Millionenbeträge in die Entwicklung von Quantencomputern. „Ob die Technik wirklich in den nächsten zehn bis 15 Jahren einsatzbereit ist, ist aus unserer Sicht nicht sicher“, sagt Calarco. „Wir wollen keine falschen Hoffnungen wecken.“
Forscher wollen aus den Problemen beim "Human Brain Project" lernen
Der letzte Satz ist durchaus als Seitenhieb auf das laufende Flagship „Human Brain Project“ zu verstehen. Man werde die Verknüpfungen unzähliger Nervenzellen im gesamten Gehirn mit Hilfe eines Computers nachbauen, hatte der charismatische Leiter Henry Markram vor drei Jahren angekündigt. Was in zehn Jahren natürlich nicht zu schaffen ist – wenn überhaupt. Hinzu kam der autoritäre Führungsstil Markrams, der zum Zerwürfnis der beteiligten Wissenschaftler führte. Von Größenwahn und Geldverschwendung war in einem Protestbrief die Rede. Inzwischen wurde Markram entmachtet und die inhaltliche Ausrichtung korrigiert.
Das soll beim Quantenflaggschiff nicht passieren. Calarco, der sehr gut mit Wissenschaftlern und Politikern vernetzt ist, spielt seine Bedeutung eher herunter und hebt den Teamgedanken hervor. „Das ist ein Projekt der gesamten Community, nicht etwas, wo sich jemand ins Rampenlicht stellt.“ Als das Manifest verfasst wurde – „Mein Textverarbeitungsprogramm ist wegen der vielen Kommentare fast abgestürzt“ – seien wirklich alle Stimmen berücksichtigt worden.
In der ersten Runde der Flagship-Initiative waren die Forscher leer ausgegangen
Lässt sich die EU davon überzeugen? Schließlich hatten sich die Quantenforscher bereits in der ersten Runde der Flagship-Initiative beworben und es nicht ins Finale geschafft. Inzwischen hat sich einiges getan. Länder wie Großbritannien und die Niederlande haben viel Geld in Quantentechnologie gesteckt, auch Deutschland und Italien planen Investitionen. Nachdem die weitreichenden Abhöraktivitäten einiger Geheimdienste publik wurden, ist das öffentliche Interesse an sicherer Kommunikation gewachsen.
Calarco und Kollegen wandten sich erneut an die Europa-Politiker. Mit Erfolg, Oettinger unterstützt das Vorhaben. Im April fand sich in einer Mitteilung der Europäischen Kommission der Hinweis, dass ein Flaggschiff-Projekt zu Quantentechnologien mit einem Umfang von einer Milliarde Euro gestartet werden soll. Offenbar ohne einen harten Wettbewerb. Das rief Kritik hervor. Wenn solche Flaggschiffe auf Basis bilateraler Gespräche und Manifeste ausgewählt werden, besteht die Gefahr, dass es weniger um einen Wettstreit der besten wissenschaftlichen Ideen als um einen Wettstreit der besseren Lobbyarbeit geht, sagte etwa Adrian Ionescu von der ETH Lausanne dem Fachblatt „Nature“.
Europäischer Rat und Parlament müssen noch zustimmen
„Wir werden in den nächsten Wochen diskutieren und transparent machen, wie das Programm inhaltlich ausgerichtet und organisiert werden wird“, sagt Calarco. Klar ist, dass es keinen „Scheck über eine Milliarde Euro von der Europäischen Kommission“ geben werde. Es handele sich eher um eine Summe, die sich aus nationalen Förderprogrammen, EU-Geld und Mitteln der Industrie zusammensetzt. „In welche Proportionen das erfolgt, ist noch nicht klar“, sagt der Forscher. Geplant sei, dass das Quanten-Vorhaben 2018 startet und über zehn Jahre läuft. Formal müssen noch der Europäische Rat und das Europaparlament zustimmen, das über das nächste Forschungsrahmenprogramm entscheidet, sagt Calarco. Er ist optimistisch, dass das gelingt.