Natur-Management: Eine Formel für den Artenschutz
Welche Maßnahmen sind sinnvoll und effektiv, um Spezies vor dem Aussterben zu bewahren? Das ist berechenbar, sagen Forscher.
Rote Listen verraten schon lange recht zuverlässig, welche Arten in einzelnen Ländern, Regionen oder weltweit bedroht sind. Nur reichen die vorhandenen Gelder oft bei weitem nicht, um alle vor dem Aussterben zu retten. Sollte man in solchen Situationen lieber den letzten beiden überlebenden Nördlichen Breitmaulnashörnern mit teurer und modernster Fortpflanzungsmedizin zu helfen versuchen? Oder sollte eher in Löwen investiert werden, von denen zwar nach Angaben der Naturschutzorganisation WWF noch um die 20 000 Tiere in Afrika leben, deren Zahl aber rapide schrumpft? Leah Gerber von der Arizona State University in Tempe und ihre Kollegen beantworten diese Frage im Fachblatt „Science“ so: Man muss berechnen, wie vorhandene Gelder so effektiv wie möglich eingesetzt werden. Und sie liefern eine Formel dafür.
Rechnen statt Fühlen
Die Weltnaturschutzunion IUCN listet derzeit 2867 Tier- und 2787 Pflanzenarten als „vom Aussterben bedroht“. Bekannt und getestet sind auch zahlreiche Maßnahmen und Konzepte, mit denen diese geschützt werden können. Aus dieser Vielzahl von Möglichkeiten müssen sich staatliche Stellen und Nichtregierungsorganisationen die besten aussuchen. Davor steht aber eben jene andere Frage: Was will man erreichen, und wo sind die Ressourcen am sinnvollsten eingesetzt?
Die Gefahr ist groß, dass mangels leicht ersichtlicher objektiver Kriterien Naturschützer Bauch-, oder zumindest eher emotional begründete Entscheidungen für oder gegen bestimmte Möglichkeiten treffen. Gerber und ihre Kollegen haben eine Formel entwickelt, mit deren Hilfe man ihrer Überzeugung nach ablesen kann, wie effektiv Schutzmaßnahmen für eine Art sein werden. Mit dieser Formel könnten staatliche und private Naturschutzorganisationen die ihnen zur Verfügung stehenden Summen mit optimierter Effektivität einsetzen.
Was bringt's?
In die Formel fließen vier Faktoren ein.
Was die jeweilige Maßnahme bringt, ist der erste. Wird eine Art langfristig stabilisiert, und kann sie vielleicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten wieder ohne Schutzmaßnahmen existieren? Das könnte zum Beispiel beim Wisent der Fall sein. Von diesem Wild-Rind wurde 1927 das letzte in der Natur lebende Exemplar im Kaukasus geschossen. „In Zoos und Tiergehegen konnten gerade einmal zwölf Tiere weiter gezüchtet werden, von denen alle heute lebenden etwa 7100 Wisente abstammen“, erklärt der Geschäftsführer des Verbands der Zoologischen Gärten Volker Homes. Da die Wildrinder in der heutigen Natur kaum noch Feinde haben und auch nicht mehr gejagt werden dürfen, haben Wisente nach dem Auswildern gute Chancen. Heute leben daher zum Beispiel wieder Herden im Bialowieza-Nationalpark zwischen Polen und Weißrussland, in der Sperrzone um den explodierten Tschernobyl-Reaktor in der Ukraine und sogar im Rothaar-Gebirge im Südosten von Nordrhein-Westfalen.
Der zweite Faktor in der Gleichung der US-Forscher ist die Wahrscheinlichkeit, mit der eine Maßnahme zum Erfolg führt: Mit welcher Sicherheit kann die Art dem Aussterben entgehen, wenn genau diese Maßnahme eingesetzt wird?
Der dritte Faktor berücksichtigt weitere Aspekte. Dazu gehört, wie nützlich eine Art ist: Wildbienen und andere Insekten bestäuben zum Beispiel auch Nutzpflanzen und sorgen so für bessere Ernten. Wichtig ist hier aber auch der symbolische Wert. So rutschen Nationalvögel wie der Weißkopfseeadler in den USA oder die am Waldboden lebenden Kiwis in Neuseeland im Ranking des jeweiligen Landes natürlich ebenfalls weit nach oben.
Was kostet's?
Der vierte Faktor sind die Kosten der Maßnahme. Durch sie werden die drei anderen vorher miteinander multiplizierten Werte geteilt. Das Ergebnis ist ein Wert für die Effektivität einer Maßnahme: Je höher die Zahl, desto besser. Verschiedene Möglichkeiten können so direkt und transparent verglichen werden, so Gerber und ihre Kollegen. Ihnen, so schreiben sie, gehe es keineswegs darum, eine oder auch etliche Arten auf Kosten einer anderen zu retten. Sondern Ziel sei, schlicht, möglichst vielen Arten zu helfen.
„Einen ähnlichen Ansatz verfolgen wir mit unseren Flaggschiff-Arten schon seit vielen Jahren“, erklärt Arnulf Köhncke von der Naturschutzorganisation WWF in Deutschland. „Wir nutzen dafür eine charismatische Art wie den Amur-Tiger im russischen und chinesischen Fernen Osten“. Ein Tiger reißt etwa einmal pro Woche ein Wildschwein oder auch einen Hirsch. Beide Arten fressen wieder gern die Früchte von Korea-Kiefer, Mongolischer Eiche und Mandschurischem Walnussbaum. Der Schutz des Tigers spannt sich so wie ein Schirm über viele Arten bis zu jenen Waldbaum-Spezies. Auch so würden, sagt Köhncke, knappe Naturschutzgelder effektiv eingesetzt.
Plane gegen Zähne
Hoch ist die Effektivität meist dann, wenn die Kosten – der Nenner der Artenschutzgleichung – relativ gering ausfallen. Auch dafür nennt Köhncke ein Beispiel: „Seit afrikanische Hirten in der Nacht ihre Herden mit zwei Meter hohen Planen als mobile Zäune schützen, schlagen die Löwen dort keine Nutztiere mehr.“ Diese undurchsichtigen Planen sind vergleichsweise billig, aber halten Löwen effektiv von den Herden fern. Werden keine Rinder mehr gerissen, haben die Hirten auch keinen Grund mehr, den Übeltäter zu töten. Manchmal funktioniert Artenschutz also auch mit einfachen Maßnahmen, die im Ranking der Möglichkeiten daher weit oben landen.