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Bluttests können schon im ersten Trimester der Schwangerschaft anzeigen, ob das Ungeborene eine Trisomie hat.
© Caroline Seidel/dpa

Pränataltests in der Debatte: Ein Test für die Gesellschaft

Werden Kinder mit Trisomie selten, wenn Kassen einen Bluttest bezahlen? Nein. Das bestimmt kein Test, sondern der Zustand der Gesellschaft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Sascha Karberg

Tom war der Ruhepol der Klasse. Immer gut gelaunt rettete der Junge so manche Situation mit einem lustigen Spruch. Beim Fußball war er ebenso gern gesehen wie auf Geburtstagsfeiern. Zwar heißt Tom anders und ist auch sonst ganz anders – geboren mit drei, statt zwei Chromosomen der Nummer 21 pro Zelle, ein Trisomie-, ein Down-Syndrom-Kind. Doch die Kinder in der Berliner Inklusionsklasse interessierte das nicht die Bohne. Anders waren sie alle, irgendwie. Dass Tom nach der sechsten Klasse nicht bei seinen Freunden und Freundinnen bleiben konnte, entschieden Erwachsene. Sie sahen in Tom vor allem dieses Andere, seine Defizite. Sein liebevolles Wesen zählte nicht mehr.

Es geht nicht um den Test, sondern um die Entscheidungsoptionen danach

Kinder wie Tom gibt es viele, schätzungsweise 50000 in Deutschland. Das könnte sich jedoch bald ändern, befürchtet etwa der Berufsverband der Pränatalmediziner BVNP: Wenn es zu einer „unreflektierten und ausufernden Anwendung“ eines neuen vorgeburtlichen Tests kommt. Anhand des Blutes der Schwangeren zeigt er das Risiko einer Trisomie des ungeborenen Kindes an. Erwartet wird, dass in Folge eines solch komfortablen Tests künftig mehr Trisomie-Föten entdeckt und abgetrieben werden: ein frühes Aussortieren von Menschen wie Tom, die zweifellos körperlich und geistig beeinträchtigt, dank moderner Medizin inzwischen aber ein erfülltes Leben mit nahezu normaler Lebensdauer haben können.

Soll und darf ein solcher Test von den Krankenkassen, der Solidargemeinschaft also, künftig bezahlt werden? Der Gemeinsame Bundesausschuss, das Gremium, das darüber im August entscheiden wird, hat dazu Ende März das Verfahren eröffnet und Stellungnahmen von Ethikrat, Ärztekammer und anderen Organisationen angefordert – auch vom Bundestag. Eine „parlamentarische Debatte und Willensbildung“ sei „zwingend notwendig“, hatte der „Unparteiische Vorsitzende“ des GBA, Josef Hecken, schon 2016 angemahnt. Am Donnerstag steht das Thema nun endlich auf der Tagesordnung des Parlaments. Am Montag nahm das CDU-Präsidium das Thema auf die Tagesordnung.

Wichtig ist: Es geht hier nicht um die Entscheidung, ob hierzulande Tests erlaubt sein sollten, die genetisch bedingte Erkrankungen Ungeborener anzeigen. Darüber hat diese Gesellschaft längst entschieden. Die Fruchtwasseruntersuchung wird bei Risikoschwangerschaften von den Krankenkassen ohne Wenn und Aber bezahlt, obwohl die Schwangere dafür punktiert werden und ein Fehlgeburtsrisiko eingehen muss.

 Wer das Geld nicht hat, muss mehr Risiko ertragen?

Schon jetzt entscheiden sich viele Schwangere nach Beratung durch den Arzt für den nicht-invasiven pränatalen Test (NIPT), für den nur ein wenig Blut der Schwangeren entnommen werden muss. Und zahlen dafür je nach Anbieter 200 bis 1000 Euro, meist aus der eigenen Tasche – wenn sie es sich denn leisten können. Dass bedeutet, dass Frauen, die finanziell dazu nicht in der Lage sind, auf die alten Methoden zurückgreifen und ein höheres Risiko eingehen müssen. Das ist ein Missstand, der behoben gehört. Das überhaupt in Frage zu stellen, grenzt an Missachtung der Gesundheit der Frauen, die in diese Situation kommen. 

Ohnehin soll der Test, sagt Hecken, ausschließlich bei Risiko-Schwangerschaften und eben nicht als Reihenuntersuchung oder gar als „Massenscreening“ eingesetzt werden. Also nur in den Fällen, in denen Ärzte aufgrund von Voruntersuchungen den Verdacht auf eine Trisomie bislang mit einer Fruchtwasseruntersuchung abgeklärt hätten. Auch die Befürchtung, dass nach den Tests auf Trisomien alsbald auch nach Dutzenden anderer Erbgutveränderungen im Blut gesucht werden könne, ist ein Schreckgespenst.

Zwar bieten manche Firmen bereits einige Mehrfachtests an, allerdings ist ihre Aussagekraft gering. Während Trisomie 21 mit etwa 0,2 Prozent der Geburten noch vergleichsweise häufig vorkommt, sind die meisten anderen Gendefekte in der Bevölkerung so selten, dass die Fehlerquote der Tests viel zu viele falsche Befunde – und in der Konsequenz womöglich Abtreibungen gesunder Föten – nach sich ziehen würde.

Utopie? Eine Gesellschaft, in der die Entscheidung für ein Kind mit Down-Syndrom möglich ist

Worüber sollte der Bundestag also debattieren? Über die Entscheidung, ob eine Schwangere den Bluttest oder andere diagnostische Methoden in Anspruch nehmen darf und wie sie mit dem Ergebnis umgehen soll? Wohl nicht, denn das kann und darf ihr niemand abnehmen. Nicht einmal der Partner und schon gar nicht die Politik.

Den Weg zurück in eine Zeit ohne Diagnostik, als auch keine Entscheidung notwendig oder möglich war, in der das Schicksal in Gottes oder des Zufalls Hand lag, ist für die meisten Schwangeren wohl keine Option. Wer also will, dass mehr als die derzeit zehn Prozent der Schwangeren so mutig sind, sich für ein Kind mit Trisomie-21 zu entscheiden, der muss die Gesellschaft so verändern, dass sich Menschen wie Tom und seine Familie in ihr geborgen und wertgeschätzt fühlen. Und die Grundschulkumpel auch als Erwachsene miteinander und nicht nur nebeneinander her leben können. Wie sich das erreichen lässt, darüber hätte der Bundestag viel zu debattieren.

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