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Der südkoreanische Go-Profi Lee Se-dol setzt gegen den Computer AlphaGo den ersten Stein.
© Reuters

Menschliche Computer: Die vierte Kränkung

Ein Computer schlägt einen südkoreanischen Meisterspieler im Brettspiel Go - anscheinend ist selbst der Verstand keine Bastion des Menschen mehr. Trotzdem ist der Weg zur wahrhaft künstlichen Intelligenz noch weit. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Es ist scheinbar nur ein Spiel. Und doch ist Go weit mehr. Für seine Anhänger ist das spartanische, gerasterte Spielbrett mit seinen schwarzen und weißen Linsen eine Bühne des Lebens, auf der sich Persönlichkeit, Temperament und Philosophie des Spielers spiegeln. Das Jahrtausende alte asiatische Go-Spiel steht für strategisches Denken, für menschliche Kreativität und Intelligenz. Es gilt als das komplexeste Brettspiel und besitzt mehr Spielvarianten als es Atome im Universum gibt. Ein Computer, der gegen einen Menschen spielt, muss deshalb auch mehr als nur ein Computer sein. Er muss neben brutaler Rechenpower Intuition besitzen. Er muss ein bisschen menschlich sein.

Was bisher als nahezu unmöglich galt, ist nun geglückt. Der Computer AlphaGo des amerikanischen Internetgiganten Google hat den koreanischen Meisterspieler Lee Sedol besiegt, in drei von vier Partien. AlphaGo hat gewissermaßen den Mount Everest der künstlichen Intelligenz bestiegen, gegen den der Sieg gegen einen Schach-Weltmeister wie ein Spaziergang auf den Kreuzberg anmutet. Erfahrene Go-Spieler konnten keinen Unterschied zu einem menschlichen Spieler mehr ausmachen.

Es ist eine erneute Kränkung des Menschen. Homo sapiens musste lernen, dass er weder im Mittelpunkt des Universums steht, noch die Krone der Schöpfung ist. Er musste erfahren, dass sein Ich von Trieben beherrscht wird. Und nun ist anscheinend selbst der Verstand keine Bastion des Menschen mehr. Rechner können ihn nachahmen und, mehr noch, übertreffen. Das ist die vierte Kränkung. Zugespitzt gesagt: Wird es Zeit, dass das Gehirn, der Computer aus Fleisch, das Feld räumt und es dem Computer aus Metall, Kunststoff und Silizium überlässt?

Die Intelligenz von AlphaGo ist nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns entwickelt

Demis Hassabis, der Kopf hinter AlphaGo, hebt hervor, dass die künstliche Intelligenz des Computers nach dem Vorbild des menschlichen Gehirns entwickelt wurde. Seine Rechenprogramme sind davon inspiriert, wie der Mensch Sinneseindrücke im Gehirn verarbeitet oder wie Nervenzellen untereinander vernetzt sind; das Programm ist zudem darin geschult, selbstständig zu lernen und sich damit zu perfektionieren.

Spiele sind dabei nur der Anfang. Sie sind für die künstliche Intelligenz das, was Taufliegen für Biologen sind – ein Testsystem, um Annahmen zu prüfen. Wenn sie sich bewähren, werden AlphaGos Kinder irgendwann auf die Menschheit losgelassen. Sei es in Fahrzeugen, Robotern, Labors oder im Internet. Stellt sich nur die Frage, wann die Computer so weit sind, dass sie selbst schöpferisch werden und Produkte hervorbringen, die bisher dem Menschen vorbehalten waren. Wie wäre es mit Beethovens Zehnter oder dem 14. Album der Beatles?

Trotzdem sollte man nicht glauben, dass die Google-Programmierer ein Gehirn nachgebaut hätten. Das liegt nicht nur daran, dass wir von einem wirklichen Verstehen unseres Denkorgans (und menschlicher Intelligenz) noch weit entfernt sind. Die Architektur des Gehirns mit seinen vielfältigen Verschaltungen unterscheidet sich grundsätzlich von der des Rechners, der seine Mängel durch Schnelligkeit und Gedächtnisspeicher ausgleichen muss. Nicht zu vergessen: Die im Computer getrennte Hard- und Software sind im Gehirn eins. Der Weg zur wahrhaft künstlichen Intelligenz ist noch weit, und er führt allein über die natürliche.

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