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Streitfall Gentechnik. Anne Glover spricht sich öffentlich immer wieder für gentechnisch veränderte Pflanzen aus. Dadurch gerät sie ins Visier von Greenpeace und anderen NGOs (hier eine Demo gegen „Genmais“). Diese versuchen, Glover zu diskreditieren.
© REUTERS

Wissenschaft und Politik: Die unbequemen Wahrheiten der Anne Glover

Können Forscher Politiker beeinflussen? Die schottische Biologin war die erste wissenschaftliche Beraterin der EU - bis sie einer Intrige zum Opfer fiel.

Missmutig, enttäuscht, verbittert? Nein, so wirkt Anne Glover überhaupt nicht. Gut gelaunt sitzt sie in der kleinen Bibliothek der Robert-Bosch-Stiftung an der Französischen Straße in Mitte. Berlin? So inspirierend! Ihre Mit-Fellows an der Robert-Bosch-Academy? Hochinteressante Leute! Anne Glover, 59 Jahre alt, Biologie-Professorin aus Schottland, lächelt und erzählt und sprüht vor Energie.

Dabei hätte die Wissenschaftlerin allen Grund, unzufrieden und ernüchtert zu sein. Erst wenige Monate ist es her, dass sie von der EU-Kommission stillos abgefertigt wurde. Eine kurze E-Mail, abgesendet nicht von Präsident Jean-Claude Juncker oder seinem Team, sondern von einem anderen Kommissionsmitglied, beendet ihr dreijähriges Engagement als „Chief Scientific Adviser“ im November 2014 abrupt. Sie ist damit die erste und vielleicht auch die letzte wissenschaftliche Politikberaterin des Präsidenten der Europäischen Kommission gewesen. „Es war immer klar, dass ich einen Zeitvertrag hatte“, sagt sie.

Plötzlich ist sie raus - und es gibt keinen Nachfolger

Der Abbruch jeglichen Dialogs kommt trotzdem unerwartet. Seit September 2014 hatte sie sich um einen Kontakt zu Juncker bemüht, hatte Vorschläge unterbreitet, wie die Position in Zukunft gestaltet werden könnte. Doch Juncker hat keine Zeit oder keine Verwendung für einen wissenschaftlichen Berater. Glover wird von einem Tag auf den anderen abgesägt, ein Nachfolger nicht installiert. Die wissenschaftliche Community in ganz Europa reagiert empört, Glover bekommt Rückendeckung von namhaften Kollegen und Forschungseinrichtungen.

Anne Glover. Bis 2014 war die Biologin Wissenschaftliche Chefberaterin des Präsidenten der EU. Nach einem Forschungsaufenthalt in Berlin kehrt sie demnächst nach Schottland zurück.
Anne Glover. Bis 2014 war die Biologin Wissenschaftliche Chefberaterin des Präsidenten der EU. Nach einem Forschungsaufenthalt in Berlin kehrt sie demnächst nach Schottland zurück.
© Robert Bosch Academy/ Bohm

Was war passiert? Um die Geschichte zu verstehen, muss man ein bisschen ausholen, ein paar Jahre zurückgehen. 2001 wird Anne Glover, die in Cambridge promoviert hat, Professorin für Molekular- und Zellbiologie an der Universität Aberdeen in Schottland. Schon bald interessiert sie sich für Wissenschaftsförderung und -politik. Sie ist in zahlreichen nationalen Komitees und Gremien aktiv. Eher zufällig wird Glover dann 2006 die erste wissenschaftliche Politikberaterin der schottischen Regierung. „Ein Freund hat mich auf die Stellenausschreibung aufmerksam gemacht.“

Sie bringt den Katastrophenschutz auf einen aktuellen Stand

Es ist ein Sprung ins kalte Wasser. Weder sie noch die schottische Regierung haben detaillierte Vorstellungen, wie wissenschaftliche Erkenntnisse in aktuelle Regierungsgeschäfte einfließen können. Glover muss ihre Position quasi selbst erfinden. Sie lacht: „Sie wussten nicht genau, was sie wollten, ich wusste es auch nicht. Aber im Nachhinein war es vermutlich das Beste, was ich in meinem Leben getan habe.“

Fünfeinhalb Jahre lang, bis 2011, bleibt Anne Glover Beraterin in Schottland. Das Regierungsteam ist klein, die Wege kurz, sie kann viel anstoßen. Sie kümmert sich um die Neuausrichtung der Grundschulbildung, um Finanzierungsmodelle für Universitäten, um die Zusammenarbeit zwischen schottischen Wissenschaftlern und Unternehmen – und auch darum, den staatlichen Katastrophenschutz auf den neusten Stand der Forschung zu bringen. Wo sie sich selbst nicht auskennt, holt sie sich den Rat von Kollegen und übersetzt deren Empfehlungen in eine Sprache, die Politiker verstehen. „Ich sah meine Rolle darin, wissenschaftliche Erkenntnisse so aufzubereiten, dass die Regierung daraus Schlüsse ableiten konnte.“ Es ist eine fruchtbare Zusammenarbeit, Glover liebt den Job. Sie habe „such a good time“ gehabt, sagt sie, so eine gute Zeit.

"Gathering the evidence": Beweise sammeln

2009 wird der damalige Präsident der EU-Kommission José Manuel Barroso auf Glover aufmerksam, er ist selbst auf der Suche nach einem wissenschaftlichen Berater, der ihm direkt zuarbeitet. Mehrmals treffen sie sich. Barroso lädt auch andere Kandidaten ein, aber offiziell ausgeschrieben wird die Position nicht. Heute sagt Glover, das sei nicht gut gewesen, „nicht transparent“.

2012 wechselt sie nach Brüssel. Der Einstieg ist schwer. Glover verfügt nur über ein sehr kleines Team, Barroso hat wenig Zeit und auch sonst wartet niemand auf ihre Ratschläge und Empfehlungen. Worin ihre Aufgaben überhaupt bestehen sollen, für welche Themenfelder sie zuständig ist, wie ihre Expertise durchsickern soll? Niemand weiß das. Glover muss ihre Rolle erneut selbst erfinden. Relativ schnell beschließt sie, sich zumindest in einem Punkt klar zu positionieren: „Ich wollte nicht Politik für die Wissenschaft machen, sondern Wissenschaft für die Politik.“ Gathering the evidence, nennt sie das, Beweise sammeln.

Verlässliche und unabhängige Beratung für Politiker

Das ist ihr großes Anliegen, darauf kommt sie immer wieder zu sprechen: Es müsse doch möglich sein, die politischen Entscheidungsträger verlässlich und unabhängig über den neusten Stand der Forschung zu informieren, ihnen zu erklären, was einerseits als wissenschaftlich erwiesen gilt, wo also ein breiter Konsens unter Wissenschaftlern herrscht, und was andererseits noch umstritten oder nicht genügend erforscht ist. Wenn Politiker diese Fakten kennen würden, dann könnten sie ihre Entscheidungen entweder danach ausrichten – oder sie gegebenenfalls auch bewusst ignorieren. Aber sie könnten hinterher nicht behaupten, keine zuverlässigen Informationen gehabt zu haben.

Beispiel Gasgewinnung mithilfe von Fracking. Glover beobachtet, wie im EU-Parlament argumentiert wird. Die Staaten, die über Gasvorkommen verfügen, bestreiten gerne die wissenschaftlich erwiesenen Risiken. „Die Politik zitiert die wissenschaftliche Evidenz da, wo sie ihr nützt – und schiebt sie beiseite, wo sie ihre Pläne stört.“

Anne Glover beschließt, ihre Rolle als Chief Scientific Adviser größer zu denken, radikaler, umfassender. Sie will nicht nur Barroso mit persönlichen Briefings versorgen, die sie auf ausdrücklichen Wunsch seines Büros nicht mal veröffentlichen darf. Sie will die Debatten in Brüssel auf ein wissenschaftliches Fundament stellen. Zwei hochkarätige Expertenkreise setzt sie zwischen 2012 und 2014 zusammen. Glovers Vision: Wissenschaftler aus unterschiedlichen Ländern und Disziplinen sollen sich über Themen austauschen, die für Europa politisch von großer Bedeutung sind, und gemeinsam eine Position erarbeiten. Mehr nicht. „Hier endet die Rolle der Wissenschaft“, sagt sie. Welche Themen das sein könnten? Glover zählt einige auf: „Klimawandel, gentechnisch veränderte Nutzpflanzen, Einsatz von Pestiziden, Fracking.“ Die Berichte der Wissenschaftler sollten der Kommission vorgelegt werden. Und natürlich müssten die Erkenntniswege transparent und die Quellen öffentlich gemacht werden.

Anti-Gentech-Aktivisten streuen falsche Informationen

So weit die schöne Theorie. In der Praxis wird Glovers Evidenz-Enthusiasmus auf eine harte Probe gestellt. Weil sie sich öffentlich immer wieder für gentechnisch veränderte Nutzpflanzen ausspricht, weil sie nicht müde wird, darauf hinzuweisen, dass diese Technologie aus Sicht der Wissenschaft „safe“ ist, gerät sie in Brüssel schnell ins Visier von Greenpeace und anderen Nichtregierungsorganisationen. Jemand streut falsche Informationen im Netz: Sie habe früher für das US-Unternehmen Monsanto gearbeitet, das unter anderem Saatgut von gentechnisch verändertem Mais vertreibt.

„Das war eine Lüge“, sagt sie. „Ich habe nie für Monsanto gearbeitet, ich habe sie nie beraten, nie getroffen, nichts.“ Es sei nur darum gegangen, sie öffentlich zu diskreditieren. „Man wollte mich als Marionette der Wirtschaft darstellen.“ Dass ausgerechnet NGOs den Dialog mit ihr verweigern, dass sie wissenschaftliche Studien ignorieren und nicht vor dubiosen Taktiken zurückschrecken, das alles hat sie sehr getroffen und enttäuscht. „Damit rechnet man nicht.“

Ob der Streit, der im Juli vergangenen Jahres in einem offenen Brief einiger NGOs an Juncker mündete, etwas mit dessen Entscheidung gegen eine Neubesetzung von Glovers Stelle zu tun hat, ist nicht bekannt. Jetzt liegt alles brach, was Glover angeschoben hat. Die Expertenkreise treffen sich nicht mehr.

Die Expertenkreise treffen sich nicht mehr

Die Biologin ist dennoch zuversichtlich. „Der Geist aus der Flasche“, sagt sie. Das ist auch einer der Gründe, warum sie seit diesem Frühjahr als Fellow der Bosch-Academy in Berlin ist: Das Interesse an wissenschaftlicher Beratung seitens der Politik sei immens, sagt sie, besonders in Deutschland. Die EU will statt einer Einzelperson jetzt ein siebenköpfiges Panel von Forschern einsetzen, die die EU-Kommission beraten sollen, wie am Mittwoch bekannt wurde. Vielleicht können diese an die von Glover geschaffenen Netzwerke anknüpfen.

Sie selbst wird dabei keine aktive Rolle mehr spielen. Noch ist sie in Berlin, im Juni geht es zurück an ihre alte Wirkungsstätte, an die Universität Aberdeen. Darauf freut sie sich sehr: „Es gibt so viel zu tun!“

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