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Starker Einsatz. An Schulen im sozialen Brennpunkt sind die Anforderungen an die Lehrer besonders hoch. Hier ein Archivbild von einem Musikprojekt an der Nürtingen-Grundschule in Kreuzberg.
© Thilo Rückeis

Brennpunkt-Schulen: Die stärksten Schulen für die Schwachen

Migranten bleiben in der Schule meist unter sich, mit gravierenden Folgen. Experten suchen neue Wege aus der Krise. Weil die verordnete Mischung der Schüler gescheitert sei, fordern sie massive Investitionen in Brennpunkt-Schulen.

Man kann nicht oft genug auf den traurigen Tatbestand hinweisen: Die Segregation in der deutschen Schullandschaft schreitet weiter voran. Als segregiert beziehungsweise entmischt gilt eine Schule, wenn mehr als die Hälfte ihrer Schüler einen Migrationshintergrund hat. In den deutschen Großstädten besuchen knapp 70 Prozent der Grundschüler mit ausländischen Wurzeln eine solche Schule. In mittelgroßen Städten trifft das auf 57 Prozent der Grundschüler mit Migrationshintergrund zu, in Kleinstädten auf 41 Prozent. Dagegen besuchen nur 17,1 Prozent der Kinder mit deutschen Wurzeln in der Großstadt eine Grundschule mit über 50 Prozent Zuwandereranteil.

Das ist das Ergebnis einer Studie zum Thema Bildungssegregation, die der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen am Donnerstag in Berlin vorgestellt hat. Zugrunde lagen Daten des Mikrozensus, Schulstatistiken einzelner Bundesländer und die internationalen Schulleistungsuntersuchungen Iglu und Timss von 2011.

Die Folgen der schulischen Trennung von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund in Großstädten sind gravierend. Oft überlagern sich bei Kindern aus Zuwandererfamilien Faktoren, die ihren Lernerfolg hemmen: Die Familien leben am unteren Rand der Gesellschaft, sprechen wenig Deutsch und verfügen über wenig Wissen, das ihren Kindern in deutschen Schulen hilft. Wenn diese Kinder schon in der Grundschule mehrheitlich mit Kindern aus ähnlichen Familien zusammen sind, verschlechtert das von Anfang an ihre Chancen. Sie schaffen es wesentlich seltener auf ein Gymnasium und haben wesentlich schlechtere Chancen auf dem Ausbildungsmarkt.

Mit Bussen in die besseren Viertel? Gescheitert!

Alle Bemühungen, die Entmischung der Schulen aufzuhalten, seien gescheitert, konstatiert der Sachverständigenrat. Weder „Busing“ nach amerikanischem Vorbild, wobei Schüler aus Brennpunktschulen mit Bussen in andere Schulen gefahren werden, noch die Regulierung über den Zuschnitt von Schuleinzugsgrenzen hätten zu einer ausgewogeneren Mischung der Schülerschaft geführt. Wenig geholfen haben auch besonders profilierte „Magnetschulen“, Bildungsgutscheine oder die freie Schulwahl. Dies alles lasse sich ohnehin nicht „von oben“ erzwingen.

Die Schlussfolgerungen der Forscher zielen in eine komplett neue Richtung. Sie schlagen vor, erstens die Tatsache zu akzeptieren, dass es viele entmischte Schulen gibt und zweitens diese Schulen ganz anders als bisher zu stärken – und zwar flächendeckend und in Kooperation über Schul- und Ländergrenzen hinweg. „Die lernschwächsten Schüler brauchen die stärksten Schulen“, sagt Jan Schneider. „Davon sind wir noch weit entfernt.“ Schneider leitet den Forschungsbereich Integration und Migration beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen.

Ein Leitbild für entmischte Schulen: interkulturelle Öffnung

Schneider und sein Team fordern, nicht mehr wie bisher allen Schulen das gleiche pädagogische und finanzielle Konzept überzustülpen, das letztlich immer noch an der homogenen Schülerschaft mit deutschen Wurzeln orientiert sei. Neues Leitbild für die entmischten Schulen müsse die „interkulturelle Öffnung“ sein, das heißt die „an vielen segregierten Schulen immer noch vorherrschende Orientierung am ,deutschen Durchschnittsschüler’ allmählich anzugleichen an die vielfältige Lebenswirklichkeit der Schüler vor Ort.“ Erfolgreich könne dies nur sein, wenn alle Bereiche der Schule mitmachten. Isolierte Fördermaßnahmen einzelner Lehrer seien wenig erfolgreich.

Nur 42 Prozent der Lehrer erwarten sehr gute Leistungen

Die Lehrerkollegien müssten sich bei der Förderung schwacher Schüler mehr abstimmen, der Unterricht individualisiert sein. Klassenlehrer müssten ihre Klassen „souverän“ und mit „klaren Regeln“ führen. Gleichzeitig sollten Lehrer ihre Schüler ernst nehmen und hohe Erwartungen an sie stellen. Denn auch das ergeben die Untersuchungen: An entmischten Schulen erwarten nur 42 Prozent der Lehrer von ihren Schülern sehr gute Leistungen. Bei den Kindern führe das nicht selten zu der Ansicht: „Ich bin doch Ausländer, ich darf schlecht sein.“ Oder zur Abwertung der eigenen Person: „Ich kann sowieso nichts.“ Die Forscher drängen auch darauf, nichts unversucht zu lassen, um die Eltern einzubinden. „Der deutsche Standardbrief“ helfe da nicht immer weiter, sagt Jan Schneider.

Die bisherige Lehrerausbildung sei unzureichend. Für Lehramtsstudenten gehöre es nur an jeder fünften Hochschule zum Pflichtprogramm, sich pädagogische Kompetenz im Umgang mit einer heterogenen Schülerschaft anzueignen. „Es braucht viel mehr Module“, sagt Jan Schneider. Außerdem müssten alle Lehrer, die an einer entmischten Schule arbeiten, „systematisch fortgebildet“ und das Erlernte umgesetzt werden. 60 Prozent der Schulleiter in Berlin und Brandenburg gaben laut Studie allerdings an, dass sie aufgrund mangelnder Ressourcen überhaupt keine Fortbildungen umsetzen könnten.

Schluss mit der Gießkanne für alle Schulen

Der Sachverständigenrat fordert Länder und Kommunen deshalb auf, Geld nicht weiter „nach dem Gießkannenprinzip“ zu verteilen, sondern auf der Grundlage eines „Sozialindex“. In Bremen und Hamburg werde dies bereits praktiziert. „Segregierte Schulen, in denen häufig viele sozial benachteiligte Schüler lernen, benötigen zusätzliche personelle und materielle Ressourcen“, sagt Jan Schneider.

Wichtig sei auch eine enge Zusammenarbeit der Schulen mit Sportvereinen und Kultureinrichtungen, um den Kindern ein attraktives Nachmittagsprogramm zu bieten. Auch hier mahnen die Forscher: Einzelne Projekte nützen nicht viel, gefragt sind nachhaltige Kooperationen, die besser gelingen, wenn sie durch die Kultusministerien unterstützt werden.

Die Forscher haben etliche Modellschulen gefunden, die nach diesen Prinzipien erfolgreich arbeiten. Die Modellprojekte müssten flächendeckend verstetigt werden. Doch die Bereitschaft der Bildungspolitiker, grundsätzlich umzudenken, sei noch gering ausgeprägt, konstatiert der Sachverständigenrat. Viel Zeit bleibt nicht. 43 Prozent der unter 15-jährigen Berliner kommen heute schon aus Einwandererfamilien.

Claudia Keller

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