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Seit langem wird darüber diskutiert, ob Schüler aus deutschstämmigen Familien und solche mit Migrationshintergrund gleichmäßiger auf die Schulen der Stadt verteilt werden können. So könnte die Lage in Brenntpunktkiezen entspannt werden. Ein Mittel dazu wäre das sogenannte „Busing“. Doch dies gilt als rechtlich problematisch und politisch kaum durchsetzbar.
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Bildungschancen: Mit dem Schulbus zur Integration

Die hohe Migrantenquote in Brennpunktkiezen begünstigt Ressentiments. Eine bessere Durchmischung könnte helfen. Ein Mittel dazu wäre das sogenannte "Busing", der tägliche Transport von Schülern in andere Stadtteile.

„Du deutsche Kartoffel!“ – dieser Ausspruch ist noch eine mildere Form der Beleidigung. „Du Opfer!“ oder „Schweinefleischfresser“ – auch das müssen sich Schüler anhören, wenn sie in einer Schulklasse zu den wenigen verbliebenen Jugendlichen deutscher Herkunft gehören. Wenn ihre Mitschüler mit migrantischem Hintergrund derart verbal oder auch körperlich aggressiv werden, tun sie das oft, weil sie sich diesmal nicht ausgegrenzt, sondern stark fühlen, weil sie die Mehrheit sind. Mobbing gegenüber deutschen Klassenkameraden gibt es vereinzelt vor allem an Sekundarschulen mit hohem Ausländeranteil in Brennpunktkiezen, aktuelle Fälle haben die Öffentlichkeit jetzt aufgeschreckt. Wenn es schon so weit gekommen ist, muss man da nicht völlig neue Wege in der Bildungspolitik gehen?

„Wir müssen unbedingt etwas ändern zugunsten der ganzen Gesellschaft“, sagt der Berliner Stadtforscher Hartmut Häussermann. „Wir müssen die Zusammensetzung an den Schulen ändern.“ Häussermann spricht sich dafür aus, die Anzahl von bildungsfernen Migranten pro Schule zu senken und diesen Kindern durch einen „Busing“-Transport mit Schulbussen zu Lehranstalten mit weniger schulschwachen Ausländern bessere Bildungschancen zu eröffnen. In Frankreich habe man schon gute Erfahrungen damit gemacht. Es gibt dort zudem erste innovative Modellschulen. Auch Italien setzt jetzt auf mehr Durchmischung, dort will man an Schulen künftig eine Migrantenquote einführen: Ihr Anteil soll nicht über 30 Prozent liegen.

In Deutschland steht man diesem Konzept skeptischer gegenüber. Christ- und Sozialdemokraten wie auch Liberale lehnen das als Eingriff ins Elternwahlrecht und als zudem diskriminierend gegenüber den Migranten ab. Sie fordern, die einzelne Schule im Kiez müsse ihr Profil schärfen und würde dann mehr deutsche Klientel anlocken.

Schon fast die Hälfte aller Jugendlichen in Berlin sind nichtdeutscher Herkunft, zahlreiche der türkisch- und arabischstämmigen Kinder verlassen die Schule ohne Abschlusszeugnis oder mit schlechten Noten. Stadtforscher Häussermann zufolge wird die Stadt und ihre Wirtschaft die negativen Auswirkungen schon in zehn Jahren spüren, wenn nicht Grundlegendes geschehe. „Ich fordere das ,Busing‘ schon seit Jahren, aber weil Politiker damit keine Wählerstimmen beim bürgerlichen Lager holen können, traut sich keiner an das Thema heran.“ Für die Schulen, in denen der Nachwuchs des Bildungsbürgertums lernt, benutzt er gar den Begriff der „Apartheidsschulen“. In einer Stadt nahe Lyon habe man hingegen eine „Katastrophenschule“ aufgelöst, die Kinder werden mit Bussen in andere Schulen gebracht. Jeweils zwei, drei der Jungen und Mädchen aus dem Brennpunktkiez würden nun anderswo in den Klassen besser lernen.

„Man stelle sich vor, wir karren Busladungen von Jugendlichen kreuz und quer durch die ganze Stadt“, sagt Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD). Er sei ja für unkonventionelle Konzepte bekannt, aber für eine Migrantenquote an Schulen könne er sich nicht erwärmen. Auch wenn es hier und dort Probleme wegen „migrantischem Rassismus infolge des Revierverhaltens pubertierender, bildungsferner, religiös fanatischer Jugendlicher“ gebe, lehnt er Zwangszuweisungen ab. „Das reißt ein Konglomerat von Problemen auf, inklusive gerichtlicher Auseinandersetzungen, weil Eltern sofort klagen würden.“ Und wie wollte man überhaupt die Verteilung regeln, fragt sich Buschkowsky. „Holen wir dann die Russenkinder aus Marzahn nach Neukölln und die Araber bringen wir dann dorthin?“ Auch sein Parteifreund und Bildungssenator Jürgen Zöllner lehnt eine Quotenregelung als vermeintliche Lösung sozialer und ethnischer Segregation, also Trennung, ab.

Geschehen muss etwas, das ist klar. „An mich hat sich eine Mutter eines deutschen Kindes gewandt, schriftlich und anonym“, berichtet die innenpolitische Expertin der SPD-Fraktion, Bilkay Öney. Die Frau schrieb, auch ihr Kind werde gemobbt. Sie wollte aber politisch korrekt vorgehen – und hatte sich deshalb extra an die türkischstämmige Abgeordnete gewandt.

Annette Kögel

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