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Müllzeitalter. Der Abfall des Menschen prägt eine ganze Erdepoche.
© picture alliance / Francis R. Malasig

Salon der Komischen Oper und Schering Stiftung: Die Spur des Menschen

Sind Plastik und Atommüll Grund genug, dieses Erdzeitalter „Anthropozän“ zu taufen? In der Komischen Oper diskutierten Experten.

„Die Welt wird schöner mit jedem Tag.“ Das schlichte Lied „Frühlingsglaube“ von Franz Schubert, das im Foyer der Berliner Komischen Oper zu hören ist, passt gut zum lauen Spätfrühlingsabend. „Man weiß nicht, was noch werden mag“, so dichtete Ludwig Uhland weiter und meinte das optimistisch, als Hinweis auf weiteres Blühen und Gedeihen in der Natur und in den Herzen der Menschen. Reinhold Leinfelder hingegen ist sich eher unsicher über die kommenden Geschicke unseres Planeten, angesichts von Plastikmüll, Aluminiumproduktion, Betonbauten und Atomversuchen: „Unser Erdsystem ist anders geworden, und das Neue kommt durch den Menschen“, sagt der Geobiologe, der an der Freien Universität lehrt und im Exzellenzcluster „Wissen Bild Gestaltung“ der Humboldt-Universität forscht. Das Erdzeitalter, in dem wir leben, müsse daher „Anthropozän“ genannt werden, forderte Leinfelder Anfang der Woche bei einer Diskussionsrunde, dem „Salon“ von Komischer Oper und Schering-Stiftung. Für den ehemaligen Direktor des Museums für Naturkunde in Berlin und früheren Berater der Bundesregierung in Sachen Umweltveränderungen habe der Begriff durchaus auch mahnenden Charakter: „Wir müssen zu einer nachhaltigen Welt kommen“, sagt Leinfelder.

Das Zeitalter des Menschen

Der Begriff „Anthropozän“ wurde erstmals zur Jahrtausendwende auf einem Treffen von Erdsystem-Wissenschaftlern vorgeschlagen. Seitdem wird über ihn gestritten. Wann soll diese erdgeschichtliche Epoche, die am ehesten eine durch das Industriezeitalter geprägte geologische Wende bezeichnet, überhaupt begonnen haben? Schon ab 1750, im 19. Jahrhundert mit den neuartigen Fabriken, oder erst später, in der elektrifizierten und autogerechten Welt, in der der Kohlendioxidausstoß so schnell anstieg wie noch nie zuvor? Zu dieser menschengemachten Veränderung der Atmosphäre passt es gut, wenn in der Komischen Oper an diesem Abend auch das „Air“ von Johann Sebastian Bach zum Vortrag kommt.

Auf dem Podium teilt der Philosoph und Anthropologe Wolfgang Welsch, Träger des Max-Planck-Forschungspreises 2016, die Sorgen des Geowissenschaftlers Leinfelder. „Auch was die Verantwortung des Menschen angeht, stimme ich vollkommen zu.“ Welsch mahnte aber auch zur Vorsicht, was die Neubenennung des Erdzeitalters betrifft, in dem wir leben. „Erdzeitalter werden im Allgemeinen im Nachhinein benannt.“

Auch der Begriff „Holozän“ (gänzlich neues Erdzeitalter) sei nicht im Nachhinein vergeben worden, konterte Leinfelder. Er bezeichne eine Epoche, die noch andauert – auch wenn sie vor 11 700 Jahren begonnen hat. Welsch stört aber auch, dass die Funktion des Begriffs Anthropozän nicht klar sei. „Es ist eine Diagnose, tut aber so, als wäre es eine Prognose.“

"Der Mensch ist kein Sonderwesen"

Der Kulturphilosoph hat einen verwandten Begriff für die Form des menschlichen Denkens geprägt, die seiner Diagnose nach seit Mitte des 18. Jahrhunderts herrscht: das „anthropische“ Denken, in dem sich der Mensch als zentrale Figur begreift. In der Antike habe der Mensch als Träger des Geistes, im Mittelalter in seiner Funktion als Gottes Geschöpf einen abgeleiteten, sekundären Mittelpunkt gebildet, in der Neuzeit stehe er dagegen ganz im Mittelpunkt. „Doch es ist ein Fehler, den Menschen als Sonderwesen zu sehen“, mahnte Welsch, der seit Jahren für eine Philosophie aus evolutionärer Perspektive plädiert.

Nimmt der Mensch sich als Bewohner der Erde zu wichtig? Kein Zweifel, dass dieses „Sonderwesen“ seine Stellung auf dem Planeten seit Beginn des Holozäns entscheidend verändert hat: Machten der Mensch und seine Nutztiere vor über 10 000 Jahren nur rund ein Prozent der Säugetiere aus, so sind es heute rund 96 Prozent, wie Leinfelder vorrechnete.

Sollten wir dann nicht lieber vom „Homogenozän“ sprechen, weil gleichzeitig die Artenvielfalt auf dieser Erde abnimmt? Welsch äußerte stattdessen eine gewisse Sympathie für den kämpferischen Begriff „Kapitalozän“ – die erdgeschichtliche Epoche, die vom Kapital und vom Wachstum geprägt ist. „Nicht die ganze Menschheit, sondern diejenigen, die an der Front des Kapitalismus stehen, sind schließlich die Treiber.“

Der Zustand des Planeten muss anrühren

Der Kritik des Klimafolgenforschers Joachim Schellnhuber an der „Diktatur des Jetzt“, unter der das derzeitige Wirtschaften stehe, stimmten beide Diskutanten zu. Statt Börsenberichten solle man im Fernsehen lieber „Anthropozän-Zustandsberichte“ senden, meinte Leinfelder. Das Wissen der Menschen über ihren Einfluss auf den Zustand des Planeten und auf die Vielfalt des Lebens auf ihm müsse über das Kognitive hinausgehen, es müsse affektiv werden und uns anrühren, forderte Welsch. Nur so könnten dem Wissen die geeigneten Taten folgen. „Das Anthropozän hat ja auch smarte Mittel. Wenn wir es schaffen, bleiben wir mit intelligenten Mitteln drin.“ „Summertime“ aus der Oper „Porgy and Bess“ von George Gershwin nahm diesen optimistischen Gedanken am Ende des Salons auf: „And the livin’ is easy.“

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