Corona in Alten- und Pflegeheimen: „Die Pandemie hat uns kalt erwischt“
Besuchsverbot, kaum noch Ausflüge, Vereinsamung: Was die Coronakrise in Altenheimen verursacht, besonders auf den Stationen mit Demenzkranken.
Der Alltag von Bernd Trost ist derzeit eng getaktet, Videokonferenz löst Telefonkonferenz löst Videokonferenz ab. Viel Zeit geht mit der Suche nach Lieferanten für Schutzmaterialien drauf. Und dann sind da noch die täglichen Besprechungen mit der Hygienekommission. Dank guten Wetters finden die derzeit meist im großen Garten des Franziska-Schervier-Seniorenheims statt, selbstverständlich mit Mundschutz und zwei Metern Mindestabstand zwischen den Teilnehmern.
Der 58-jährige Trost leitet in Frankfurt am Main zwei Altenheime eines katholischen Trägers für insgesamt 171 Bewohner. Das Pfarrer-Münzenberger-Haus ist ein normales Pflegeheim, in dem es auch eine Demenzstation gibt.
Im Franziska-Schervier-Haus leben neben Senioren bei recht guter Gesundheit im betreuten Wohnen auch Demenzpatienten und Menschen mit schwersten Krankheiten, die intensiver Pflege bedürfen. Alle Bewohner zählen zum während der Coronakrise besonders gefährdeten Personenkreis.
Besuch im Seniorenheim wird zum Risiko
Für Trost bedeutet das maximalen Stress. Traf das Covid-19-Virus anfangs vorwiegend jüngere Menschen, etwa Rückkehrer aus dem Skiurlaub in Tirol, wandert es zunehmend in die gefährdete Bevölkerungsgruppe ein. Gerade in Einrichtungen für Senioren kann das verheerend sein. Im Wolfsburger Hanns-Lilje-Heim, einer Einrichtung der Diakonie, hatte sich im März rund die Hälfte aller Bewohnerinnen und Bewohner angesteckt. Mehr als 40 starben bislang, die Staatsanwaltschaft ermittelt.
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Trost und sein Team handelten, noch bevor das Land Hessen Ende März ein generelles Betretungsverbot in Altenheimen erließ. Auslöser waren erste Nachrichten von Infektionen in einem Würzburger Heim – mittlerweile sind dort mehr als ein Dutzend Menschen gestorben. „Wir haben unsere Häuser schon am 20. März komplett dichtgemacht“, sagt Trost. „Die bis dahin geltende Regel, wonach jeder Bewohner pro Tag einen Besucher für maximal eine Stunde empfangen durfte, war ein zu hohes Risiko.“
Auch das Leben in den Häusern selbst hat sich völlig verändert. Gemeinschaftsräume wie Wohnzimmer, Cafeterien, Wohnküchen oder Seminarräume wurden geschlossen. Die Bewohnerinnen leben auf ihren Zimmern, nehmen dort auch ihre Mahlzeiten ein. Nur auf den Fluren oder im Garten dürfen sie spazieren gehen – einzeln oder in Zweiergruppen mit Mindestabstand sowie Mundschutz. Für die Mieter im betreuten Wohnen sind die Regeln zwar nicht verpflichtend, doch sie folgen den Appellen der Hausleitung: „Sie ziehen mit“, sagt Trost, „lassen sich beispielsweise Lebensmittel liefern.“
Gottesdienst wird jetzt auf die Fernsehgeräte in die Zimmer übertragen
Die soziale Isolation ist das eine, der eintönige Alltag das andere. Fast alle Freizeitaktivitäten mussten bis auf Weiteres gestrichen werden: die täglichen Bewegungsangebote am Vormittag; die Ausflüge in die Umgebung, etwa in Museen, Einkaufszentren, den Zoo oder ans Mainufer; die Singkreise; die Spielenachmittage jeweils am Freitag und die Konzerte am Abend.
Auch die beliebten Wohnzimmerabende fallen weg – in normalen Zeiten treffen sich Bewohner, um gemeinsam zu essen, „Stöffche“ zu trinken, wie der Frankfurter Apfelwein auf Hessisch heißt, oder fernzusehen.
Die Mitarbeiter versuchen Ausgleich zu schaffen, so gut es geht. Der Gottesdienst etwa wird jetzt per Haustelefon auf die Fernsehgeräte übertragen. Man hilft den Bewohnern, wenn sie per Telefon oder Skype den Kontakt zu Angehörigen aufrechtzuerhalten versuchen.
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Das alles kann die Vereinzelung aber nur mildern. „Viele empfinden die Situation als bedrückend“, sagt Trost. Depressive Verstimmungen seien schon jetzt vereinzelt zu beobachten, auch wenn einige Bewohner, die noch den Krieg miterlebt haben, pragmatisch reagierten, nach dem Motto: Wat mutt, dat mutt.
Demenzkranke als besondere Herausforderung
Besonders schwierig sei die Situation bei Menschen mit Demenz. „Da kann ich nicht an die Vernunft appellieren. Wir müssen einen Riesenaufwand treiben, um die Vereinzelung hinzukriegen.“ Seit mehr als einem Jahrzehnt setzt man in den beiden Frankfurter Häusern auf nichtmedikamentöse Maßnahmen im Umgang mit der Krankheit.
Ausgangspunkt war eine qualitative Studie der Universität Frankfurt, in der die Psychopharmaka-Verordnungen analysiert wurden. Mit Unterstützung der Forscher reduzierten die Heime in der Folge ihre Medikamentengabe auf ein notwendiges Minimum. Fachkräfte für Demenz kümmern sich um die Betroffenen.
Die Herausforderung in Zeiten der Coronakrise sei allerdings „gigantisch“, so Trost. Ein Bewohner mit extremem Bewegungsdrang etwa, der bislang weitgehend frei durch Haus und Garten laufen durfte, brauche nun nahezu eine Eins-zu-eins- Betreuung. „Es gilt, seine Kreise zu steuern, so dass er nicht zum Risiko wird.“ Ein Mitarbeiter beschäftigt sich intensiv mit dem Mann und begleitet ihn bei seinen Wanderungen durchs Gelände. „Man muss ihm bestimmte Routen durch den Garten vorschlagen, lassen Sie uns mal hier langgehen, gucken Sie mal dort.“ Vor allem müsse man sicherstellen, dass er nicht in den Bereich komme, wo Schwerstpflegebedürftige betreut werden.
Die Angehörigen reagieren zu 95 Prozent mit Verständnis
Die Angehörigen reagieren laut Trost überwiegend verständnisvoll auf die Einschränkungen. „Wir dachten, das gibt eine Riesenauseinandersetzung, aber 95 Prozent haben das sofort akzeptiert.“ Viele hätten sich sogar mit Anrufen, E-Mails oder kleinen Karten dafür bedankt, dass man die Bewohner zu schützen versuche. Mit den übrigen suche man das Gespräch. Dabei hilft, dass manche noch vitale Bewohner selbst ein großes Bedürfnis haben, sich zu schützen, und für den Moment lieber auf Besuche verzichten.
Tragisch ist dagegen die Situation bei Bewohnern mit Vielfacherkrankungen. Die Angehörigen dieser Menschen fürchten, dass sie in den nächsten Wochen vielleicht sterben könnten. „Da verstehe ich, wenn sich jemand gegen das Besuchsverbot auflehnt und der Meinung ist, ich muss meiner Mutter doch in der letzten Lebensphase beistehen können.“
Die Heimleitung befinde sich da allerdings in einem Dilemma: „Da wir viele Bewohner in dieser Situation haben, stellt sich die Frage, wo sollen wir die Grenze ziehen?“
Schutzmasken, Kittel, Hauben: Überall gibt es Lieferengpässe
Die Krise traf die beiden Heime nicht unvorbereitet. Bereits seit 2007 gibt es einen Pandemieplan, der regelmäßig überarbeitet wurde und sich in Zeiten von Vogelgrippe und Sars bewährte. Trotzdem sei man durch die gegenwärtige Pandemie „kalt erwischt“ worden, sagt Trost. Von einem Tag auf den anderen seien die Vorräte an Infektionsschutzkleidung dahingeschmolzen. „Wir dachten immer, man müsse bestimmte Bereiche ausstatten können. Aber dass wir zum Beispiel gleich für die Gesamtheit der Einrichtungen einen Mund-Nasen-Schutz benötigen, war in diesem Umfang nicht absehbar.“
Früh habe man mit einem Kolpingwerk kooperiert, das Mund-Nasen-Masken näht. Gebraucht werden nach den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts aber auch Schutzkittel, Hauben, Schutzbrillen, Desinfektionsmittel sowie sogenannte FFP2-Masken, die verhindern können, dass sich Pflegende bei ihrer Arbeit infizieren. „Es gibt in allen Bereichen Lieferengpässe“, sagt Trost.
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Man habe geringe Bestände von allem an Bord und könne die Mitarbeiter bei einigen wenigen Erkrankten mit Schutzausstattung versorgen. „Längerfristig wären die Vorräte schnell aufgebraucht.“ Die Beschaffung von mehr Material ist nicht nur eine logistische Herausforderung, sondern auch eine finanzielle. Die Heime treten in Vorleistung – und hoffen auf Erstattung der Mehrkosten nach dem Sozialgesetzbuch V.
Unterdessen ist die gesellschaftliche Diskussion um weitere Begrenzung der Beschränkungen in vollem Gange. „Soziale Isolation mag für wenige Wochen hinnehmbar sein“, sagt etwa der Frankfurter Gerontopsychiater Johannes Pantel, der seinerzeit die Psychopharmaka-Verordnungen in den Heimen analysiert hatte. „Familien fahren ja auch in den Sommerurlaub und besuchen während dieser Zeit ihre alten Angehörigen nicht.“
Auf längere Sicht allerdings sei strikte Isolation gerade für vulnerable Ältere Gift. „Sie bewegen sich weniger, kommen weniger raus, die psychosoziale Situation verschlechtert sich bis hin zu depressiven Verläufen und Suizidgefahr.“
Sorge um älteren Menschen mit Depressionen
Pantel sorgt sich insbesondere um Ältere mit Depressionen. Deren Versorgung sei schon in normalen Zeiten nicht gesichert. „Depressionen werden im Altenpflegeheim nicht immer erkannt und, falls doch, häufig nicht adäquat behandelt.“
Würden diese Menschen nun zusätzlich isoliert, sei die Gefahr groß, dass sich ihre Lage weiter verschlechtere. Pantel plädiert dafür, dass auch Altenheimen erlaubt werde, zu einer Art von Normalität zurückzufinden. Pflegeexperten und Infektiologen sollten unter Beteiligung von Seniorenvertretern möglichst rasch eine Exitstrategie erarbeiten.
Bei Bernd Trost schlagen in Bezug auf diese Forderung zwei Herzen in einer Brust. Einerseits wünscht er sich nichts sehnlicher als die Rückkehr zu einer Art Normalität. Zum anderen hat er Angst davor, dass Beschränkungen zu früh aufgehoben werden und eine massive Welle an Infektionen die Folge wäre. „Die Situation, in der wir jetzt sind, ist schrecklich. Aber ich weiß nicht, was ich hoffen und wünschen soll.“
Vielleicht könne es ein erster Schritt sein, die Vereinzelung innerhalb der Häuser vorsichtig zu lockern, so dass ein Gemeinschaftsleben mit Einschränkungen wieder stattfinden kann. Der nächste Schritt wäre vielleicht eine Runde mit Angehörigen im Park. „Da muss von der Wissenschaft Input kommen, was wann verantwortbar ist.“
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