Kampf den Epidemien: Die nächste Seuche kommt bestimmt
Nach Ebola muss die Weltgesundheitsorganisation WHO schlagkräftiger werden. Ob das gelingt, entscheiden 3000 Experten auf der World Health Assembly.
Während Liberia erleichtert den Sieg über Ebola feierte, bekam ein Krankenpfleger auf Sardinien Fieber – 72 Stunden nach seiner Rückkehr aus Sierra Leone. Ein Test bestätigte vor einer Woche seine Befürchtung: Er hat Ebola. Nun kämpft er in einer Isolierstation in Rom um sein Leben. Das Virus, das fast 26 800 Menschen krank gemacht und mehr als 11 000 Patienten getötet hat, bleibt gefährlich. Obwohl die Zahl der Neuinfizierten auf neun pro Woche gefallen ist.
Die 3000 Delegierten aus 194 Mitgliedsstaaten der WHO, die ab heute auf der World Health Assembly in Genf über die Lehren aus Ebola diskutieren, wissen das. Die Erinnerung daran, dass die Weltgemeinschaft zu spät und zu zögerlich auf die Epidemie reagiert hat, ist noch frisch. Die WHO hat mehrfach Selbstkritik geübt. Nun liegt es an den Mitgliedsstaaten, das politische Momentum zu nutzen, um Reformen durchzusetzen. „Wir haben die historische Chance, aus den Fehlern zu lernen“, sagt Lawrence Gostin von der Georgetown-Universität in Washington. Gostin ist einer der Experten, die die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan zu diesem Thema beraten.
Eine durchsetzungsfähige WHO
Krieg nimmt die Weltgemeinschaft ernst, darauf bereitet sie sich mit Bündnissen, mobilen Einheiten und Übungen vor. Alle wissen, was im Ernstfall zu tun ist. Einem Virus, das Millionen Menschen umbringen könnte, steht sie jedoch kopflos gegenüber, schreibt Bill Gates im „New England Journal of Medicine“. Während der Ebola-Epidemie mussten selbst einfache Fragen ad hoc geklärt werden, wertvolle Zeit verstrich. Sollte in Zukunft ein besonders ansteckendes Virus die Menschheit bedrohen, wäre das fatal. Man brauche eine Organisation, die genug Autorität und Geld hat, um die internationale Hilfe zu steuern und schnelle Entscheidungen zu ermöglichen.
Chan gab zu, dass die WHO derzeit weder die Kapazität noch die Kultur habe, um in einer Gesundheitskrise selbst einzugreifen. Hinzu kam, dass das afrikanische Regionalbüro und die Zentrale in Genf während der Ebola-Epidemie erst nicht mit einer Stimme sprachen, sagt Gostin. Klare Hierarchien für den Notfall fehlen.
Manches Krankenhaus hat mehr Geld als die WHO gegen Seuchen
In der Vergangenheit führte fast jedes WHO-Versagen dazu, dass unabhängige Initiativen einzelne Aufgaben übernahmen. Das wäre in diesem Fall ein Fehler, betonen unabhängige Gutachter in ihrem Ebola-Zwischenbericht. Vielmehr sollte die Organisation gestärkt und reformiert werden. Aufgaben und Budget der WHO klaffen weit auseinander. „Manches Krankenhaus hat mehr Geld“, sagt Gostin. Drei Viertel des Budgets seien freiwillige Beiträge mit festgelegtem Verwendungszweck. „Keine Organisation kann erfolgreich sein, wenn sie unterfinanziert ist.“
Geld für den Notfall
Statt zu warten, bis eine Epidemie außer Kontrolle ist und dann um Geld zu bitten, soll es künftig einen Notfallfonds mit 100 Millionen US-Dollar geben. Ein Ausbruch solle damit rasch beendet werden. Die Beiträge seien freiwillig, sagt Ian Smith, der Büroleiter der WHO-Generalsekretärin. Allerdings gab es bereits nach der letzten Grippepandemie ähnliche Vorschläge – erfolglos.
Global Health Emergency Workforce
Als die Not in Westafrika am größten war und „Ärzte ohne Grenzen“ an ihre Grenzen stießen, kam nur langsam Verstärkung. Nun will die WHO eine „Global Health Emergency Workforce“ aufbauen, die im Seuchenfall mobilisiert werden kann. Dazu werden nicht nur Ärzte, Pfleger und Labormitarbeiter gehören, sondern auch Logistiker, medizinische Anthropologen und Soziologen, sagt Smith. Eine Kern- und Reservemannschaft soll es innerhalb der WHO geben. Sie werden ergänzt durch bestehende Netzwerke, durch von den Mitgliedsstaaten entsendete Helfer, durch Nichtregierungsorganisationen wie das Rote Kreuz und Partner innerhalb der Vereinten Nationen.
Vor allem sollen die Mitgliedsstaaten eigene Helfer identifizieren. Sie kennen die Gegebenheiten vor Ort, sprechen die lokale Sprache und verstehen die jeweilige Kultur. „Für alle müssen wir einen Schirm bilden, sodass sie gut zusammenarbeiten können“, sagt Smith. Die Zivilgesellschaft müsse ebenfalls besser in die Seuchenbekämpfung einbezogen werden, ergänzt Gostin. „Diese Stimmen werden zu selten gehört. Aber wir brauchen sie!“ Das gilt vor allem, wenn den Regierungen Misstrauen entgegenschlägt.
Bestehende Regeln anpassen
Nachdem das Sars-Virus der Welt einen Schrecken versetzt hatte, einigten sich die WHO-Mitgliedsstaaten darauf, dass jedes Land den Infektionsschutz stärken und eine Basis-Infrastruktur schaffen sollte, um Epidemien zu erkennen. 80 Prozent erfüllen die in den „International Health Regulations“ festgesetzten Standards nach eigenen Angaben noch nicht. In den meisten armen Ländern gibt es keine Seuchenüberwachung – dabei springen gerade dort Viren vom Tier auf den Menschen über. In Guinea konnte sich Ebola monatelang unerkannt verbreiten.
Auch der Rest der Welt hat sich nicht mit Ruhm bekleckert. Die WHO-Empfehlungen, Handel und Reiseverkehr nicht unnötig zu beschränken, wurden weitgehend ignoriert. Das schwächte die betroffenen Länder und erschwerte die Bekämpfung der Epidemie. „Wir brauchen Mechanismen, um den Empfehlungen mehr Gewicht zu verleihen“, sagt Gostin.
Um Helfer und Geld rechtzeitig einzusetzen, seien außerdem Warnstufen für den internationalen Gesundheitsnotfall (PHEIC) nötig. Bisher wird er entweder ausgerufen – oder nicht. Die Ebola-Epidemie wurde erst im August 2014 als ein solcher Notfall eingestuft.
Gesundheitssysteme stärken
Der beste Schutz gegen Epidemien sind gute Gesundheitssysteme, schreibt Gates. Sie seien nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit, sondern tragen zur globalen Sicherheit bei. Im Senegal, wo die medizinische Grundversorgung besser ist als in den drei am schwersten betroffen Staaten Westafrikas, konnte sich Ebola nicht ausbreiten. Auch Nigeria entkam der Katastrophe. Ärzte und andere Helfer, die sonst die Polio-Ausrottung vorantreiben, bildeten sofort ein Notfallzentrum. Sie isolierten die Kranken und überwachten die Kontaktpersonen. Entgegen aller Befürchtungen infizierten sich nur 21 Menschen. „Wir müssen einen Weg finden, die Stärkung der Gesundheitssysteme zu finanzieren“, sagt Gostin. Eventuell sei ein weiterer Fonds nötig.
Die Amerikaner forschen aus Angst vor Bioterror
Infektionskrankheiten erforschen
Unberechenbare Ausbrüche in abgelegenen Dörfern irgendwo in Afrika – für private Forschung ist Ebola uninteressant. Es ist vor allem der amerikanischen Angst vor Bioterror geschuldet, dass es Impfstoffkandidaten und experimentelle Mittel wie ZMapp gibt. Das Verteidigungsministerium hat die Grundlagenforschung gefördert. Der Nachteil: Die Mittel sind teuer und auf die Bedürfnisse einer Industrienation zugeschnitten.
Niemand weiß, welches Virus die nächste Epidemie auslöst. Ein Ansatz für die Forschung ist daher, breit wirksame antivirale Mittel zu entwickeln oder Impfstoffplattformen, die in kurzer Zeit an eine neue Gefahr angepasst werden können. Führende Public-Health-Experten fordern außerdem im Fachblatt „Plos Medicine“ einen Forschungsfonds, der den Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten, neu auftretende Erreger und die Suche nach neuen Antibiotika vereint. Die Kosten für Forschung und Entwicklung sollten vom Preis entkoppelt werden, damit die Ärmsten Zugang zu den so gefundenen Mitteln haben. Das sei nur mit einer vorrangig öffentlichen Förderung möglich. Um konsensfähige Prioritäten festlegen zu können, solle der Fonds an die WHO angebunden sein.
Forschung im Ausbruch
Was sonst Jahre dauert, wurde in wenigen Monaten erreicht: Zwei Ebola-Impfstoffe könnten dank der Ad-hoc-Allianzen aus Wissenschaftlern, Zulassungsbehörden, Firmen, Stiftungen, Regierungen und NGOs bald vorläufig zugelassen werden. Vier Schnelltests sind bereits da, ob Kranken das Blutplasma der Überlebenden hilft, wird noch ausgewertet. „Wir wollen jetzt eine Blaupause für den nächsten Ausbruch schaffen“, sagt Marie-Paule Kieny von der WHO. Dazu gehören Standardprotokolle für Studien, Regeln für den Umgang mit Patientenproben, Plattformen, um Daten schnell zu teilen. Außerdem solle in den betroffenen Ländern eine Forschungsinfrastruktur geschaffen werden, sagt Kieny. „Internationale Forscher und Helfer sollten die Studien ermöglichen und nicht leiten. Die Entscheidungen werden vor Ort gefällt.“
Jana Schlütter