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In der Vergangenheit hat das Thema oft eher skurrile Forschungsansätze hervorgebracht.
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Ursprünge von Hass und Ablehnung: Die Kraft der Beleidigung

Erniedrigungen können ein wirkungsvolles politisches Instrument sein, sagen Forscher. Schimpfwörter grenzen aus, dienen Diskriminierten aber auch als Schutz.

Das „Arschloch“ ist ein Instrument der Macht, der „Kotzbrocken“ ein politisches Werkzeug – genauso wie die „Sau“ und der „Vollpfosten“. So beschreibt es die Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler, die an der TU Dresden der Frage nachgeht, warum Menschen einander beleidigen und erniedrigen. Das Thema hat in den vergangenen Jahren wie kaum ein anderes an Öffentlichkeit gewonnen. Von Debatten um rassistische Hassnachrichten im Netz über Sexismus am Arbeitsplatz, bis hin zu Kontroversen um Karnevalsreden: Die Auswüchse sind bekanntermaßen zahlreich.

„Wir setzen andere herab, um Asymmetrien herzustellen“, fasst Münkler die Essenz aus zwei Jahren Forschung zusammen. Beleidigt wird, um gesellschaftliche Ungleichheiten zu verfestigen, moralische oder persönliche. Um zu zeigen, wer dazu gehört und wer nicht. „Das funktioniert so gut, weil wir alle verletzlich sind“, sagt Münkler. Es sei „Teil des Menschseins“, wenn nach einer Beleidigung beim Betroffenen die Scham einsetzt, das Gesicht rot wird und die Tränen in die Augen schießen. Man könne sich gegen die Erniedrigung nicht immunisieren. Und gerade deshalb könne sie in unterschiedlichsten Kontexten für politische Zwecke ausgenutzt werden.

Münkler selbst forschte noch vor wenigen Jahren zum „Ethos der Freundschaft“ in der mittelalterlichen Literatur. Dann kam der Aufstieg der Rechtspopulisten. 2014 bahnten sich die ersten Versammlungen von Pegida an, und plötzlich gab es nicht mehr viel Interesse an Freundschaftswissenschaften. Mittlerweile leitet sie einen 2017 gestarteten Sonderforschungsbereich, der sich in 13 Projekten mit „Konstellationen und Dynamiken der Herabsetzung“ auseinandersetzt. Zum Team gehören neben Kunst- und Sprachexperten auch Historikerinnen, Soziologen und Rechtswissenschaftlerinnen.

Gegen die größten Tabus einer Gesellschaft

Wer in der Vergangenheit Aufmerksamkeit bei der Ergründung von Schimpfwörtern wollte, setzte oft eher auf Skurrilität statt Relevanz. Das Feld brachte Personen hervor wie den im März verstorbenen Reinhold Aman. Der Sprachprofessor und Begründer der sogenannten Malediktologie verbrachte Jahrzehnte damit, Beleidigungen aus der ganzen Welt zu systematisieren und für Wörterbücher zusammenzutragen.

Gerne wiederholte Aman in verschiedenen Interviews seine Theorie von den drei großen Traditionen des Beleidigens: den Gotteslästerern, den Familienbeleidigern und den Prüden. Welche Kategorie in einer Region dominiere, hänge von den jeweils größten Tabus einer Kultur ab. Blasphemische Beleidigungen („Kruzifixkerl!“) fänden sich vor allem in katholischen Regionen wie Bayern oder Brasilien. Kränkungen gegen die Eltern seien im asiatischen sowie im arabischen und afrikanischen Raum verbreitet. So kenne das Persische etwa Formulierungen wie: „Ich furze in deines Vaters Bart“. Angelsächsisch geprägte Länder würden hingegen sexuell aufgeladene Beleidigungen („fuck you“) oder mit Bezug zu Ausscheidungen („shithead“) bevorzugen.

Mit dem Fluchen darf man das Beleidigen allerdings nicht gleichsetzen. Ersteres diene „eher als emotionaler, ungerichteter Ausruf während sich Beleidigungen als aggressive Akte gegen Menschen richten“, erläutert der Berliner Psychologe Ulrich Klocke von der Humboldt-Universität. Es ist der Unterschied zwischen dem „Scheiße“-Schrei, nachdem man mit dem Fahrrad gestürzt ist und dem „Scheißkerl“, der einem kurz zuvor die Vorfahrt genommen hat.

Höhere Schmerzresistenz dank Flüchen

Gerade die Forschung zu Flüchen hat dabei immer wieder gezeigt, welchen Nutzen eine Sprechweise haben kann, die Tabus verletzt. Der US-amerikanische Psychologe Richard Stephens forderte Probanden in einem Experiment dazu auf, ihre Hände in ein schmerzhaft kaltes Eisbad zu stecken. Dabei fand er heraus, dass Fluchen die Teilnehmer deutlich unempfindlicher gegen die Kälte machte.

Personen, die während des Versuchs Schimpfwörter wiederholten, hielten die Schmerzen im Durchschnitt doppelt so lange aus. Stephens sah darin einen Hinweis darauf, dass das Rufen von Kraftausdrücken eine Stressreaktion im Körper auslöst, wodurch Adrenalin freigesetzt wird, das unempfindlicher gegen Schmerzen macht.

Die Idee zu dem Experiment kam Stephens, nachdem er seine wildfluchende Ehefrau während der Geburt der gemeinsamen Tochter beobachtet hatte. Eine spätere Studie des Psychologen ergab wiederum, dass sich der Effekt der Schimpfwörter abnutzen kann. Je häufiger Menschen ohnehin bereits im Alltag fluchten, desto schwächer sei der „Nutzen“.

Diskriminierung muss keine Absicht sein

Solche Prozesse der Gewöhnung stehen auch im Zentrum der Arbeit von Ulrich Klocke. In mehreren Studien hat er sich diskriminierendem Verhalten und insbesondere Homophobie unter Schülern gewidmet. Darin wurden Beleidigungen gegen bestimmte Gesellschaftsgruppen von den Jugendlichen als besonders kränkend und damit auch als besonders effektiv bewertet.

Doch nur, weil jemand mit schwulenfeindlichen Beschimpfungen um sich werfe, deute dies nicht zwangsläufig auf ein homophobes Weltbild hin. „Die persönlichen Einstellungen hatten in unseren Resultaten keinen signifikanten Einfluss auf die Ausdrucksweise“, sagt Klocke. Oft seien sich die Jugendlichen der Wirkung ihrer Wortwahl gar nicht bewusst gewesen.

Wichtiger sei das Umfeld, in dem sich Menschen bewegten. Meistens werde „nachgeplappert, was andere vorgemacht haben“. Würden Lehrer dann nichts unternehmen, könne sich durch Wiederholung eine homophobe Sprachkultur entwickeln – selbst wenn entsprechende Überzeugungen vergleichsweise schwach ausgeprägt seien. Den Diskriminierten hilft diese Zusatzinformation wenig, bleibt die negative Wirkung doch erhalten. Solche Beleidigungen hielten Jugendliche nicht nur vom Outing ab. Sie trügen „nachweislich dazu bei, dass sich die Einstellung gegenüber dieser Gruppe verschlechtert“, sagt Klocke. Dafür brauche es keine Absicht.

Das "Arschloch" unter dem Mikroskop

Marina Münkler zieht es vor, von „Formen des Invektiven“ statt von Hetze oder Beleidigungen zu sprechen. Das Kunstwort leitet sich ab von der Invectiva Oratio – der römischen Schmährede – wie sie sich in den Rhetorikhandbüchern Ciceros findet. Es ist eine sterile Perspektive, als hätte man das „Arschloch“ unter ein Mikroskop gelegt. Tatsächlich ist das auch gewissermaßen der Anspruch: die Suche nach einer Art DNA von Hass und Ablehnung, die sich durch die Epochen zieht.

„Was viele für Auswüchse des Internetzeitalters halten, findet sich in seinen Grundmustern auch im frühen 16. Jahrhundert“, sagt die Literaturwissenschaftlerin. Die Entdeckung des Buchdrucks habe damals im Kontext der Reformation für eine vergleichbare Dynamik gesorgt. Martin Luthers Schriften seien gespickt gewesen mit schmähenden Formulierungen. Seine katholischen Gegner hätten ihn wiederum „als Trunkenbold und Hurenbock“ dargestellt.

Die Reichweite des Mediums sorgte damals für neue Wege, um Machtkämpfe auszutragen. Es sei aber ein Irrtum zu glauben, dass Beleidigungen nur von oben nach unten funktionieren würden. Sie können auch Schwächeren dabei helfen, sich gesellschaftlichen Einfluss zu verschaffen. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie beim Kugelfisch: Menschen inszenieren sich als stärker, als sie eigentlich sind, um Feinde abzuschrecken. Als der Papst Luther etwa in einem Schreiben mit dem Kirchenbann drohte, gestand dieser nicht etwa seine Schwäche ein, sondern verbrannte das Dokument und bezeichnete den Papst als Antichristen – die Beleidigung schlechthin.

Deeskalation ist nicht immer die Lösung

Gleichzeitig zeigte sich schon damals, wie schnell schriftliche Geplänkel in Taten umschlagen können. In einem Konflikt genüge es nicht, die ursprüngliche Form der Herabsetzung zu wiederholen, sagt Münkler. Als Beispiel nennt sie das Jahr 1524. Damals sollten auf Wunsch der Altgläubigen die Gebeine des Heiligen Benno von Meißen erhoben werden. Luther sah dahinter eine Aktion gegen die Reformation. Es folgte eine Reihe beleidigender Flugschriften, mit denen die Bevölkerung aufgestachelt werden sollte.

Irgendwann war die Stimmung so aufgeheizt, dass evangelische Minenarbeiter in Buchholz eine öffentliche Spottprozession abhielten. In einem Bergwerkstollen gruben sie Tierknochen aus, beförderten diese auf einer Misttrage zum örtlichen Marktplatz und brüllten dabei: Das ist der liebe Arschbacken des heiligen Benno.

Es braucht nicht viel Fantasie, um von hier eine Linie zur Gegenwart zu ziehen. Die Flugschriften muten wie Vorläufer von Streitereien auf Twitter an. Die ernüchternde Beobachtung aus dem 16. Jahrhundert: Selbst Versuche der Deeskalation sind immer wieder mit Hintergedanken verbunden. In der Reformation habe die katholische Seite „meist dann auf Entspannung gesetzt, wenn sie so ihre Machtposition verfestigen konnte“, sagt Münkler. Stellenweise habe sich die Situation zwischen den Glaubensgemeinschaften durch deeskalierende Ansätze deshalb sogar noch verschlimmert.

Auch sei es nicht immer sinnvoll, zwanghaft auf Aussöhnung abzuzielen. Das hat Münkler in Dresden beim Umgang mit Pegida erfahren. „Es gibt Positionen, die nicht verhandelbar sind.“ Rechtsradikale würden sich oft selbst als Opfer gesellschaftlicher Ausgrenzung inszenieren, um sich vor Kritik abzuschirmen. Dem dürfe man nicht auf den Leim gehen. Menschen sollten sich hier nicht mit Kritik zurückhalten, weil sie fürchten, die eigenen Äußerungen könnten als Herabsetzung der Rechten gedeutet werden.

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