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Es könnte ja auch ganz anders sein. Wer zweifelt, macht sich auf den Weg zur Wahrheit. Foto: Mauritius
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Skeptiker: Stimmt es wirklich?

Eigentlich glaubt der Mensch lieber, statt zu zweifeln. Skeptiker hatten es seit jeher schwer, Gehör zu finden. Aber ihr Einfluss wächst. Eine kleine Reise in die Welt des Zweifels.

Es sah alles nach einer Riesensensation aus. Am 22. September 2011 berichteten Wissenschaftler des Europäischen Kernforschungszentrums Cern in Genf von einer merkwürdigen Beobachtung. Im Rahmen eines Experiments mit Namen „Opera“ hatten sie Hinweise darauf, dass Neutrino-Elementarteilchen schneller als Licht gereist waren. Träfe das zu, wäre ein Fundament der modernen Physik von Grund auf erschüttert. Denn Albert Einstein hatte in seiner Relativitätstheorie 1905 festgestellt, dass nichts in der Welt rascher als das Licht unterwegs ist. Seine Feststellung wurde zur Basis unzähliger Berechnungen, von Alter und Ausdehnung des Universums bis zum Umfang schwarzer Löcher.

Hatte Einstein sich geirrt? Die Möglichkeit ließ rasch die Spekulationen aufkommen. Die einen tippten auf Messfehler, etwa falsch gehende Stoppuhren. Oder sie wiesen darauf hin, dass überlichtschnelle Neutrinos sich selbst rasch wieder ausbremsen würden. Die meisten Forscher waren jedoch der Ansicht, dass auch ein Jahrhundertgenie wie Einstein gefehlt haben könnte und suchten nach einer Erklärung für die Turboteilchen. Vielleicht hatten die Neutrinos eine mehrdimensionale Abkürzung genommen oder mithilfe dunkler Materie richtig Fahrt bekommen.

Das Infragestellen bewährter Theorien wie scheinbar wasserdichter Messungen zeigt, wie vorbehaltlos und ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Autorität heute in der Forschung Kritik geübt wird. Manchen mag das irritieren. Wo bleiben denn hier die Maßstäbe, wo kommen wir denn da hin, wenn wir heute in Abrede stellen, was gestern noch Schulbuchwissen war? Und doch hat die Kunst des Zweifels eine lange, tief im Abendland verwurzelte Tradition. Als erster hauptberuflicher Skeptiker gilt der griechische Philosoph Pyrrhon von Elis, um 360 v. Chr. geboren. Radikal bezweifelte Pyrrhon alle Erkenntnis und ließ nur den Zweifel als oberstes Denkprinzip gelten: Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Mögen sich antike Skeptiker in ihrer Ablehnung von dogmatischem Wissen noch weitgehend einig gewesen sein, gingen darüber hinaus ihre Meinungen erheblich auseinander. Erhoben die einen, unter ihnen der Römer Cicero, den Grundsatz von der Unmöglichkeit des Wissens zur einzigen unumstößlichen Wahrheit, behielten andere Skeptiker sich vor, Wissen nicht absolut – gleichsam dogmatisch – zu verneinen, sondern ständig weiter nach ihm zu suchen. Wieder andere behaupteten, dass einige Dinge durchaus gewiss seien, aber dummerweise nicht die wirklich interessanten: Was ist die Natur des Menschen und seiner Seele, was hat es mit der Wirklichkeit, mit Freiheit, den Göttern und der Unsterblichkeit auf sich? Warum sind wir hier, was sollen wir tun?

Bis heute lässt sich Skepsis nicht auf eine einzige Spielart festlegen, bis heute gibt es viele verschiedene Bedeutungen. So versuchen sich etwa „wahre“ Skeptiker von „Pseudoskeptikern“ zu distanzieren, zum Beispiel den zweifelhaften „Klimaskeptikern“, die doch eigentlich heuchlerische „Klimaleugner“ seien. Geblieben ist auch die eher randständige Bedeutung der skeptischen Weltanschauung. Wer sich unter dem 6. Weltskeptiker-Kongress, der an diesem Wochenende in Berlin stattfindet, ein gewaltiges Meeting vom Schlage eines evangelischen oder katholischen Kirchentags vorstellt, sollte diese Annahme rasch korrigieren. Das Treffen ist mit geschätzten 300 Teilnehmern durchaus überschaubar.

Nichtwissen hat es schwerer als Wissen. Die Zweifler stehen eher im Schatten der erhabenen Großdenker und ihrer Gewissheiten. Trotzdem gibt es in der Geschichte der Philosophie beeindruckende skeptische Momente. Der Franzose René Descartes nimmt nichts als sicher an, unterwirft alles einem radikalen Zweifel. Könnte die Welt nur Einbildung sein? fragt er sich in seinen „Meditationen über die Erste Philosophie“ von 1641. Je mehr Descartes zweifelt, umso gewisser wird er seiner selbst – Cogito, ergo sum. Zu deutsch: Ich denke, also bin ich. Man könnte auch sagen: Wer zweifelt, ist.

Nur weil es keine absolute Wahrheit gibt und Meinung gegen Meinung steht, bedeutet ein Skeptiker zu sein nicht automatisch, sich mit allem abzufinden. „Es ist nicht sinnvoll, eine Behauptung zu glauben, wenn es keinen Grund zu der Annahme gibt, dass sie wahr ist“, schreibt der britische Philosoph Bertrand Russell 1928 in seinem Aufsatz „Der Wert des Skeptizismus“.

Unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs geißelt Russell den wahnhaften Nationalismus der Völker. Jedes Land glaubt, im Recht zu sein. Anstelle der Vernunft regiert ein nationalistisches Glaubenssystem, das einem religiösen Dogma ähnelt. Der Freidenker fordert einen „rationalen“ Skeptizismus, um Neid, Grausamkeit und Hass zwischen den Nationen zu beenden und eine neue Moral auf der Basis gegenseitiger Achtung und Zuneigung zu begründen. Russells Appell verhallt, wie wir heute wissen.

Die moderne Wissenschaft verdankt den Skeptikern entscheidende Impulse. So arbeitet der englische Aufklärer David Hume 1740 in seiner „Untersuchung über den menschlichen Verstand“ heraus, dass der Zusammenhang von Ursache und Wirkung aufgrund der Schranken unseres Denkens nicht zu beweisen ist. Absolutes Wissen ist daher nicht möglich – aber immerhin wahrscheinliches.

Auch die Naturwissenschaft hat sich von der Idee entfernt, im völligen Besitz der Wahrheit zu sein. Sie besitzt – siehe überlichtschnelle Neutrinos – keine unerschütterlichen Dogmen. Indem der Forscher Annahmen aufstellt, diese überprüft, etwa in einem Experiment, und am Ende bestätigt oder verwirft, hat er sich der Wahrheit jedoch zumindest angenähert. Er hat sie „wahrscheinlicher“ gemacht. Es ist kein Zufall, dass statistische Berechnungen heute in der Wissenschaft eine zentrale Rolle spielen. Sie stecken den Rahmen des Wahrscheinlichen ab. Dass im Mikrokosmos der Quantenwelt gar die Verknüpfung von Ursache und Wirkung zugunsten des Unbestimmten und des Zufalls aufgehoben ist, hätte Hume womöglich entzückt und lässt ihn fast als Propheten dastehen.

Natürlich ist es immer noch möglich, dass die äußere Welt gar nicht existiert, wie radikale Zweifler sagen. Natürlich könnte es sein, dass Sie diese Worte gar nicht lesen und die von Ihnen angenommene Welt um Sie herum nur das Ergebnis einer raffinierten Gehirnstimulation durch skrupellose Forscher ist. In Wirklichkeit schwimmen Sie nämlich als menschliches Experimentierobjekt bewusstlos in einem Tank. Es könnte auch sein, dass die Welt um Sie herum nur die Kulisse einer Fernsehsendung ist, in der sich alles um Sie dreht, wie in dem Film „Die Truman Show“.

Gewiss, das alles könnte sein. Aber es ist sehr unwahrscheinlich. Auch wenn alles anzweifelbar ist, heißt das im Umkehrschluss nicht, dass alles möglich ist. Die Intuition hält das Glas Wasser, das wir uns gerade eingeschenkt haben, für real. Ebenso wie das Papier, auf dem dieser Artikel gedruckt ist (oder der Bildschirm, auf dem er erscheint). Es sieht alles danach aus, dass unsere Sinne von der Außenwelt ein halbwegs zutreffendes Bild liefern, auch wenn Zweifel erlaubt sind.

Unser Vertrauen in die Wirklichkeit geht längst über die sieben Sinne hinaus. Wir besteigen ein Flugzeug in der plausiblen Hoffnung, dass die Gesetze der Physik schon dafür sorgen werden, dass das Flugzeug auch tatsächlich durch die Luft getragen wird – zumindest die meisten glauben das. Und wir nehmen einen positiven Schwangerschaftstest nicht auf die leichte Schulter, auch wenn der auf dem Nachweis „unsichtbarer“ Hormone im Urin beruht. Es gibt sie trotzdem, ebenso wie Atome und Moleküle, Gene und Galaxien. Höchstwahrscheinlich, versteht sich.

Moderne Skeptiker sind deshalb auch keine radikalen Allesleugner mehr. Längst steht man auf dem Boden der Wissenschaft, vertraut ihren rationalen Methoden und wendet sie an, um Wunderheilern oder Wahrsagern auf die Finger zu sehen. „Trotzdem steht jede Erkenntnis unter einem allerletzten Irrtumsvorbehalt“, sagt der Biologe Martin Mahner von der deutschen Skeptikerorganisation GWUP, der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften. „Da gibt es noch einen letzten Funken des philosophischen Skeptizismus.“

Die GWUP sieht sich als Stiftung Warentest für Alternativmedizin und Esoterik. „Wir wollen das kritische Denken fördern, im Sinne des Verbraucherschutzes“, sagt der Ingenieur und GWUP-Vorsitzende Amardeo Sarma, der sich skeptisch mit Erdstrahlen und Wünschelruten, dem Turiner Grabtuch und der Homöopathie auseinandersetzt. „Eine von der Stiftung Warentest schlecht benotete Waschmaschine oder ein miserabler Fernseher laufen immerhin noch“, sagt Sarmas Kollege Mahner. „Wasserenergie dagegen funktioniert überhaupt nicht.“

Den Unterschied zwischen „echter“ Wissenschaft und einer Para- oder Pseudowissenschaft sieht Sarma vor allem darin, dass eine stichhaltige Theorie mit Tatsachen überzeugt. „Es kommt darauf an, die Daten sprechen zu lassen“, sagt Sarma und verweist auf die Theorie der Kontinentalverschiebung des deutschen Polarforschers Alfred Wegener. Anfangs abgelehnt, ist sie heute Basiswissen der Geologie. „Viele Methoden der Alternativmedizin haben dagegen die Prüfung nicht bestanden, obwohl sie lange Zeit dafür hatten“, sagt Sarma mit Blick auf die 200 Jahre alte Homöopathie.

Trotzdem erfreuen sich in Deutschland alternativmedizinische Verfahren und esoterische Theorien ungebrochener Zustimmung. Inzwischen etablieren sie sich auch an den Hochschulen, etwa der Viadrina in Frankfurt an der Oder („Hogwarts an der Oder“, spottet die GWUP), der Universität Kassel und der Berliner Uniklinik Charité, wie die deutschen Skeptiker besorgt registrieren. „Die akademische Welt sieht tatenlos zu“, klagt Martin Mahner.

Was die Frage aufwirft, warum viele Menschen einen zweifelhaften Glauben dem vernünftigen Zweifel vorziehen. Ein Grund dafür sieht Mahner im menschlichen Hang, ursächliche Zusammenhänge herzustellen. Wenn der Steinzeitmensch in der Savanne ein Rascheln im Busch hörte, tat er gut daran, die Beine in die Hand zu nehmen. Der skeptische Steinzeitmensch dagegen, der das Geräusch nicht unmittelbar mit Gefahr in Verbindung brachte, wurde vom Löwen gefressen. Der Mensch von heute, der gegen Schlafstörungen homöopathische Kügelchen schluckt, wird seine Nachtruhe künftig mit der Homöopathie verknüpfen, obwohl vielleicht gar kein echter Zusammenhang existiert – und die Alternativmedizin hat einen Anhänger mehr.

„Der Hang zum Glauben ist in den Genen verdrahtet“, sagt der Statistiker und Autor Walter Krämer („Die Angst der Woche“). „Er hilft uns, das Leben zu vereinfachen, Ordnung in das Chaos zu bringen und das Unerklärliche zu erklären – zur Not, indem wir eine Religion erfinden.“ Gläubige Menschen machen sich weniger Sorgen, hat das GWUP-Mitglied Krämer festgestellt. „Freiheit von Zweifeln wirkt wie eine Beruhigungspille.“

Doch in jedem Menschen steckt auch ein kleiner Skeptiker. „System 2“ nennt ihn der amerikanische Psychologe Daniel Kahneman. Das „System 2“ steht einem übermächtigen „System 1“ gegenüber, wie David dem Goliath. System 1 managt unseren Alltag. Es entscheidet rasch, instinktiv, automatisch, unbewusst, auf der Basis einfacher Denkprogramme und mit dem Hang zu Schlamperei und Flüchtigkeitsfehlern. System 1 hat zu 90 Prozent die Oberhand. Aber nicht immer. Manchmal kommt eben doch System 2 ins Spiel. Beim Ausfüllen der Steuererklärung etwa oder beim Einparken. System 2 ist kritisch und aufmerksam, überlegt und vernünftig. Und leider auch träge und leicht zu ermüden, schreibt der Wirtschafts-Nobelpreisträger Kahneman in seinem Buch „Schnelles Denken, langsames Denken“.

Zumindest in Sachen Einstein und Lichtgeschwindigkeit hat das gewissenhafte System 2 gesiegt. Im Februar 2012 teilten die Experimentatoren mit, dass technische Versehen für die revolutionären Ergebnisse ausschlaggebend waren, darunter ein schief angeschraubter Stecker. Und einen Monat später veröffentlichte ein anderes Team seine Messergebnisse. Sie bestätigten Einsteins Annahme: Nichts ist schneller als Licht. Gut, dass wir skeptisch waren.

- In Berlin findet zur Zeit der „6. Weltkongress der Skeptiker“ statt. Das klingt bombastischer, als es ist. Die Veranstalter rechnen mit 300 Teilnehmern. Motto des Treffens: „Förderung der Wissenschaft in einem Zeitalter der Unsicherheit“.

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