Verhaltensstörungen beim Nachwuchs: Die Folgen des allerersten Cannabis-Rausches
Der Cannabis-Wirkstoff THC geht aus dem Blut der Mutter in den Kreislauf des Embryos über. Das hat Folgen für die Entwicklung des Nervensystems.
In einigen Ländern ist Cannabis längst legalisiert, in anderen ist die Debatte noch im vollen Gange. In Deutschland etwa ist sie sogar Gegenstand der aktuellen Koalitionsverhandlungen von SPD, Grünen und FDP. Die Befürworter eines legalen Gebrauchs und kontrollierten Handels der Droge führen die Folgeerscheinungen der Kriminalisierung des Konsums ins Feld, hingegen plädieren jene für ein Verbot, die die gesundheitlichen Folgen des Konsums der Substanzen stärker gewichten.
Eine Bevölkerungsgruppe, die vor allem in Ländern mit moderaten Drogengesetzen häufiger Cannabis konsumiert als in solchen mit restriktiveren Regelungen, sind Schwangere. Verschiedenen Studien zufolge nehmen zwischen drei bis 16 Prozent während der Schwangerschaft Cannabis zu sich, etwa gegen Übelkeit, setzen damit aber sich selbst und auch das Ungeborene dem Wirkstoff Tetrahydrocannabinol aus, denn THC geht über die Plazenta ungehindert in den Blutkreislauf des Embryos über.
Welche Auswirkungen das auf den Nachwuchs haben kann, hat jetzt ein Forschungsteam um Yasmin Hurd von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai im US-Bundesstaat New York untersucht. Demnach unterdrückt Cannabis während der Schwangerschaft das Immunsystem in der Plazenta und kann nach der Geburt zu Verhaltens- und physiologischen Störungen beim Kind führen.
Über 300 Mutter-Kind-Paare jahrelang untersucht
Gregory Rompala, Yoko Nomura, and Yasmin Hurd haben in einer Langzeitstudie 322 Mutter-Kind-Paare in New York City von der Zeit der Schwangerschaft bis zum Alter der Kinder von sechs Jahren begleitet und untersucht. So analysierten sie beispielsweise mithilfe von Haarproben die Hormon-Konzentrationen der Kinder, testeten ihr Verhalten mithilfe standardisierter Verfahren und Befragungen der Eltern, etwa dem „Behavioral Assessment System for Children“.
Das Forschungsteam stellte fest, dass Kinder, deren Mutter in der Schwangerschaft Cannabis konsumiert hatte, häufiger Anzeichen von Hyperaktivität, von aggressivem und von ängstlichem Verhalten zeigten. Außerdem waren die Konzentrationen des Stresshormons Cortison bei ihnen erhöht, verglichen mit dem Durchschnittswert bei Kindern, deren Mütter in der Schwangerschaft kein Cannabis geraucht hatten.
Bei einigen der Frauen hatten die Forscherinnen und Forscher nach der Geburt Gewebeproben aus der Plazenta entnehmen können. Untersuchungen daran ergaben, dass in den Geweben der Cannabis-Konsumierenden solche Gene weniger aktiv („exprimiert“) waren, die für die Funktion des Immunsystem nötig sind, etwa jene für Botenstoffe wie Interferon, die Entzündungsreaktionen auslösen oder steuern. Damit könnte die Fähigkeit des Gewebes vermindert werden zu verhindern, dass Viren, Bakterien oder andere Erreger aus dem Blut der Mutter in den Kreislauf des Embryos wandern.
Dass THC womöglich Einfluss auf die Nervenentwicklung des Embryos nehmen könnte, darauf deuten auch Messungen der Herzschlagrate hin. Demnach sei der Vagustonus, der Erregungszustand des vegetativen Nervensystems, bei Kindern cannabiskonsumierender Schwangerer reduziert.
THC greift vielseitig in die Embryonalentwicklung ein
In der Studie, veröffentlicht im Fachblatt „PNAS“, schlussfolgern Hurd und Kolleg:innen, dass der Gebrauch von Cannabis während der Schwangerschaft das Risiko von psychischen Erkrankungen in der frühen Kindheit erhöhen könnte. Allerdings weisen sie auch auf Einschränkungen ihrer Studie und ihrer Interpretationen hin. So stützen sich die Angaben über den Konsum oder Nicht-Konsum von Cannabis auf freiwillige Aussagen der teilnehmenden Frauen. Sie wurden nicht durch physiologische Tests überprüft.
Vor allem aber kann das Forschungsteam nicht ausschließen, dass andere Einflüsse als nur das THC im Mutterleib zu den Verhaltensauffälligkeiten der Kinder beigetragen haben. Zwar habe das Team versucht, solche Faktoren – etwa die finanzielle Situation der Familien – zu berücksichtigen, aber da etwa der Gebrauch von Cannabis häufig mit dem sozioökonomischen Status und dem damit zusammenhängenden Stress einhergeht, seien solche Einflüsse nicht gänzlich auszuschließen.
[Lesen Sie hier mehr über die Folgen des Cannabis-Konsums in der Schwangerschaft: "Schadet Kiffen in der Schwangerschaft dem Baby? - Frauenärzte warnen vor dauerhaften Folgen des Cannabiskonsums für das Ungeborene. Sind die Sorgen berechtigt?"]
Dennoch passt die aktuelle Studie ins bisherige Bild. Denn dass THC der Embryonalentwicklung schaden kann, ist bekannt. Zahlreichen Studien zufolge stört der Stoff das Wachstum des Fötus und führt zu geringem Geburtsgewicht und Frühgeburten. Auch Laboruntersuchungen an Plazenta-Gewebe und Tests an Tiermodellen zeigen, dass THC Wachstumsstörungen hervorruft und die Durchblutung der Plazenta verringert. Nachgewiesen ist auch, dass THC im Hirn von Föten die Andockstellen für den Botenstoff Dopamin reduziert – also die normale Reizübertragung zwischen Nervenzellen stört.
Eine solche Rezeptor-Reduktion beobachteten auch Hurd und Kolleg:innen: In den Planzentazellen der Schwangeren, die Cannabis konsumiert hatten, waren wesentlich weniger Moleküle des Rezeptors „CNR1“ festzustellen als im Gewebe von Frauen, deren Plazenta von THC unbeeinflusst war.