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Bissig. Genscheren wie Crispr/Cas9 befeuern die Gentech-Debatte neu.
© MIT News

Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie: Die ewige Diskussion um die Gentechnik

Die Debatte um Eingriffe ins Erbgut geht weiter. Der technische Fortschritt hat die Gesetzgebung längst überholt.

Seit 16 Jahren trifft sich die Interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Gentechnologiebericht“ (IAG) der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften nun schon. Zahlreiche Publikationen zeugen davon, wie gewissenhaft sie ihre Aufgabe als Beobachterin der Forschung und der sie begleitenden Debatten um Chancen und Risiken der gentechnischen Veränderung von Pflanzen und der Gendiagnostik und -therapie beim Menschen erfüllt hat.

Die öffentliche Aufgeregtheit hat abgenommen

Die gesellschaftliche Aufgeregtheit habe im Laufe der Zeit abgenommen, sagte der stellvertretende Sprecher der Arbeitsgruppe, der Biochemiker Ferdinand Hucho von der Freien Universität Berlin. In seiner Einführung zur zweiten von drei Vorlesungen der Reihe „Gentechnologien damals, heute und morgen“ sagte Hucho, dass die „grüne“ Gentechnik an Pflanzen in Deutschland zwar nach wie vor argwöhnisch beäugt werde. Doch das sei eher ein Ausdruck der Skepsis gegenüber der industrialisierten Landwirtschaft.

Was die Gentechnologien betrifft, die beim Menschen zur Anwendung kommen könnten, hat es in den letzten Jahren aber eigentlich mehr Grund zur Aufregung und Debatten gegeben. Mit neuen Techniken wie der „Genschere“ Crispr/Cas9 können einzelne Gene des Menschen schließlich gezielt korrigiert werden. Wird dabei die Erbinformation von Keimbahnzellen verändert, betrifft das auch kommende Generationen. Für solche Experimente forderten Wissenschaftler aus aller Welt im Jahr 2015 ein Moratorium.

Ein Methusalem-Gesetz

In Deutschland verbietet das Embryonenschutzgesetz ohnehin Eingriffe in die Keimbahn. Neben strengen Verboten enthalte das Gesetz von 1990 aber auch zahlreiche Lücken, erläuterte der Rechtswissenschaftler Jochen Taupitz von der Universität Mannheim. So sei etwa die Möglichkeit, aus reprogrammierten Körperzellen Ei- und Samenzellen herzustellen, in diesem alten Gesetz noch nicht bedacht. „Man kann also auf diesem Weg theoretisch ganz legal ein Ein-Eltern-Baby schaffen, Elternschaft vor der Pubertät oder Mutterschaft nach der Menopause ermöglichen.“ Gesetze müssten keinesfalls immer hinter den technischen Möglichkeiten herhinken, „aber das Embryonenschutzgesetz ist ein Methusalem.“

Allerdings erschweren gesetzliche Hürden auch den Weg zu neuen Gentherapien. Darauf wies der Mediziner Boris Fehse von der Forschungsabteilung Gentherapie des Uniklinikums Hamburg-Eppendorf hin. Forscher brauchten Hilfe, um die besonders strengen Regeln einzuhalten. Zwar stöhne man bisweilen darüber, „doch die Regularien geben auch uns Forschern ein hohes Maß an Sicherheit“.

Vorstellung von Natürlichkeit steht im Widerspruch zur Gentechnologie

Sicherheit sei auch den Bürgern extrem wichtig, sagte Matthias Kettner vom Lehrstuhl für Praktische Philosophie der Universität Witten-Herdecke: „Die Gentechnologie wird anders betrachtet als die Nanotechnologie oder die Digitaltechnologie.“ Sie polarisiere wahrscheinlich deshalb mehr, weil unsere Wertschätzung für Natürlichkeit mit im Spiel sei. In den Diskussionen über Stammzell- und Gentherapien herrsche einerseits oft zu viel vordergründiger Konsens, andererseits aber auch unüberbrückbarer Dissens.

Institutionen wie der Deutsche Ethikrat können aber helfen, das Themenfeld zu ordnen und fruchtbare Debatten anzustoßen, sagte Kettner. „Sie produzieren im besten Fall Argumentationen, die der Bürger nachvollziehen kann, keine Dogmen.“ Intelligente Urteilsbildung in ethischen Fragen zeige immer wieder neue Probleme auf und sei damit vorläufig. „Ewig gültige“ Antworten könne die Ethik deshalb nicht liefern. Das gelte auch für die Gesetzgebung, sagte Taupitz. Sie müsse sich zwar auf künftige Entwicklungen vorbereiten. „Ob in hundert Jahren Menschen gezüchtet werden, ist dann aber die Verantwortung künftiger Generationen.“

Veranstaltungshinweis: Die abschließende Lesung aus der Reihe „Gentechnologien damals, heute und morgen“ findet am 16.11. um 18 Uhr in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Jägerstraße 22/23, statt. Eintritt frei (Voranmeldung erforderlich: www.bbaw.de/veranstaltungen).

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