Berliner Erbgutforschung: Die DNS von Dahlem
Vor 50 Jahren wurde das Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik gegründet.
Manchmal beginnt etwas Neues mit einem neuen Namen. So geschehen am 6. Dezember 1963. „Der Senat beschließt, den Namen des Max-Planck-Instituts für vergleichende Erbbiologie und Erbpathologie in Max-Planck-Institut für molekulare Genetik zu ändern“, heißt es in einem Beschluss der Max-Planck-Gesellschaft. Aus der „Erbbiologie“ wurde also die „molekulare Genetik“. Damit verschwand der letzte Überrest des mit der verbrecherischen nationalsozialistischen Rassenpolitik verbundenen Berliner Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik.
Der Neuanfang vor 50 Jahren fiel zunächst bescheiden aus. Die ersten Wissenschaftlergruppen forschten in Dahlemer Provisorien in der Ehrenberg- und Harnackstraße. 1970 zog man dann in die Ihnestraße 73 um, in einen sachlichen Neubau. Die fabrikähnliche Architektur signalisierte die Wende gegenüber dem herrschaftlichen Palais- und Villen-Stil, in dem die Kaiser-Wilhelm-Institute vor dem Ersten Weltkrieg in Dahlem errichtet worden waren.
Keine Eugenik mehr, sondern molekulare Genetik
Die Molekulargenetiker von 1970 lösten naturwissenschaftliche Probleme, die mit Bakterien und Viren zu tun hatten. Sie schmiedeten keine Pläne zur Eugenik und Rassenhygiene mehr, wie ihre Vorgänger auf dem Campus. Mittlerweile ist die krude Silhouette des Instituts durch Rasenflächen und einen vorgesetzten Neubau aufgelockert. Das neue Haus nimmt die Grundform der alten Gebäude auf, kommt aber heller und transparenter daher, Farbflächen an den Fassaden lockern das Grau der Umgebung auf.
Der Nationalsozialismus war Ursache dafür, dass Deutschland nach hoffungsvollen Anfängen in den frühen 1930er Jahren den Anschluss an die moderne Biologie verlor, wie Hans-Jörg Rheinberger vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte im Festvortrag zum Institutsjubiläum darlegte. Köpfe wie Max Delbrück und Erwin Chargaff emigrierten und leiteten die molekulare Umwälzung ihres Fachs in den USA und Großbritannien ein. Was für die Physiker des Space Age das Atom war, wurde für die Biologen das Molekül – Symbol eines neuen Zeitalters, Ausdruck der Eroberung neuer wissenschaftlicher Welten. Später war es die 1953 entdeckte Spirale des Erbmoleküls DNS, die Emblem der Lebenswissenschaften wurde.
Suche nach der Gensteuerung
Tübingen, München und Göttingen mit ihren Max-Planck-Instituten waren in der Nachkriegszeit zunächst die einzigen Standorte in Deutschland, die mit der internationalen Entwicklung in der Molekularbiologie halbwegs Schritt halten konnten. 1961 kam Köln hinzu, an dessen Universität Max Delbrück zusammen mit Carsten Bresch das herausragende Institut für Genetik aufbaute. Und 1964 Berlin. Das Dahlemer Max-Planck-Institut war das erste in Deutschland, das in seinem Namen „molekulare Genetik“ führte, wie Rheinberger feststellte.
In Berlin trat mit Heinz Schuster, Heinz-Günter Wittmann und Thomas Trautner eine neue Generation von Max-Planck-Direktoren an, die ihr Handwerk bereits an amerikanischen Spitzenuniversitäten wie Stanford und Berkeley gelernt hatte. Ihre Forschungsthemen waren streng molekular: Die Steuerung von Genen, chemische Veränderungen der Erbsubstanz, die Gestalt der Ribosomen, der Eiweißfabriken der Zellen.
Als es möglich wurde, die Erbinformation in großem Stil zu entziffern, war es in Dahlem Zeit für ein Umdenken. Mit dem Chemiker und Genom-Experten Hans Lehrach und dem Humangenetiker Hans-Hilger Ropers wurden 1994 zwei international renommierte Wissenschaftler ans Institut berufen, in deren Forschung der Mensch und seine Gene im Mittelpunkt standen.
Systembiologie, Epigenetik, Genomanalyse
Dazu gehörte durchaus Mut. Denn wenn es nach manchen Kritikern gegangen wäre, dann wäre die Humangenetik – also die Erforschung und Behandlung genetisch bedingter Krankheiten – für die Max-Planck-Gesellschaft wegen ihrer historischen Hypothek auf immer tabu geblieben. Und Patienten von heute hätten für die Verbrechen von damals gebüßt.
Die Erforschung des menschlichen Genoms wurde großzügig gefördert, das Institut wuchs rasch, Anbauten wurden erforderlich. Mit dem Entwicklungsbiologen Bernhard Herrmann und dem Bioinformatiker Martin Vingron wurden zwei weitere Großthemen der modernen Biologie am Institut vertäut. Aber die Entwicklung bleibt nicht stehen. Systembiologie, Epigenetik (die Steuerung der Gene durch Umwelteinflüsse) und eine inzwischen rasend schnelle Genom-Analyse mit Hochdurchsatz-Sequenzierung sind nur einige der aktuellen Themen der molekularen Genetik. Am Institut steht ein neuer Generationswechsel bevor. Herausforderungen für die nächsten 50 Jahre dürfte es genug geben.