Chemie-Nobelpreis: Fabriken des Lebens
Ribosomen sind komplexe molekulare Maschinen. Die Preisträger enträtselten ihre Konstruktion.
Proteine sind die Bausteine und Handwerker des Lebens. Sie geben Haaren, Haut und Nägeln ihre Gestalt, transportieren den Sauerstoff im Blut und bilden das Rückgrat des Immunsystems. Kurz: Proteine, auch Eiweiße genannt, sind lebenswichtig. Weil Proteine Spezialisten sind, kommt es bei ihrer Montage in der Zelle auf äußerste Präzision an – eine Aufgabe, mit der die Ribosomen betraut sind, die „Eiweißfabriken“ der Zelle.
Der mit knapp einer Million Euro dotierte Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr zu gleichen Teilen an jene drei Forscher, die sich beim „Ausspähen“ der Proteinfabriken die größten Verdienste erworben haben. Es sind die Israelin Ada Yonath (Weizmann-Institut, Rehovot) und die Amerikaner Venkatraman Ramakrishnan (Uni Cambridge) und Thomas Steitz (Yale-Universität, New Haven).
Die Arbeit der Forscher basiert auf dem 1970 von Francis Crick, dem Entdecker der Doppelhelix, aufgestellten zentralen Dogma der Molekularbiologie. Danach wird die in einem Gen kodierte und in der Erbinformation DNS chemisch fixierte Bauanleitung für ein Eiweiß auf eine Boten-RNS übertragen (Transkription). Die in der Boten-RNS gespeicherte Bauanleitung wird dann in eine lange Kette aus Aminosäuren übersetzt, die sich zu einem Protein faltet.
Die „Übersetzungsmaschine“ vom Gen zum Protein ist das Ribosom. Jede Zelle besitzt Tausende von Ribosomen, um mit ihrer Hilfe die benötigten Eiweiße herzustellen. Ribosomen sind molekulare Giganten, deren zwei Hauptbestandteile aus mehr als 50 Einzelkomponenten zusammengesetzt sind, darunter Dutzende von Proteinen und lange Fäden von Ribonukleinsäure (RNS). „Extrem asymmetrisch“ seien Ribosomen aufgebaut, sagt Knud Nierhaus, Ribosomenforscher am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik in Berlin. Und das ist noch höflich ausgedrückt. Für den Außenstehenden sieht ein Ribosom eher wie ein chaotisches, zerfranstes Wollknäuel aus.
Um den Aufbau eines Proteins und seine räumliche Ausdehnung zu ermitteln, nutzen Wissenschaftler die Röntgenkristallographie. Dabei wird ein Röntgenstrahl durch eine kristallisierte Probe des zu untersuchenden Moleküls geschickt. Der Röntgenstrahl bricht sich im Kristall, und aus dem dabei entstehenden Streumuster der Strahlen lässt sich die Gestalt des Moleküls ableiten.
Es erschien zunächst wie eine technische Sisyphus-Aufgabe, die hoch komplizierte und aufwändige Röntgenkristallographie auch noch bei einem so riesigen und labyrinthischen Komplex wie dem Ribosom einzusetzen. Wie sollte es gelingen, die Position von Hunderttausenden von Atomen in diesem „Rieseneumel“ exakt zu orten? Aber das Unglaubliche glückte.
Das Max-Planck-Institut für molekulare Genetik hatte sich in den 1970er Jahren zu einem weltweiten Mekka der Ribosomenforschung entwickelt. Heinz-Günter Wittmann, Direktor am Institut, hatte sich in den Kopf gesetzt, die Struktur des Ribosoms zu enträtseln. Als Nachwuchswissenschaftlerin in Wittmanns Abteilung gelang es Ada Yonath 1980, die ersten Kristalle der großen Untereinheit eines Ribosoms aus einem Bakterium herzustellen.
Doch bis das Ribosom Atom für Atom enträtselt war, sollten noch 20 Jahre vergehen. Dabei waren vor allem zwei Hürden zu überwinden. Zum einen musste die Qualität der Kristalle für die Röntgenanalyse deutlich verbessert werden. Zum anderen traten bei der Analyse der Beugungsmuster große Probleme auf, galt es doch Millionen von Messpunkten richtig zu deuten.
Es war der erfahrene Kristallograph Thomas Steitz, der bei der Zuordnung der Messpunkte entscheidende Erfolge erzielte. Dabei nutzte er zusätzlich elektronenmikroskopische Aufnahmen von Ribosomen. Das verschwommene Bild vom Ribosom wurde schärfer und schärfer.
Im August und September 2000 gingen dann die drei jetzigen Nobelpreisgewinner fast zeitgleich mit hochrangigen Publikationen durchs Ziel. Steitz veröffentlichte die Struktur der großen Untereinheit eines Ribosoms des Archaebakteriums Haloarcula marismortui, Yonath und Venkatraman Ramakrishnan legten den Aufbau der kleinen Untereinheit des Bakteriums Thermus thermophilus vor.
Das Ribosom war enträtselt – fast. Der atomare Aufbau des Monstermoleküls erleichtert es zwar, zu verstehen, wie die Herstellung der Proteine abläuft. Ribosomen in Bakterien schaffen es, in einer Sekunde 20 Aminosäuren aneinanderzuheften, so dass ein Protein nach etwa 25 Sekunden „produziert“ ist. Aber noch sind nicht alle Prozesse der Proteinherstellung geklärt, und noch fehlt es außerdem an Ribosomen-Strukturen von höheren Organismen.
„Das hat auch großen medizinischen Nutzen“, sagt Nierhaus. Denn 70 Prozent aller Antibiotika binden sich chemisch an Ribosomen von Bakterien. Sie blockieren zum Beispiel den „Geburtstunnel“ des Ribosoms für neue bakterielle Eiweiße oder sie stoppen die Übersetzung der Erbinformation in Eiweiß.
Deshalb werden Ribosomen als Ansatzpunkt für antibakterielle Medikamente intensiv erforscht. Und deshalb ist es wichtig, die Unterschiede zwischen den Ribosomen von Mensch und Bazillus zu kennen – um wirksamere Antibiotika zu entwerfen.
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