zum Hauptinhalt
Versteht die Bürokratie ihre eigene Sprache?
© Kitty Kleist-Heinrich

Bertelsmann-"Chancenspiegel": Die deutschen Schulen werden langsam gerechter

Die Chancengerechtigkeit im deutschen Bildungssystem steigt, allerdings nur langsam. So verlassen weniger Jugendliche die Schule ohne Abschluss, immer mehr machen dafür Abitur. Die Unterschiede sind nicht nur von Bundesland zu Bundesland, sondern auch von Kreis zu Kreis groß.

Auch hängt der Bildungserfolg immer noch stark von der sozialen Herkunft ab. Das geht aus dem am Donnerstag veröffentlichten „Chancenspiegel“ der Bertelsmann-Stiftung hervor, der die Schulsysteme der Bundesländer auf verschiedene Kriterien wie Durchlässigkeit oder Integrationskraft hin untersucht (zur gesamten Studie geht es hier). Die Untersuchung fußt vor allem auf statistischen Daten aus dem Schuljahr 2012/13.

Jedes Land hat Stärken und Schwächen

Anders als ähnliche angelegte Vergleiche – wie etwa der „Bildungsmonitor“ der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft -  verzichtet Bertelsmann auf ein Ranking der Bundesländer nach Art der Fußball-Bundesliga-Tabelle. Es werden vielmehr für die vier Themenfelder Integrationskraft, Durchlässigkeit, Kompetenzförderung und Zertifikatsvergabe Gruppen von Ländern (oben, mittel, unten) gebildet. Kein Land schafft es dabei durchgehend in die Spitzengruppe, genauso wie kein Land durchgehend in der Schlussgruppe liegt. „Jedes Bundesland weist relative Stärken und Schwächen auf“, heißt es in der Studie.

Berlin ist gut bei der "Integrationskraft"

Berlin punktet mit der „Integrationskraft“ seiner Schulen und liegt bei diesem Thema in der oberen Gruppe. In der Stadt geht mehr als die Hälfte der Schülerinnen und Schüler auf eine Ganztagsschule (53,1 Prozent). Bundesweit sind es im Schnitt 32,3 Prozent, in Ländern wie Bayern, Baden-Württemberg oder Sachsen-Anhalt (untere Gruppe) sind es sogar weniger als 20 Prozent. Berlin ist zudem bei der Inklusion weiter als andere. Nur 3,2 Prozent der Schüler sind noch in speziellen Förderschulen untergebracht, während es in Mecklenburg-Vorpommern, NRW und Sachsen zwischen sechs und sieben Prozent sind.

Durchlässige Schulsysteme hat der Osten

Als besonders durchlässig bezeichnet die Studie die Schulsysteme im Osten und in Hamburg. Positiv wird hier unter anderem ein hoher Anteil an Gymnasiasten gewertet. Bundesweit wechseln inzwischen 42,9 Prozent der Schüler aufs Gymnasium, in Hamburg sind es sogar 52,9 Prozent. Auch Berlin liegt hier mit 50,5 Prozent weit vorne. Ein anderes Kriterium für die Durchlässigkeit ist, wie viele Absolventen mit Hauptschulabschluss es in das duale Ausbildungssystem schaffen. Hier liegt Berlin im Bundesschnitt (41,6 Prozent), während in Hamburg mehr als die Hälfte dieser Jugendlichen einen Ausbildungsplatz bekommen.

Dass die Schulerfolg in Deutschland stark von der sozialen Herkunft abhängt, ist aus vielen Schulstudien bekannt – auch wenn in der jüngsten Pisa-Studie eine Verbesserung festgestellt wurde. Der „Chancenspiegel“ stellt den Zusammenhang erneut fest. Er beruft sich dabei auf die Ergebnisse des 2013 erschienen Schulvergleichs zwischen den Bundesländern, in dem abgeprüft wurde, inwieweit Neuntklässler die Bildungsstandards im Fach Mathematik erfüllen. Damals erzielten die ostdeutschen Länder überdurchschnittliche Ergebnisse, während insbesondere Berlin und Bremen schwach abschnitten. Dieses Ergebnis findet sich jetzt naturgemäß auch bei der Bertelsmann-Studie für den Bereich „Kompetenzförderung“ wieder.

Viele Schulabbrecher in Berlin

Im unteren Feld gruppiert sich Berlin ein, wenn es um die Schulabschlüsse geht. Das liegt vor allem an der hohen Quote der Schulabbrecher (9,3 Prozent), die negativ gewertet werden. Bundesweit steht diese Quote bei sechs Prozent, in der oberen Gruppe der Länder wie Baden-Württemberg oder Saarland nur bei fünf Prozent. Im Jahr 2009 lag die Quote der Schulabbrecher bundesweit noch bei 6,9 Prozent. Umgekehrt erlangen immer mehr Jugendliche die Hochschul- oder Fachhochschulreife. Bundesweit sind es inzwischen 54,9 Prozent des Altersjahrgangs, während es 2009 noch 46,7 Prozent waren. In der Spitzengruppe (dazu gehören Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und das Saarland) machen sogar mehr als 60 Prozent das Abitur oder Fachabitur (Berlin: 49,9 Prozent).

Große Schwankungen von Kreis zu Kreis

Die Chancen, das Abitur abzulegen, schwanken allerdings nicht nur zwischen den Ländern, sondern auch regional von Kreis zu Kreis. In Sachsen etwa machen etwa im Schnitt 44,7 Prozent der Schüler Abitur. In manchen sächsischen Kreisen sind es aber nur 32 Prozent, während es anderswo in dem Land 63 Prozent sind. Ein hohes regionales Gefälle zeigt sich neben Sachsen insbesondere auch in Bayern und Rheinland-Pfalz. Richtig erklären können die Forscher das Phänomen nicht. Womöglich liege es an dem Schulangebot in einzelnen Kreisen, heißt es – wenn irgendwo ein Gymnasium fehle, erzeuge das starke Pendelströme in einen Nachbarkreis. Das sei ein durchaus „relevanter Befund“, heißt es in der Studie: Vor allem bildungsferne Familien würden sich eher für das Bildungsangebot vor Ort entscheiden und vor langen Schulwegen zurückschrecken. Wer ein faires Bildungssystem wolle, müsse also auch über die regionale Verteilung von Schulen nachdenken.

Berlin im Vergleich zu München

Unterschiede zwischen den Bezirken der Stadtstaaten zeigt die Studie nicht auf – ob die Bildungsgerechtigkeit in Reinickendorf oder Neukölln größer ist, wird also nicht geklärt. Für einige Kriterien vergleicht die Studie aber die Stadtstaaten mit anderen Großstädten über 350 000 Einwohnern. Besonders viele Fünfklässler wechseln demnach in Dresden, Hamburg, München und Stuttgart auf ein Gymnasium (jeweils mehr als 54,5 Prozent). Berlin liegt mit Bochum, Frankfurt oder Hannover in einer mittleren Gruppe von Städten, wo es rund die Hälfte aufs Gymnasium schafft. Dank der Einführung der Sekundarschule gehen in Berlin aber fast alle Schüler auf eine Einrichtung, die zumindest die Option auf eine Hochschulreife bietet. Ähnlich hoch sind die Werte nur in Bremen, Hamburg und Hannover, während sie in den bayrischen Großstädten stark abfallen.  

Zur Startseite