Wachsende Menschheit: Die Bevölkerungsbombe ist verpufft
Nach einer neuen Prognose wächst die Menschheit stärker als erwartet, vor allem in Afrika. Aber das ist kein Anlass zum Pessimismus, sondern zur Freude. Ein Kommentar.
Mehr als sieben Milliarden Menschen bevölkern die Erde, 2050 werden es voraussichtlich neun Milliarden sein, 2100 dann elf. Weiteres Wachstum wahrscheinlich. So lauten die neuesten Schätzungen auf Basis von Daten der Vereinten Nationen (der Tagesspiegel berichtete). Jedes Jahr wächst die Menschheit etwa um die Bevölkerung der Bundesrepublik. 2100 wird sich die Bevölkerung Afrikas von ein auf vier Milliarden vervierfacht haben. Der Kontinent wird dann mit Asien gleichgezogen haben, das seinen Zenit bereits überschritten haben wird. Die restlichen drei stark bevölkerten Regionen (Nord- und Südamerika, Europa) bleiben jeweils unter einer Milliarde. So weit die Prognose. Weil sie die Zukunft betrifft, ist sie unsicher. Aber die Forscher versichern glaubhaft, sie sei besser, als es bisherige Annahmen sind.
Mit ihrer Prophezeiung kündigen die Wissenschaftler einen 20 Jahre währenden Konsens auf. Bisher hatte es geheißen, 2050 sei mit neun Milliarden der demografische Gipfel erreicht. Dann gehe es allmählich wieder bergab. Das war ein bisschen Valium für Besorgte. Umso mehr wundert man sich, dass die neue Hochrechnung kaum Aufsehen erregt. Erst recht in Zeiten, in denen der von Menschen gemachte Klimawandel und seine Folgen so sehr im Mittelpunkt stehen.
"Die Bevölkerungsbombe" sagte das Ende der Menschheit voraus
Vor 40 Jahren war das anders. Damals war Überbevölkerung ein heißes Thema. Die Lunte gelegt hatte „Die Bevölkerungsbombe“, ein 1968 erschienener Bestseller des Stanford-Professors Paul Ehrlich und seiner Frau Anne. Die Ehrlichs sagten Hungersnöte für die 1970er und -80er Jahre voraus und gaben keinen Pfifferling mehr auf die Zukunft der Menschheit.
Aber der Knall, mit dem die Bevölkerung „explodieren“ sollte, fand nicht statt. Der Untergang blieb aus, weil Paul und Anne Ehrlich sich vertan hatten. Durchaus real sind jedoch Probleme wie Armut oder Hunger, die der Überbevölkerung zugeschrieben werden. Wer nach Lösungen beim Thema Bevölkerungswachstum sucht, gerät leicht zwischen die politisch-ideologischen Fronten. Die Rechte würde an Europas Grenzen am liebsten Dämme gegen die Menschenflut aus Afrika bauen und allenfalls Verhütungsmittel über dem Süden abwerfen.
Die Linke wiederum hängt der Vorstellung an, Hunger sei lediglich ein Umverteilungsproblem. Eigentlich sei genug Nahrung für alle da. Und dass die reichen Klimasünder-Nationen nun den armen vorschreiben wollten, keine Kinder mehr zu bekommen, sei ohnehin eine Frechheit.
Ein Hauch von Untergang weht auch durch die neue Bevölkerungsprognose. Umweltverschmutzung, Ressourcenverbrauch, Arbeitslosigkeit, Armut, Gesundheitsprobleme, soziale Unruhen und manches mehr befürchten die Forscher um Patrick Gerland von den Vereinten Nationen. Aber vielleicht unterschätzen sie auch Anpassungsfähigkeit, Ideenreichtum und Erfindergeist des Homo sapiens. Bis heute ist schließlich nicht ausgemacht, wie viel Menschheit eigentlich „zu viel“ ist, wie viel Menschen die Erde tragen kann. Paul Ehrlich meinte, der Globus könne allenfalls zwei Milliarden verkraften. Doch warum nicht zehn? Oder 15?
Mehr Menschen heißt nicht unbedingt auch "mehr Hunger"
Die Gleichung „Mehr Menschen = mehr Hunger“ ist keinesfalls zwingend. Das zeigt das Beispiel der grünen Revolution. Mitte des 20. Jahrhunderts führten bessere Pflanzensorten, Bewässerung, Düngung und Pflanzenschutz zu drastischen Ertragssteigerungen. Indien und China sind seitdem weitgehend frei von Hungerepidemien. Gewiss, die grüne Revolution hatte ihre ökologischen Schattenseiten – aber sie deshalb zu verdammen, grenzt an Zynismus und Misanthropie. Wer die Menschen in Zukunft ernähren will und sie nicht nur als Klimaschädlinge sieht, wird jedenfalls nicht weniger, sondern mehr Technik und Know-how benötigen.
Im 20. Jahrhundert hat sich die Weltbevölkerung vervierfacht. Von solcher Dynamik kann heute, mit Ausnahme von Afrika, nicht mehr die Rede sein. Das Wachstum der Menschheit verlangsamt sich, das Bremsmanöver findet längst statt. Die wesentlichen Ursachen für den globalen Rückgang der Fruchtbarkeit sind Wohlstand und Bildung. Sie dämpfen den Kindersegen, mit Vorteilen für alle Beteiligten. Und weil sie allmählich auch in Afrika gedeihen, muss uns langfristig um die Entwicklung nicht bange sein. Paul Ehrlich natürlich wie immer ausgenommen.
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