Union und AfD: Die abstoßende Anziehung
Die Debatte in der CDU, wie man mit der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD) umgehen soll, rührt an das Selbstverständnis der Partei. Wohin geht der Kurs?
Christine Lieberknecht will keine Zweifel aufkommen lassen. „Eine Koalition mit der AfD schließe ich aus“, hat die Thüringer Ministerpräsidentin dem Magazin „Focus“ versichert, auf Ehre und Gewissen: „Mein Wort gilt.“ Ihr sächsischer Kollege und Parteifreund Stanislaw Tillich bleibt etwas verbindlicher: „Ich habe kein Interesse, mit einer Partei zusammenzuarbeiten, von der ich nicht weiß wo sie programmatisch steht.“ Für Lieberknecht und Tillich stellt sich bei ihren Landtagswahlen in diesem Herbst die Frage konkret, die in der Union inzwischen viele umtreibt: Wie gehen wir mit der „Alternative für Deutschland“ um?
Wo verlaufen die Fronten in der Union über den Umgang mit der AfD?
Im Grunde ist die Lage einfach, im Detail etwas komplizierter. Nur eine kleine Gruppe innerhalb der CDU erklärt die AfD zum denkbaren politischen Partner. Prominenteste Kronzeugin ist im Moment Fraktionsvize Erika Steinbach. Die AfD sei „eine rechtsstaatliche, demokratische Gruppierung“ und damit „ebenso unser Konkurrent wie unser möglicher Partner“, hat Steinbach dem „Spiegel“ zu Protokoll gegeben.
Das eine wie das andere teilen die meisten Christdemokraten nicht. Die Parteispitze hat jede Zusammenarbeit mit der AfD am Montag nach der Europawahl förmlich abgelehnt, Präsidium und Vorstand empfahlen den Landesverbänden, es genauso zu halten. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hat sogar angekündigt, mit diesen Leute gar nicht erst in Talkshows zu diskutieren – was der Debatte, die die CDU-Spitze eigentlich vermeiden wollte, freilich erst mal neuen Schwung verlieh.
Auffällig ist, dass die lautesten Ehrbarkeitserklärungen für die AfD allesamt aus Hessen kommen. In den bürgerlichen Hochburgen um Frankfurt hat die AfD bei der Europawahl stark abgeschnitten, gleichzeitig sind dort ihre gutbürgerlichsten Repräsentanten aktiv. AfD-Vize Alexander Gauland etwa war unter CDU-Ministerpräsident Walter Wallmann Staatskanzleichef. „Der war eher ein Linker als ein Rechter“, sagt Steinbach.
Anderswo kommt die AfD weit weniger honorig daher. Der Thüringer CDU- Fraktionschef Mike Mohring etwa, innerparteilich durchaus ein Konservativer, sieht in seinem Land viel rechten Rand, der jetzt auf AfD-Ticket reist. Auch in Bayern und Baden-Württemberg vermerken Unionspolitiker alte Bekannte in der neuen Partei: Da tummle sich, was früher bei den „Republikanern“ war.
Welche Argumente führen die Anhänger eines „Kooperationskurses“ an?
Ein zentrales Argument ist ein taktisches: Wenn eine AfD bei der Europawahl auf sieben Prozent komme, die FDP aber auch da im Drei-Prozent-Loch verharre, dann müsse sich die Union die Newcomer warmhalten. „Die Parteienlandschaft hat sich dann verändert“, sagt Steinbach kühl. Und eine große Koalition als Dauereinrichtung könne niemand wollen. Nicht ganz so deutlich sagen sie und ihre konservativen Gesinnungsgenossen, dass ihnen die neue Konkurrenz zur Beförderung eigener Anliegen zupasskommt. Die „Identität der eigenen Partei“ werde in der CDU ja „zum Teil sehr schüchtern artikuliert“, ätzt Steinbach. Und Leute wie der Hesse Klaus-Peter Willsch oder der Nordrhein-Westfale Wolfgang Bosbach können schon deshalb nicht voll gegen die AfD halten, weil sie zur Handvoll Euro-Rebellen in der Union gehören.
Was sagen die „Abgrenzer“?
Im Europawahlkampf hat die CDU- Spitze die Linie „einfach ignorieren“ vorgegeben, während die CSU-Spitze versuchte, es der AfD in Euroskepsis gleichzutun. Durchschlagend funktioniert hat beides nicht, wobei der CSU die Umarmungstaktik noch schlechter bekam. Trotz der durchwachsenen Ergebnisse empfahl Kauder, an der Ausgrenzung festzuhalten. Der Unionsfraktionschef war lange Generalsekretär der Baden-Württemberg-CDU, er hat die „Republikaner“ kommen und wieder gehen sehen. Sich mit einer Truppe inhaltlich auseinanderzusetzen, die derart widersprüchlich, populistisch und bauernfängerisch argumentiere wie die AfD, findet er falsch. Das einzig richtige Rezept sei, die eigene Position immer wieder deutlich zu machen. Ein anderer alterfahrener Südwest-Christdemokrat pflichtet ihm bei: „Wir müssen zu unseren eigenen Überzeugungen verlässlich stehen“, sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble: „So überzeugt man am besten andere.“
Die Frage ist freilich, wie die Abgrenzung in der Praxis geübt wird. Während Kauder nicht mit AfD-Leuten diskutieren will, findet Parteifreund Bosbach das unlogisch – mit der Linkspartei streite der Fraktionschef ja ebenfalls vor Kameras. Aber auch Bosbach räumt ein, dass mit einer Partei schwierig ernsthaft zu diskutieren sei, die „mal ein bisschen linkspopulistisch und mal ein bisschen rechtspopulistisch“ auftrete, wie es gerade passe.
Wieso fordern SPD-Politiker von der Union einen förmlichen Abgrenzungsbeschluss?
Überspitzt gesagt: weil sie damit selbst die denkbar schlechtesten Erfahrungen gemacht haben und der bürgerlichen Konkurrenz das Gleiche gönnen würden. 1994 hatte der SPD-Parteitag unter Parteichef Rudolf Scharping eine scharfe Abgrenzung von der Linkspartei beschlossen und Koalitionen mit den SED-Nachfolgern auf Bundes- und Landesebene ausgeschlossen. Dagegen hatte CDU- Chef Helmut Kohl schon 1990 die Ost-CDU und alle, die sonst noch bereit waren, zur „Allianz für Deutschland“ vereint – gegen den Widerstand seines Generals Volker Rühe, der die diskreditierten DDR-„Blockparteien“ nicht in den eigenen Reihen sehen wollte. Kohls Allianz gewann die Wahl. Die SPD laboriert bis heute an ihrem Verhältnis zur Linken.