Übergewicht: Dicke Herzkranke sind im Vorteil
Wer übergewichtig ist, hat bessere Überlebenschancen nach einer Therapie seines Herzleidens. Auch bei anderen chronischen Krankheiten kann es günstig sein, mehr zu wiegen.
Fettsucht gilt als bedrohliche weltweite „Epidemie“ und soll die Gefahr von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöhen. Auf der anderen Seite ist in den letzten Jahren immer deutlicher geworden, dass Beleibte vor den Folgen chronischer Krankheiten besser geschützt sind als Normalgewichtige, etwa vor Herz- oder Nierenleiden und vor Tumoren. Eine umfassende Übersichtsstudie bestätigt nun dieses widersinnige Fettsucht-Paradox am Beispiel von Herzkranken, die sich einer Bypass-Operation oder einer Katheter-Therapie unterzogen hatten.
36 Untersuchungen mit insgesamt fast 260 000 Patienten haben Abhishek Sharma vom Maimonides Medical Center in New York und Kollegen ausgewertet. Im Zentrum stand der Körpermasse-Index BMI, festgelegt als Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch Körpergröße in Metern zum Quadrat. Es ging darum, wie BMI und Überlebenschancen zusammenhängen, beobachtet über einen mittleren Zeitraum von gut anderthalb Jahren nach der Behandlung.
Untergewicht ist bei Herzleiden ein großes Risiko
Die schlechtesten Karten haben danach untergewichtige Herzkranke (BMI kleiner 20) mit einem um das zwei- bis dreifache erhöhten Sterberisiko im Vergleich zu Normalgewichtigen (BMI bis 25). Am besten dran waren leicht Übergewichtige (BMI bis 30), deren Sterberisiko in Bezug auf Normalgewichtige um 28 Prozent verringert war. Auch leicht (BMI bis 35) und sogar schwer Fettsüchtige (BMI von 35 oder größer) waren im Vorteil, ihr Sterberisiko war um 27 und um 22 Prozent verringert. Allerdings war die Gefahr der Superdicken, ihrem Herzleiden zu erliegen, um knapp 50 Prozent erhöht, berichten die Forscher im Fachblatt „Mayo Clinic Proceedings“.
Mediziner wie der Internist Kamyar Kalantar-Zadeh von der Universität von Kalifornien in Irvine befürchten, dass die Ergebnisse Anti-Fettsucht-Kampagnen unterlaufen könnten. Dazu gebe es aber keinen Anlass, behauptet Kalantar-Zadeh in einer Pressemitteilung. Er vergleicht die Fettsucht mit einem Freund, dessen schlechter Einfluss (der Risikofaktor) einen ins Gefängnis bringt (das Herzleiden), der dort aber schlechte Haftbedingungen und böswillige Mitgefangene fern hält (bessere Überlebenschancen).
Beleibte haben im Krankheitsfall mehr zuzusetzen
Weshalb ein höherer BMI bei chronisch Kranken von Vorteil ist, ist ungeklärt. Man könne bislang nur spekulieren, sagt der Studienautor Sharma. Eine Erklärung könne sein, dass übergewichtige Patienten öfter und in höherer Dosis herzschützende Medikamente bekommen als Normalgewichtige. Auch hätten dicke oder übergewichtige Patienten Herzkranzgefäße mit größerem Durchmesser, was das Herz besser durchblute. Zudem könnten Unterschiede im Stoffwechsel, dem Krankheitsprozess und der genetischen Ausstattung eine Rolle spielen.
Vielleicht haben Beleibte ganz einfach mehr zuzusetzen, wenn sie von der Krankheit herausgefordert sind. Seelische Faktoren sind eine weitere mögliche Ursache, sagt der Berliner Herzspezialist Dietrich Andresen. „Wer ein bisschen mehr auf die Waage bringt, ist häufig fröhlicher und positiver gestimmt“, hat Andresen festgestellt. „Das kann sich nachweislich günstig auf den Organismus auswirken, genauso wie auf der anderen Seite Depressionen schlecht fürs Herz sind.“
Wenn die simple Gleichung „hoher BMI = hohes Gesundheitsrisiko“ nicht aufgeht, dann ist es Zeit, sich nach anderen Maßstäben umzusehen. Ergiebiger sind der Hüftumfang und das Taille-Hüfte-Verhältnis. Sie sagen etwas über die Fettverteilung aus und sind in Bezug auf Gefäßverkalkung und Kreislaufleiden wichtig. Eine Schwäche des BMI ist zudem, dass er nicht zwischen Fettgewebe und Muskeln unterscheidet. Ein vermeintlich gesunder niedriger BMI kann auf wenig Muskeln und wenig Fitness hindeuten – und damit auf ein eher schlechtes Gesundheitsprofil.
Einen unschlagbaren Vorteil hat die BMI-Einteilung in Normal- und Übergewicht jedoch. Sie erlaubt es Interessierten, einen Großteil der Bevölkerung für zu dick zu erklären. Auch wenn es nicht von Nachteil sein muss, wenn man nicht ins Raster des Normalgewichts passt. Im Gegenteil.