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Das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule ist groß.
© Oliver Dietze/dpa

Pisa-Sonderauswertung: Deutsche Schüler sind zufrieden - trotzdem haben viele Versagensängste

Neuntklässler in Deutschland fühlen sich gut ins Schulleben integriert. Das zeigt eine Sonderauswertung der Pisa-Studie. Doch es gibt auch einige bedenkliche Befunde.

Neuntklässler in Deutschland sind überwiegend zufrieden mit ihrem Leben und fühlen sich gut in ihrer Schule integriert. Sie schätzen ihr Wohlbefinden dabei etwas besser ein, als Schüler es im OECD-Schnitt tun. Das ergibt eine Sonderauswertung der Pisa-Studie 2015, die am Mittwoch vorgestellt wurde.

In Deutschland sagen demnach 73 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler, sie seien zufrieden oder sehr zufrieden mit ihrem Leben. Im OECD-Schnitt waren es 71 Prozent. „Deutschland liegt bei den meisten Indikatoren in einem guten Mittelfeld“, sagte Andreas Schleicher, Bildungsdirektor bei der OECD. Damit bestätigt sich ein Befund der Pisa-Studie 2012: Auch damals fühlen sich Schüler subjektiv wohler als in vielen anderen Staaten.

Spitzenreiter sind die Niederlande

Spitzenreiter sind nun die Niederlande, Mexiko, die Dominikanische Republik und Finnland, die Zufriedenheitswerte von über 80 Prozent erzielen. Die Niederlande und Finnland erzielten bei der jüngsten Pisa-Studie schon sehr gute Werte in den abgefragten Wissensbereichen (diese Ergebnisse wurden bereits Ende letzten Jahres veröffentlicht). „Leistung und Wohlbefinden passen also zusammen“, sagte Schleicher: „Erfolgreiche Bildungssysteme bekommen alles auf eine Reihe: Sie fordern ihre Schüler kognitiv und decken gleichzeitig ihre emotionalen und sozialen Bedürfnisse ab.“ Zu diesen Ländern gehöre auch die Schweiz. In asiatischen Staaten wie Südkorea und China dagegen leisten Schüler zwar viel – sie sind aber mit ihrem Leben deutlich unglücklicher als Schüler in den meisten anderen Ländern.

Auffällig ist auch, dass Mädchen – in Deutschland wie weltweit – im Durchschnitt unzufriedener sind als Jungen. Mädchen würden sich bei ihren Problemen oft weniger von den Lehrern verstanden fühlen, sagte Schleicher.

Für die Studie mussten Schüler ihre Situation teilweise selbst einschätzen, teilweise fragten die Forscher gezielt nach schulischen und außerschulischen Aktivitäten. In Deutschland fühlen sich 75 Prozent Schüler zu ihrer Schulgemeinschaft zugehörig (OECD-Schnitt 73 Prozent). 73 Prozent schließen leicht Freundschaften in der Schule, während sich umgekehrt nur 13 Prozent einsam fühlen. 85 Prozent denken, dass die Mitschüler sie sympathisch finden. Die soziale Integration klappt also gut. Schleicher sagte, das gelte allerdings nur eingeschränkt für Schüler mit Migrationshintergrund.

16 Prozent sind Opfer von Bullying

Insgesamt geht weltweit das Zugehörigkeitsgefühl zur Schule in den letzten Jahren aber zurück. Die Wahrscheinlichkeit, unzufrieden mit dem Leben zu sein, ist bei denjenigen, die sich als Außenseiter sehen, dreimal höher.

16 Prozent der Schüler sagen hierzulande sogar, sie werden ein- oder mehrmals im Monat Opfer von Bullying, in welcher Form auch immer. Nur wenige werden zwar körperlich bedroht oder sogar geschlagen (jeweils zwei Prozent). Dass hinter ihrem Rücken schlecht über sie geredet oder bösartige Gerüchte verbreitet werden, haben indes schon sieben Prozent erlebt; neun Prozent sagen, andere Jugendlichen machten sich lustig über sie. Deutschland liegt beim Bullying insgesamt leicht unter dem OECD-Schnitt (19 Prozent berichten von Bullying). Für Schleicher ist Bullying gleichwohl ein Feld, auf dem in Deutschland Schulen noch einiges tun müssen.

Der Großteil der Schüler in Deutschland mag überwiegend zufrieden sein, dennoch berichten viele auch von Versagensängsten. Fast 55 Prozent sorgen sich, schlechte Noten zu bekommen, mehr als 50 Prozent befürchten häufig, dass sie bei einer Klassenarbeit Schwierigkeiten bekommen könnten. 42 Prozent sind auch dann vor einem Test angespannt, wenn sie sich gut vorbereitet fühlen. In Deutschland fühlten sich vor allem schwächere Schüler stärker unter Druck gesetzt als in anderen Ländern, sagte Schleicher. Dennoch ist Versagensangst im OECD-Schnitt noch sehr viel ausgeprägter.

Engagierte Lehrkräfte und Eltern können viel bewirken

Engagierte Lehrkräfte könnten beim Thema Schulangst viel bewirken, sagte Schleicher: „Je mehr die Lehrer Schüler unterstützen, desto geringer wird die Angst.“ So fällt die Wahrscheinlichkeit, vor einer Arbeit angespannt zu sein, um 17 Prozent, wenn Lehrkräfte ihren Schülern individuelle Hilfen bei Lernschwierigkeiten anbieten. Umgekehrt steigt die Wahrscheinlichkeit von Prüfungsangst um fast ein Drittel, wenn Schüler den Eindruck bekommen, der Lehrer halte sie für dumm. Auffällig ist, dass Schüler in Deutschland weniger kompetitiv als anderswo sind. 43 Prozent sagen, sie wollen zu den Besten in der Klasse gehören – im OECD-Schnitt sagen das 59 Prozent. Rund 65 Prozent halten sich selbst für ambitioniert (OECD-Schnitt: 71 Prozent). Am meisten treibt Schüler in Deutschland an, nach dem Abitur aus den besten Möglichkeiten für ihr Leben wählen zu können (das sagen 90 Prozent, OECD-Schnitt: 93 Prozent).

Ebenso wie die Lehrkräfte sind aufmerksame und zugewandte Eltern entscheidend. 31 Prozent der Eltern diskutieren laut der Studie fast jeden Tag explizit mit ihren Kindern, wie gut sie in der Schule mitkommen, 83 Prozent geben an, mit ihren Kindern gemeinsam zu essen, 93 Prozent reden allgemein jeden Tag mit ihrem Kind. Letzteres reiche schon aus, das Wohlbefinden von Kindern stark zu steigern, sagte Schleicher: „Das kostet wenig Zeit, und da braucht man auch keine Qualifikation für.“ Jugendliche, deren Eltern sich nach dem Vorankommen in der Schule erkundigen, haben bei Pisa denn auch einen Lernvorsprung von 20 Punkten, was immerhin einem halben Schuljahr entspricht. „Der Einfluss der Elternhaltung auf das Wohlbefinden und die kognitiven Leistungen ist höher als viele Schulfaktoren.“

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