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Schalldellen: Ohrmuscheln leiten Schall nicht nur Richtung Innenohr. Sie modulieren ihn auch so, dass das Gehirn die Richtung der Schallquelle ausmachen kann.
© picture alliance / Ralf Hirschberger

Bioakustik: Der Ohrmuschel-Code

Die Form des Hörorgans ermöglicht zu unterscheiden, ob ein Geräusch von oben oder unten kommt. Die Erkenntnis könnte helfen, Hörgeräte zu verbessern.

Bioakustiker wissen seit langen, wie man es schafft, zu unterscheiden, ob ein Geräusch von rechts oder von links kommt. Es liegt daran, dass die Schallwellen bei dem Ohr, das der Schallquelle näher ist, einen Sekundenbruchteil früher eintreffen als beim anderen.

Diese Information wird an das Gehirn weitergeleitet und führt zu einer entsprechenden Richtungs-Empfindung. Doch wie das Gehirn ermittelt, ob ein Ton von oben oder von unten zu ihm gelangt, dafür gab es bislang keine befriedigende Erklärung. Der Neurobiologe Marc Schönwiesner von der Universität Leipzig hat zusammen mit seinem Kollegen Régis Trapeau von der Uni Montreal jetzt Experimente gemacht, die das Rätsel zu lösen scheinen. Entscheidend ist offenbar die Ohrmuschel. Sie berichten über ihre Forschungsergebnisse in der neuen Ausgabe des Fachmagazins „Journal of Neuroscience“.

Dunkles Labor, hohe und niedere Töne

Mit bildgebenden Verfahren, die es ermöglichen, in der Hörrinde des Gehirns die Aktivität von Neuronen zu beobachten, untersuchten sie 15 Probanden. Denen wurden in einem abgedunkelten Schalllabor Töne vorgespielt, die aus allen möglichen Richtungen kamen. Den Probanden fiel es nicht schwer, präzise anzugeben, von wo aus sie jeweils beschallt wurden. Begleitet wurde das von spezifischen Aktivitäten im Gehirn.

„Es gibt kleine Bereiche in der Hörrinde, da feuern die Nervenzellen nur ganz wenig, wenn ein Geräusch von oben kommt, und immer mehr, je tiefer die Schallquelle liegt“, sagt Schönwiesner. Um das tun zu können, brauchen diese Neuronen aber eine verlässliche Information über die Lage der Schallquelle. Die wird, und das ist die wichtige neue Erkenntnis, in der Ohrmuschel generiert. Dort verändert sich der Ton aufgrund der unregelmäßigen Knorpel-Strukturen, Erhöhungen und Vertiefungen. Es entsteht ein Echo, durch das dem Ton ein spezifischer Oberton aufgesetzt wird. Es ist eine Art Code für die Höhe der Schallquelle. „Das ist ähnlich wie wenn ein Cello und eine Violine die gleiche Note spielen – die Instrumente unterscheiden kann man aufgrund ihrer Klangfarbe trotzdem“, so Schönwiesner.

Verändertes Ohr, verwirrtes Hirn

Überraschend war für das Forscherteam aber auch noch etwas anderes. Veränderten sie durch kleine Silikoneinsätze die Struktur der Probanden-Ohrmuschel, war es zwar zunächst vorbei mit der Lokalisier-Fähigkeit. „Als wir ihnen etwa einen Ton oberhalb ihres Kopfes vorspielten, glaubten sie dann plötzlich, dass er von unten kam", sagt Schönwiesner. Doch nach ein paar Wochen funktionierte alles wieder. Das Gehirn lernte, mit dem neuen Ohr umzugehen. „Wir können mit unseren eigenen, individuell gestalteten Ohren hören, weil unser Gehirn ihre Form kennt. Wenn sich diese jedoch ändert, braucht es einige Zeit, um sich anzupassen. Das ist beispielsweise der Fall, wenn wir wachsen“, erklärt Schönwiesner.

Wie das Gehirn lernt, letztlich wieder die Höhe der Schallquelle korrekt zu interpretieren, ist noch unklar. Für dieses Neu-Erlernen ist jedenfalls offenbar kein Abgleich über optische Eindrücke nötig. „Wenn man die Probanden beobachtet, sieht man, dass sie in dem Lernprozess häufig den Kopf drehen“, sagt Schönwiesner. Er geht deshalb davon aus, dass hier ein Schlüssel für den zugrundeliegenden Mechanismus liegen könnte.

Hörgeräte verbessern

Der Neurobiologe hofft, dass die Ergebnisse dazu beitragen können, in Zukunft bessere Hörgeräte entwickelt zu können, und dass diejenigen, die sie benutzen, noch besser mit ihnen zurechtkommen.

Herkömmliche Hörgeräte haben ein außen am Ohr angebrachtes Mikrofon. Sie leiten den elektrisch verstärkten Schall dann ohne den Umweg über die Ohrmuschel mit einem Schlauch in den Gehörgang. In-Ear-Geräte, bei denen das Mikrofon jenseits der Ohrmuschel sitzt, nehmen dagegen den bereits durch sie modulierten Schall auf. Schönwiesners und Trapeaus Daten erklären jetzt also auch, warum diese Geräte das vertikale Richtungshören nicht stören, die mit dem Mikro außen aber durchaus.

Allerdings können nicht alle Patienten im Gehörgang sitzende Geräte tragen. Viele Hörgeschädigte haben auch andere Probleme, etwa, dass sie gleichzeitig gehörte Stimmen nur schlecht auseinander halten können. Zudem, das zeigen auch die neuen Ergebnisse, braucht das Gehirn ziemlich lange, um sich an eine Veränderung des Hör-Inputs zu gewöhnen. Eine solche Veränderung ist auch an ein Hörgerät. Viele, denen eines verschrieben wird, benutzen es deshalb nach wenigen Versuchen frustriert schlicht nicht weiter. Ein Trainingsprogramm, das gezielt berücksichtigt, wie das Gehirn solche Anpassungen bewerkstelligt, könnte Patienten möglicherweise helfen.

Frank Ufen

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