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Kosmische Katastrophe. Seit Forscher Gravitationswellen messen können, lassen sich Ereignisse wie der Zusammenprall zweier Neutronensterne oder Schwarzer Löcher besser untersuchen und verstehen.
© Dana Berry/dpa

Astronomie: Der Knaller des Jahres

Gravitationswellen waren – wieder – die wichtigste wissenschaftliche Sensation der vergangenen zwölf Monate.

Schon vor einem Jahr erklärte das Wissenschaftsmagazin „Science“ den ersten Nachweis von Gravitationswellen zum „Durchbruch des Jahres 2016“. 100 Jahre nachdem Albert Einstein sie vorhergesagt hatte, sind diese energiereichen, aber nur mit großem Aufwand messbaren Erschütterungen des Raumes auf der Erde registriert worden.

Nun ist der „Durchbruch des Jahres“ keine offizielle wissenschaftliche Auszeichnung. Doch die Auswahl wird beachtet, weil die Redaktion des 1880 gegründeten Wissenschaftsmagazins einen guten Überblick hat: Forscher aus allen Fachbereichen versuchen es bei „Science“, wenn sie etwas Spektakuläres zu berichten haben. Eine Veröffentlichung dort treibt die Karriere kräftig voran. Die Redaktion kann sich daher mit ihren Gutachtern aus den vielen guten Einsendungen die besten aussuchen.

Der Nobelpreis war nur die "Ouvertüre", jetzt folgt eine "Sinfonie"

Mit der Entscheidung im vergangenen Jahr lag „Science“ goldrichtig, denn sie wurde gleich vom Nobelkomitee bestätigt: Drei Pioniere der Forschung zu Gravitationswellen erhielten am 10. Dezember die höchste Auszeichnung in der Physik – den Nobelpreis. Aber warum rückt „Science“ auch in diesem Jahr erneut die Messung von Gravitationswellen in den Mittelpunkt, die von einem kosmischen Zusammenprall zeugen und im Spätsommer 2017, nach 130 Millionen Jahren, auf der Erde ankamen?

Inzwischen ist der Nachweis der Wellen schon sechs Mal geglückt: am 14. Oktober und 26. Dezember 2015 sowie vier Mal im Jahr 2017, am 4. Januar und 8. Juni sowie am 14. und 17. August. Der letzte Nachweis in dieser Reihe ist nun zum Durchbruch des Jahres gekürt worden. Zwar hatten sich die Leser des Fachblatts in einer Online-Umfrage für andere Forschungsdurchbrüche entschieden. Dennoch wählte die Redaktion die Gravitationswellen, aus gutem Grund: Während der erste Nachweis nur die Ouvertüre gewesen sei, entwickle sich mit dem sechsten eine wissenschaftliche Sinfonie.

Live dabei - mit geringer Verzögerung von 130 Millionen Jahren

Zum ersten Mal konnten Astrophysiker am 17. August dieses Jahres die Gravitationswellen nicht nur messen, sondern auch sehen, woher sie kamen. Mehr als 70 Teleskope in aller Welt und im All beobachteten das kosmische Schauspiel: eine Kilonova, die so heißt, weil sie tausendmal stärker ist als eine normale Supernova. Dabei stießen vor langer Zeit in einer weit entfernten Galaxie zwei Neutronensterne zusammen und explodierten. 50 Billionen Billionen Tonnen Materie wurden dabei vollständig in Energie umgewandelt – schon mit 150 Kilogramm hätte man ein Jahr lang den Energiebedarf Deutschlands decken können. Diese gewaltige Energie brachte den Raum zum Zittern, die Wellen breiteten sich mit Lichtgeschwindigkeit aus und erreichten nach 130 Millionen Jahren nun die Erde.

Gravitationswellen haben trotz der gewaltigen Energie, die in ihnen steckt, kaum messbare Auswirkungen, und sie schwächen sich über die großen Entfernungen im All sogar noch ab. Sie können zwar energiereicher sein als alles Licht der Sterne, doch sie stauchen und strecken den Raum so wenig, dass sich Albert Einstein sicher war, dass man diese Veränderungen nie messen könne. Tatsächlich dauerte es fast ein Jahrhundert, bis der erste Nachweis gelang.

Mit Laserstrahlen Gravitationswellen messen

Bei den ersten fünf Nachweisen gingen die Gravitationswellen von Schwarzen Löchern aus. Diese Objekte sind so dicht gepackt, dass ihre gigantische Schwerkraft alles festhält, was ihnen zu nahe kommt. Würde man die Erde so zusammenpressen, dass ein winziges Schwarzes Loch entsteht, wäre sie keine zwei Zentimeter groß. Diese Objekte verschlucken sogar Lichtstrahlen und sind daher selbst nicht zu sehen. Wenn zwei Schwarze Löcher aufeinandertreffen, umkreisen sie sich eine Weile, verringern den Abstand, werden dabei schneller – und in den letzten Sekunden oder Sekundenbruchteilen vor dem Verschmelzen zu einem größeren Schwarzen Loch senden sie Gravitationswellen aus, die so stark sind, dass Physiker sie selbst in großer Entfernung auf der Erde messen können. Wären es Schallwellen, dann würde die Kollision Schwarzer Löcher wie das kurze Zwitschern eines Vogels klingen.

Um Gravitationswellen zu messen, überwachen die Physiker die Laufzeit eines Laserstrahls: Wenn er früher ankommt als sonst, muss die Strecke geschrumpft sein, und wenn er langsamer wird, muss er einen längeren Weg zurückgelegt haben. Um genau zu sein, schicken die Physiker zwei Laserstrahlen gleichzeitig in unterschiedliche Richtungen los. Sie laufen durch zwei exakt gleichlange kilometerlange Tunnel, treffen am Ende auf einen Spiegel und kehren wieder zum Ausgangspunkt zurück. Beim Vergleich der beiden zurückgekehrten Laserstrahlen lassen sich kleinste Abweichungen feststellen. Pech haben die Forscher nur, wenn die Gravitationswellen so eintreffen, dass sie beide Tunnel in der gleichen Weise verändern – dann schlagen die Instrumente nicht an.

Wenn der Mähdrescher die Kilonova-Messung stört

Aber auch sonst ist die Arbeit der Physiker nicht einfach: Sie müssen das Zittern des Raums aus einer Fülle falscher Signale herausfiltern, denn die empfindlichen Geräte messen auch Erdbeben, die Brandung an entfernten Küsten oder das Rumpeln der Mähdrescher auf den Feldern der Umgebung. Die Analyse der Daten kann daher einige Wochen in Anspruch nehmen, bis sich die Forscher sicher sind, wieder einmal Gravitationswellen nachgewiesen zu haben.

Am 17. August 2017 registrierten die Messgeräte jedoch etwas Neues: das Verschmelzen von zwei Neutronensternen, also zwei ebenfalls sehr dicht gepackten Himmelskörpern. (Die Erde hätte, zusammengepresst zu einem Neutronenstern, nur einen Durchmesser von 300 Metern.) Dieses Signal klang vergleichsweise wie ein Summen und hielt über eine Minute an.

Neutronensterne bestehen fast vollständig aus Neutronen, also aus Teilchen, die ansonsten zusammen mit Protonen und Elektronen Atome bilden. Die Sterne leuchten kaum, können aber einen rotierenden Strahlenkegel aussenden wie ein Leuchtturm. Von der Erde aus gesehen blinken sie dann in regelmäßigen Abständen auf und werden deshalb auch „Pulsare“ genannt. Neutronensterne gehen aus großen Sternen hervor, die am Ende ihres Lebens in sich zusammenfallen und dabei ihren Kern zusammenpressen. Dann steigt die Temperatur dramatisch und die äußere Hülle wird in einer großen Explosion abgestoßen: Der Stern strahlt für kurze Zeit als Supernova. Übrig bleibt ein Neutronenstern oder – wenn die Dichte groß genug ist – ein Schwarzes Loch.

Materie-Massen ins All geschleudert

Als die beiden „Ligo“ genannten Observatorien in den USA, die größten und empfindlichsten Anlagen dieser Art, am 17. August die Gravitationswellen der Neutronensterne registrierten, alarmierten sie automatisch zahlreiche astronomische Stationen. Die beiden altgedienten Satelliten Fermi und Integral meldeten fast zur selben Zeit einen Blitz besonders energiereicher Röntgenstrahlung, der aus derselben Richtung kam wie die Gravitationswellen. Später entdeckten Astronomen in der Galaxie NGC 4993 einen hellen Punkt, der vorher nicht zu sehen war: Die beiden Neutronensterne hatten einen Teil ihrer Masse ins All hinausgeschleudert und sie dabei zum Leuchten gebracht.

So zerstörerisch diese Explosionen sind – sie bilden auch den Ausgangspunkt von neuen Entwicklungen. Denn aus den Unmengen an Neutronen, die ins All geschleudert werden, können sich schwere Atome bilden, die in ihrem Kern viele Neutronen enthalten: etwa Uran, Blei oder Gold. Diese Metalle gäbe es sonst nicht im Universum, da der überwiegende Teil aller Materie aus den leichten Elementen Wasserstoff und Helium besteht. Die Erde hätte sich nicht bilden können, wenn nicht viele Neutronensterne zuvor in einer Kilonova explodiert wären und das Material für die Planetenentstehung bereitgestellt hätten.

Theorie der Neutronensterne muss überdacht werden

Diese Fülle an Messdaten brachte die „Science“-Redaktion dazu, von einer wissenschaftlichen Sinfonie zu sprechen. Schon zu den bisherigen Gravitationswellen sind Hunderte von Fachartikeln geschrieben worden. Die Beobachtung der Kilonova wird noch mehr Analysen ermöglichen. Im Wissenschaftsmagazin „Nature“, der Konkurrenz von „Science“, berichtet zum Beispiel ein Forscherteam diese Woche, dass die Beobachtungen der Kilonova nicht zur bisherigen Theorie der Neutronensterne passen: Der Blitz, den die beiden Satelliten registrierten, war zu schwach und ihm folgte über Wochen eine immer stärkere Radio- und Röntgenstrahlung, mit der man nicht gerechnet hatte.

Nun werden Astrophysiker ihre Theorien über Neutronensterne überarbeiten und erweitern. Die nächsten Gravitationswellen werden helfen, die richtigen Theorien auszuwählen. Denn die energiereichen Phänomene geben einen Einblick in kosmische Katastrophen, der bisher nicht möglich war. Derzeit werden die Observatorien gewartet und aufgerüstet. Im Herbst werden sie wieder ins All horchen. Dann beginnt, wie auch die Redaktion von „Nature“ schreibt, eine neue Ära der Astronomie.

Alexander Mäder

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