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Religionsunterricht: Der Islam kommt in die Schule

Die ersten Bundesländer wollen Religionsunterricht für Muslime anbieten. Aber Lehrer und Professoren fehlen. Und ob an deutschen Unis künftig wirklich ein kritischer "Euro-Islam" entwickelt wird, ist völlig offen.

Die Erwartungen sind groß, die Probleme sind es auch. Ab Schuljahr 2012/13 wollen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen als erste Bundesländer flächendeckend Islamunterricht einführen. Das neue Fach soll nicht nur Wissen vermitteln und in die Glaubenspraxis einführen, sondern Toleranz fördern, „Brücken bauen“ und dazu beitragen, „das Anderssein der anderen anzuerkennen“, wie es die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) ausdrückt. Doch für das hehre Projekt fehlen die Lehrer. Um deutschlandweit bekenntnisorientierten Islamunterricht zu etablieren, werden nach Schätzungen des Bundesbildungsministeriums 2000 Lehrer gebraucht. Bislang gibt es nur einige hundert. In Deutschland gehen derzeit 700 000 muslimische Kinder und Jugendliche zur Schule.

„Wir werden den islamischen Religionsunterricht Schritt für Schritt einführen", kündigte Löhrmann kürzlich an. Es soll mit den 130 Grund- und Oberschulen losgehen, in denen bereits 10 500 Kinder im Rahmen eines Modellversuchs in Islamkunde unterrichtet werden. Die islamische Religionspädagogin Lamya Kaddor, die an einer der Modellschulen in Dinslaken unterrichtet, glaubt nicht, dass den Ankündigungen schnell Taten folgen werden. „Ich bin eine der Lehrerinnen, die das umsetzen sollen und habe offiziell noch nichts davon gehört“, sagt sie.

Im Herbst 2012 soll das Fach starten. Bis dahin will Bildungsministerin Löhrmann mit einer breiten parlamentarischen Mehrheit das Schulgesetz ändern. Ende vergangener Woche berieten die Abgeordneten einen Gesetzentwurf von SPD, Grünen und CDU, für den auch die FDP Sympathie äußerte. Lehrpläne müssen erstellt, Lehrer fortgebildet werden – und die Zusammenarbeit mit den islamischen Verbänden geregelt werden. Denn aufgrund der Trennung von Staat und Kirche dürfen die Ministerien die Inhalte des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts nicht im Alleingang bestimmen. Beim christlichen Religionsunterricht sind die Kirchen Ansprechpartner. Da es auf muslimischer Seite keine Kirche gibt, sondern viele Verbände, sollen Beiräte diese Funktion übernehmen.

Das nordrhein-westfälische Bildungsministerium will eng mit dem Kooperationsrat der Muslime (KRM) zusammenarbeiten, der einen sehr konservativen Islam vertritt. Als Lamya Kaddor mit Rabeya Müller vor drei Jahren den ersten „Kinderkoran“ veröffentlichte, wurde sie von konservativen Verbänden heftig kritisiert, etwa weil sie alte Miniaturen veröffentlichte, die das Gesicht des Propheten Mohammed zeigten oder weil die Autorinnen Koranverse thematisch geordnet haben, um Kindern den Zugang zu erleichtern. Kaddor hat mit anderen Muslimen den Liberal-Islamischen Bund gegründet und möchte einen zeitgemäßen, transparenten Islam unterrichten und den Schülern zeigen, dass muslimisches Leben in Deutschland viele Facetten hat. „Ob der KRM dazu seine Zustimmung geben wird, bezweifle ich“, sagt sie.

Damit es künftig genügend Islamlehrer gibt und damit diese dann wie die christlichen Religionslehrer ein Theologiestudium vorweisen können, will Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) an den Universitäten Münster/Osnabrück, Tübingen, Erlangen-Nürnberg und Frankfurt/Gießen islamische Theologie als Bachelor-Studiengang ansiedeln und mit bis zu vier Millionen Euro pro Standort finanzieren. Die neuen Zentren in Münster/Osnabrück und in Tübingen wollen ihre Türen ab dem kommenden Wintersemester öffnen, in Münster/Osnabrück zunächst für Post-Doc-Studenten und ab 2012/13 für Erstsemester. Insgesamt sollen bis zu 500 neue Studienplätze entstehen.

Wie an die Islamlehrer, so werden auch an die künftigen islamischen Theologen riesige Erwartungen gestellt: Sie sollen den Islam modernisieren, einen spezifisch europäischen Islam produzieren und die Integration der hier lebenden Muslime vorantreiben. „Theologie klärt auf, wo sie den zeitsensiblen Umgang mit den heiligen Texten zulässt“, sagte Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) unlängst. Mit den neuen Fachbereichen sei „die Chance verbunden, eine islamische Gelehrsamkeit in Europa zu entwickeln“ und die Substanz von islamischer Religion in die Moderne zu transferieren. „Wenn wir das so umsetzen wie geplant, wird Deutschland im Westen führend sein in islamischer Theologie“, sagt Bülent Ucar, der an der Uni Osnabrück Theologen ausbilden will. Schon jetzt würden sich Kollegen aus England, Japan und selbst aus dem laizistischen Frankreich bei ihm erkundigen, wie man einen Fachbereich islamische Theologie aufbaut.

Momentan stellt sich aber eine ganz praktische Frage: Woher sollen die Dozenten für die neuen Fachbereiche kommen? In Deutschland gibt es zwar Islamwissenschaftler und eine Handvoll Religionspädagogen, aber kaum islamische Theologen. Bülent Ucar und sein Münsteraner Kollege Mouhanad Khorchide sind Ausnahmen. Sie bilden zwar jetzt schon fleißig Religionspädagogen aus, aber auch sie haben sich als Theologen noch keinen großen wissenschaftlichen Ruhm erworben. Die neuen Dozenten werden also vor allem aus dem Ausland kommen, aus Sarajewo, Istanbul, Kairo, Marokko und Tunesien. Es ist fraglich, ob sie die historisch-kritische Herangehensweise an den Islam mitbringen, die an den deutschen Universitäten Standard ist.

Die internationale Besetzung der Stellen sei eine Übergangslösung, bis der eigene wissenschaftliche Nachwuchs herangewachsen ist, sagt Bülent Ucar. Deshalb will man in Münster und Osnabrück noch nicht gleich alle sechs oder sieben Stellen auf einmal besetzen. „Wir haben so viele Jahre die Imame nach Deutschland importiert, wir sollten jetzt nicht auf Jahre hinaus islamische Theologen importieren“, sagt Ucar, „das wäre weder im Interesse der Muslime in Deutschland noch der Integration“. Einen „Euro-Islam“ werde es nicht von heute auf morgen geben.

Wie die Bildungsministerien dürfen auch die staatlichen Universitäten die theologischen Lehrinhalte nicht alleine bestimmen. Sie sind auf die Zustimmung muslimischer Beiräte angewiesen. Welchen islamischen Verband, welche muslimische Einzelpersönlichkeiten die Unis in die Beiräte berufen, ist ihnen überlassen. Im Tübinger Beirat bilden die bosnischen Muslime eine starke Fraktion, in Osnabrück und Münster die türkischen. Die Kooperation mit den Verbänden und Moscheen sei auch deshalb wichtig, „weil sie am Ende unsere Abnehmer sind“, sagt Ucar. Sie sollen die neuen Theologen einstellen und nicht mehr Imame aus dem Ausland.

Viele Politiker hoffen, dass die neuen Islamgelehrten aufklärerischen Wind in die Moscheevereine bringen und sie modernisieren. Aber ob die Verbände die hier ausgebildeten Theologen übernehmen, ist nicht ausgemacht. Den einen werden sie vermutlich zu liberal sein, die anderen fürchten hohe Kosten. Bislang werden zum Beispiel die Imame, die in den Moscheen predigen, die zum türkischen Verband Ditib gehören, von der Religionsbehörde in Ankara geschickt – und auch von dort bezahlt. „Wenn wir die hier ausgebildeten Theologen einstellen, werden wir sie selbst bezahlen müssen“, sagte ein Vereinsvorsitzender. „Woher sollen wir das Geld nehmen? Vom deutschen Staat werden wir wohl nichts bekommen.“

Claudia Keller

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