Global Summit of Research Museums: Denkschmieden für Zukunftsfragen
Vertreter führender Forschungsmuseen diskutieren in Berlin über die eigene Rolle. Sie wollen selbstkritischer, sichtbarer und digitaler werden. Ein Gespräch.
Besucher staunen vor dem metergroßen klaffenden Maul von Tristan Otto, das hoch über ihren Köpfen am Ende der Halswirbelsäule des Tyrannosaurus rex thront. Winzig wirken sie neben diesem fast perfekt erhaltenen Skelett, das noch bis zum Ende des Jahres im Naturkundemuseum in Berlin zu sehen ist.
Für die meisten Menschen sind Museen Orte des Staunens, des Lernens, des Nachdenkens. Orte, die meist in die Vergangenheit reisen lassen. „Dieses Verständnis ist unser Problem“, sagt Johannes Vogel, Generaldirektor des Museums für Naturkunde, zugleich Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung. „Wir sind keine rückwärtsgewandten oder verstaubten Institutionen, die nur ihre Sammlungen präsentieren. Viele Museen haben einen hohen Forschungsanteil. Sie sind dynamische Forschungsstätten.“ Und: Sie seien die einzigen Institutionen, die forschen und Wissen in die gesamte Gesellschaft tragen.
Es brauche ein neues Bewusstsein um den Begriff „Museum“. Unter diesem Appell versammeln sich Vertreterinnen und Vertreter von Museen aus 23 Ländern vom 4. bis 6. November in Berlin zum ersten „Global Summit of Research Museums“. Der Anstoß für den internationalen Kongress der Forschungsmuseen geht vor allem von der Leibniz-Gemeinschaft aus, die unter ihrem Dach acht forschende Museen vereint. Mit einem Aktionsplan stieß sie vor zwei Jahren eine innere Erneuerung an. Bund und Länder fördern die Initiative im neuen Haushalt voraussichtlich mit zehn Millionen Euro.
Mehr Dialog, mehr Bildung und Vermittlung in die Gesellschaft hinein
Das Museum von morgen soll sich modern präsentieren, auch digitale Formate und virtuelle Rundgänge beinhalten. Vor allem aber soll es transparenter werden, seine eigenen Forschungsleistungen in den Ausstellungen dokumentieren. „Das Ziel ist mehr Dialog, mehr Bildung und Vermittlung in die Gesellschaft hinein“, sagt Matthias Kleiner, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Die innere Erneuerung spiegelt ein stetes Ringen um die gesellschaftliche Relevanz und die finanzielle Daseinsberechtigung wider. Die Museen wollen künftig anders wahrgenommen werden. Als unverzichtbare Bildungsstätten, aber auch als Denkschmieden, die anhand der gesammelten Kultur- und Naturgüter profunde Antworten auf die Fragen der Gegenwart liefern.
Wie diese Neuausrichtung aussehen kann, zeigen – in Anklängen – neuere Projekte. So untersuchen Forscher am Römisch-Germanischen Zentralmuseum, dem Leibniz-Forschungsinstitut für Archäologie in Mainz, zum Beispiel mit Psychologen seit Kurzem die Krisenfestigkeit von Gesellschaften in der Frühgeschichte. Die seelische Widerstandskraft des Menschen, die sogenannte Resilienz, ist aktuell ein zentrales Forschungsthema der Psychologie. Und zwar auch, weil psychische Erkrankungen die zweithäufigste Ursache der Arbeitsunfähigkeit sind und weil tausende Zugewanderte aufgrund ihrer erschütternden Erlebnisse traumatisiert sein können. „Wie die Menschen damals mit Krisen fertigwurden, kann uns heute helfen“, erklärt Alexandra Busch, Generaldirektorin des Römisch-Germanischen Zentralmuseums (RGZM).
Die griechisch-römische Antike gründet sich auf den Kulturen des Alten Orients - wer das begreift, kann nicht fremdenfeindlich sein
Ein anderes Beispiel für den gesellschaftlichen Auftrag, dem sich Museen verstärkt stellen wollen, gibt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz: „Sobald das Pergamonmuseum wieder vollständig öffnet, werden die Besucher auf neue Weise erfahren, dass sich die griechisch-römische Antike auf den Kulturen des Alten Orients gründet. Wer diese Zusammenhänge begreift, kann nicht fremdenfeindlich sein.“ Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz beteiligt sich ebenfalls am Kongress und ist seit 2011 Vollmitglied der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Das Naturkundemuseum erforsche wiederum die großen Aussterbekrisen der Welt, erklärt dessen Leiter Johannes Vogel. Daraus erwachse eine Verantwortung. Selbstkritisch fragt er: „Mobilisieren wir durch unsere Vermittlung gegen das Aussterben? Nicht in dem Maße, wie wir uns das wünschen.“
An den Besucherzahlen liegt das kaum. Alleine die acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gesellschaft werden eigenen Angaben zufolge jedes Jahr von fünf Prozent der Bevölkerung besucht. Auch sind immer wieder wichtige wissenschaftliche Erkenntnisse von Museen ausgegangen. Der heute weltberühmte Evolutionsbiologe Svante Pääbo publizierte in seiner Doktorarbeit in den achtziger Jahren, erstmals die DNA ägyptischer Mumien rekonstruiert zu haben. Im Gefolge dieser frühen Arbeiten erkannte er, dass in unserem Erbgut mehr vom Neandertaler steckt als bisher angenommen. Das schrieb die Entstehungsgeschichte des homo sapiens um.
Die erfolgreiche Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Bode-Museum war Ergebnis von Forschungen der Staatlichen Museen zu Berlin und des Metropolitan Museums in New York. Das Team hatte sich die Frage vorgenommen, welche Schönheitsideale damals vorherrschten und welche Kunstgattung – Bildhauerei oder Malerei – maßgeblich war. Die Forscher glaubten zunächst, dass das Gemälde die Königsform gewesen sei. Sie erkannten aber, dass die Skulptur den gleichen Rang einnahm.
Das Museum der Zukunft soll das "Making of" mitliefern
„Jedes Ausstellungsstück in einem Museum ist in eine Erzählung eingebettet, die aus Forschung gewonnen wird“, stellt Parzinger klar. Dieser Erkenntnispfad soll künftig in den Ausstellungsräumen nachgezeichnet werden. Das Museum der Zukunft soll das „Making of“ mitliefern.
Diesem Zweck dient auch die Einrichtung des Forschungscampus’ Dahlem. Nachdem die öffentlichen Ausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst ins Berliner Schloss gezogen sind, möchte die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in den frei gewordenen Gebäuden in Dahlem Forscher der beiden Museen und Gastwissenschaftler versammeln. Sie sollen ein Schaufenster der Wissenschaft sein: Kleine Ausstellungen, geführte Rundgänge und Einblicke in die Restaurierungs- und Konservierungsarbeit sollen den Besucher hinter die Kulissen der Museen schauen lassen.
Mit dem Dinosaurier Tristan Otto versucht auch das Naturkundemuseum erstmals, seine eigene Forschung mit zu präsentieren. „Wir bekamen dieses Skelett angeboten, das unheimlich viel Aufmerksamkeit erregt. Wir mussten es ganz schnell aufstellen und konnten nicht erst drei Jahre forschen“, sagt Museumsdirektor Vogel. Daher stellt sein Museum Tristan nun mit fünf Fragen vor, um deren Antworten die Forscher ringen. Etwa: War er krank, als er starb? Wie konnte er seinen massigen Körper fortbewegen? Wie sah seine Umgebung aus?
Um solche Fragen zu klären, müssen sich Forscher verschiedener Disziplinen weltweit vernetzen. Auch das ist Neuland für viele Museen, die für Jahrzehnte ihr eigenes Wissen mitunter wie einen Schatz hüteten. Unablässig für die internationale Kooperation sind Digitalisate. Das sind nicht nur Fotografien der Exponate. Es sind oft auch Ultraschall- oder Röntgenaufnahmen und andere Daten, die Auskunft über die Beschaffenheit von Objekten geben und die auf Knopfdruck zwischen internationalen Teams hin- und hergehen.
„Die Digitalisierung ist inzwischen eine Kernaufgabe für Museen“, sagt Parzinger. Alle arbeiten daran, ihre Sammlungen systematisch einzuscannen. Bisher sind erst wenige Prozent auf Servern gesichert. Alleine die acht Forschungsmuseen der Leibniz-Gemeinschaft beherbergen mehr als 100 Millionen Objekte. Eine Herkulesaufgabe.
Die Digitalisierung sichert kulturelles und naturkundliches Wissen zum Schutz vor Krisen und Katastrophen
„Trotzdem geht die Digitalisierung weit über ein Nice-to-have hinaus“, findet Kleiner. „Sie macht Museen erst zukunftsfähig.“ Sie ermöglicht eine globale Reichweite und eine Demokratisierung von Wissen. Menschen auf der ganzen Welt, gleich welcher Herkunft – teils ohne Aussicht auf ein Visum nach Europa – können die Objekte studieren. Auch im eigenen Land biete die Öffnung große Chancen, urteilt Vogel: Neben den 500 000 Berufswissenschaftlern gebe es hierzulande noch einmal so viele Bürgerwissenschaftler, die in ihrer Freizeit aus Vergnügen forschten. „Über Digitalisate kommt es zwischen beiden zu einer Koproduktion von Forschung.“
Darüber hinaus sichert die Digitalisierung kulturelles und naturkundliches Wissen zum Schutz vor Krisen und Katastrophen. Beispielsweise speichert die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im „Syrian Heritage Archive Project“ mit dem Deutschen Archäologischen Institut derzeit alle Unterlagen über antike Stätten in Syrien. „Später wollen wir sie für einen Wiederaufbau zur Verfügung stellen“, erklärt Parzinger.
Die Digitalisierung lässt Museums- und Hochschulforscher weltweit näher zusammenrücken. Diese Kooperation ist allerdings nicht immer frei von Schuld, wurden doch viele Natur- und Kulturgüter, die in unseren Museen liegen, zu Kolonialzeiten nach Europa transportiert und von damaligen Wissenschaftlern „geradezu manisch gesammelt“, sagt Parzinger. Lange war das ein blinder Fleck der Museen. Ein nun erstarkendes Bewusstsein um dieses historische Erbe hat einen Boom der Provenienzforschung ausgelöst. Die Frage, wie ein Exponat entstand und durch welche Hände es nach Europa gelangte, beschäftigt alle führenden Museen. „Wir arbeiten intensiv daran, Objektbiografien zu erstellen“, sagt Alexandra Busch vom RGZM.
"Wir arbeiten mit dem Landes- und dem Bundeskriminalamt zusammen, wenn Kunstobjekte unklarer Herkunft beschlagnahmt werden"
Immer wieder taucht dabei die Frage auf, ob Exponate unrechtmäßig erworben wurden, zurückgegeben oder die Ursprungskulturen entschädigt werden müssen. Erst im Mai gab die Stiftung Preußischer Kulturbesitz neun Grabbeigaben – Masken, Figuren und Stäbe – an die Chugach, ein indigenes Volk aus Alaska, zurück, weil diese im 19. Jahrhundert durch Grabplünderungen entwendet worden waren.
Im Sinne eines geteilten Erbes und geteilten Wissens arbeite man enger mit Forschern aus den Herkunftsländern und Vertretern indigener Gemeinschaften zusammen, beobachtet Parzinger. So untersuchen die Amazonassammlung der Stiftung derzeit auch etliche Gastforscher aus Kolumbien, Venezuela und Brasilien. „Wir brauchen diese Einbettung in den kulturellen Kontext, diesen Perspektivwechsel, eine Abkehr von einer rein europäischen Sicht“, betont er. „Für unsere südamerikanischen Kollegen sind manche der gesammelten Gegenstände – zu unserem Erstaunen – belebte Wesen.“
Überhaupt ist es diese selbstkritischere Sicht, die die Frage nach Moral, Verantwortung und der Rolle von Museen einschließt, die neu für die Häuser ist. Vor Jahren noch konnte ein Museum einfach ein Gebäude sein. Doch spätestens seit Debatten über die Verflechtung von Kunsthandel, Terrorismus und Raubkunst schwelen, reicht die Fassade alleine nicht mehr. „Wir haben uns von Ankäufen über den Kunsthandel distanziert“, sagt Busch. „Dafür arbeiten wir mit dem Landes- und dem Bundeskriminalamt zusammen, wenn Kunstobjekte unklarer Herkunft beschlagnahmt werden. Manches Objekt, dessen Eigentümer sich nicht ausmachen lässt, bewahren wir bis zur Feststellung auf.“
Was für ein Ort also erwartet uns im Museum der Zukunft? Drei Antworten liegen schon vor der internationalen Konferenz in der Luft: Museen müssen selbstkritischer werden. Ihre eigene Forschung wird in den Ausstellungen sichtbar werden. Und das Digitale wird allgegenwärtig sein. „Virtuelle Rundgänge sind wie ein Teaser und werden noch mehr, vor allem jüngere Menschen in die Museen ziehen“, ist Parzinger überzeugt. Die Erfahrung, vor dem echten Pergamonaltar zu stehen oder einen echten Picasso zu betrachten, bleibt indes unnachahmlich. Das Original als Verkörperung der Sehnsucht nach dem Echten – es wird seine Anziehungskraft behalten.