Probleme der Labordiagnostik: Den Ergebnissen von Bluttests ist nicht immer zu trauen
Ein Stich in den Arm und der Arzt weiß Bescheid? Die Ergebnisse einer Blutuntersuchung werden mitunter überbewertet. Die Qualität der Testverfahren variiert.
Bluttests haben die Medizin revolutioniert. Viele Erkrankungen lassen sich erst erkennen, wenn in Laboruntersuchungen des Blutes krankheitstypische Substanzen („Biomarker“) gefunden werden. Doch mitunter gaukeln die Tests eine Sicherheit vor, die sie nicht haben – auf die sich Ärzte aber vielfach verlassen. „Laborwerte sind wichtig, aber sie werden mitunter überbewertet“, sagt der Münchner Rheumatologe Hendrik Schulze-Koops.
Das Auftauchen eines "Rheumafaktors" im Blut heißt nicht, dass der Patient rheumakrank sein muss
Dass liege unter anderem daran, dass Laborwerte anders als das selbst zu dokumentierende und zu interpretierende Patientengespräch, stets digital vorliegen und nicht nur eine einfachere sondern auch lukrativere Anamnese ermöglichen. „Wenn ein Arzt auf einem Laborzettel Kreuze macht, bekommt er schon mal die zehnfache Summe dessen, was er für ein Gespräch bekommen kann“, sagt Schulze-Koops. Eigentlich solle die Diagnose einer rheumatischen Erkrankungen zu 85 Prozent durch das ärztliche Gespräch erfolgen, zu 15 Prozent „ über die körperliche Untersuchung, bildgebende Verfahren und Labortests“, so der Münchner Mediziner. Der Test allein sei nicht aussagekräftig. Der sogenannte Rheumafaktor zum Beispiel sei bei vielen Menschen zu finden, die gar kein Rheuma haben. „Die Aussage, der Arzt hat bei mir Rheuma im Blut festgestellt, ist eine absurde, denn 90 Prozent der Menschen mit Rheumafaktor werden nie krank“, betont Schulze-Koops. „Der Patient hat gar nichts, ist aber schwer verunsichert – aus sinnloser Hörigkeit von Ärzten gegenüber der Labordiagnostik.“
Ohnehin liefern nicht alle Tests gleichermaßen zuverlässige Ergebnisse. Viele Laborwerte, etwa zum Hormonstatus, seien zudem schwierig zu messen, sagt der Endokrinologe und Kardiologe Jürgen Schäfer vom Zentrum für unerkannte und seltene Erkrankungen (ZusE) des Universitätsklinikums Gießen und Marburg. „Manche Marker sind licht- oder wärmeempfindlich, da sind schon Blutabnahme, Kühlung und Versand eine Herausforderung.“ Auch die Vorbehandlung mit Medikamenten könne großen Einfluss haben. „Beta-Blocker zum Beispiel regulieren die Stresshormon-Werte hoch. Das muss man wissen, sonst diagnostiziert man einen bedenklichen Befund.“
Ein Boom der Testindustrie
Wie viele Labortests derzeit jährlich neu auf den Markt gebracht werden, wird nicht zentral erfasst – klar ist lediglich, dass es einen wahren Boom gibt. „Die Bedeutung wird künftig noch zunehmen“, sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin, Matthias Nauck.
Zehntausende Tests gibt es bereits – und weitere auf den Markt zu bringen, ist leicht: In-vitro-Diagnostika (IVD) sind den Medizinprodukten zugeordnet und müssen anders als Arzneimittel kein strenges Zulassungsverfahren mit großen klinischen Studien durchlaufen. Für die erforderliche CE-Kennzeichnung muss meist lediglich eine technische Dokumentation vorgelegt werden, die vor allem das Qualitätsmanagement der Firma betrifft. Nur bei Tests, die als Hochrisiko-IVD eingestuft sind, erteilt eine unabhängige Drittstelle (eine „Benannte Stelle“) das CE-Kennzeichen erst, wenn ein Prüflabor die Leistung bestätigt hat. Dazu zählen beispielsweise Nachweise von Infektionserregern wie HIV und Hepatitis sowie Tests zur Blutgruppen-Bestimmung.
Bislang wurden die Tests eher lax geprüft
Oft sind es Wissenschaftler, die die Idee zu einem Test auf eine Krankheit entwickeln, für die es noch kein diagnostisches Hilfsmittel gibt. Einen Biomarker zu finden, der charakteristisch für eine Krankheit ist, sei im Grunde „recht einfach“, erklärt Torsten Witte von der Medizinischen Hochschule Hannover. Der Immunologe hat schon zahlreiche Labortests entwickelt und zusammen mit Diagnostikfirmen auf den Markt gebracht. Er sagt, eine solche Entwicklung koste einige Zehntausend Euro. Das Produkt gehe dann meist zum Testen zurück in sein Institut. An Blutseren werde dort die Sensitivität und Spezifität bestimmt. Bei häufig auftretenden Krankheiten geschehe das „an Seren von hundert bis mehreren hundert Patienten, bei seltenen Krankheiten sind es Seren von etwa 30 Patienten.“ Hinzu kämen Proben einer Kontrollgruppe nicht erkrankter Menschen. Für die CE-Zertifizierung zur Freigabe für den Markt sind diese Werte aber meist nicht relevant. „Da geht es um das technische Drumherum, der Test muss stabil funktionieren und zum Beispiel den Transport heil überstehen.“
Ab 2022 werde das Zulassungsverfahren für die Tests nun „deutlich verschärft“, sagt Nauck, der auch Direktor des Instituts für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin an der Universität Greifswald ist. Die geltende europäische Richtlinie 98/79/EG für In-vitro-Diagnostika wurde bereits überarbeitet. Für die im Mai 2017 in Kraft getretene Version gibt es allerdings eine fünfjährige Übergangsphase. Verändern wird sich etwa die Einschaltung der „Benannten Stellen“. Statt wie derzeit 10 bis 15 Prozent der In-vitro-Diagnostika benötigen demnach künftig geschätzt etwa 85 Prozent die Beteiligung der Prüfinstitutionen.
Vereinheitlichte Kontrolle ab 2022
Für das Paul-Ehrlich-Institut bedeutet die Neuregelung eine „Vereinheitlichung der Kontrolle“. Die Befugnisse der „Benannten Stellen“ gegenüber den Herstellern werden demnach ausgeweitet, künftig könne es beispielsweise unangekündigte Kontrollen geben. Auch die Rückverfolgbarkeit sowie die Einteilung in Risikoklassen würden verbessert und weitaus mehr Produkte der am strengsten kontrollierten Risikoklasse zugerechnet. Und künftig werde weiter kontrolliert, auch wenn die Tests bereits auf dem Markt sind.
„Eine Anhebung der Qualitätsmaßstäbe ist zu begrüßen“, sagt Nauck. In der Rheumatologie etwa soll die Präzision der Tests verbessert werden, indem die Europäische Rheumaliga Unternehmen die Möglichkeit gibt, Tests an dort gelagerten Blutseren prüfen zu lassen, sagt der Münchner Rheumatologe Schulze-Koops. Die Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie baut zudem bundesweit Referenzlabore auf, bei denen Firmen ihre Systeme und Ärzte die Blutseren von Patienten testen lassen können.
Letztlich spiele aber auch der Preisdruck eine Rolle für die Qualität von Bluttests, sagt Nauck: „Labormedizin darf nicht auf eine möglichst billige Erstellung der Werte reduziert werden.“ Erfolge die Entscheidung einer Klinik oder eines Arztes für ein Labor nur aus wirtschaftlichen Gründen, würden die Labors gezwungen, auf billige Testsysteme zurückzugreifen und am Fachpersonal zu sparen. „Aber wenn es weniger kostet, ist oft auch weniger Qualität drin.“ Annett Stein (dpa)