33. Krebskongress in Berlin: Dem Krebs davonlaufen - mit Bewegungstherapie
Mit gezieltem Training lassen sich die Nebenwirkungen von Tumortherapien bekämpfen.
„Wenn ich Turnschuhe auf Rezept verschreiben könnte, würde ich es tun“, sagt Michael Hallek. Denn der Direktor des Centrums für Integrierte Onkologie (CIO) Köln/Bonn weiß, dass Krebspatienten die zellgiftigen Wirkstoffe einer Chemotherapie besser vertragen, wenn sie während der Behandlung ein gezieltes bewegungstherapeutisches Training absolvieren. „Das wirkt so gut, dass es ein Blockbuster würde, wenn es ein Medikament wäre“, sagt Hallek.
Sport verhindert Nebenwirkungen von Chemotherapien
Die Vorträge zu Sport und Bewegung bei Krebs weckten daher großes Interesse auf dem 33. Deutschen Krebskongress, der in der vergangenen Woche rund 10 000 Experten im Berliner CityCube versammelte.
Berichtet wurde etwa von Studien der Universität Freiburg, die belegen, dass es sich lohnt, regelmäßig zweimal in der Woche ein spezielles Übungsprogramm zu durchlaufen, um der gefürchteten Polyneuropathie zu begegnen – einer Nebenwirkung von Chemotherapien, die mit Kribbeln und Schmerzen an Händen und Füßen und einem eingeschränkten Tastsinn einhergeht. Gezielte Übungen zu Balance und Gleichgewicht, aber auch zur Feinmotorik und zur Koordination, können den Schmerzen und Empfindungsstörungen entgegenwirken, sagte der Sportwissenschaftler Freerk Baumann, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Onkologische Bewegungsmedizin am CIO und Gründer der „Nationalen Expertengruppe zu Bewegungstherapie und körperlicher Aktivität in der Onkologie“ der Deutschen Krebsgesellschaft.
Ähnlich gut funktionierte das in anderen Studien selbst bei hochbetagten Patienten. Auch die Therapie auf Vibrationsgeräten hilft offenbar.
Krafttraining lindert Folgen der Brustkrebsbehandlung
Die Studien, die inzwischen vorliegen, sind besonders aussagekräftig, weil in ihnen die Kontrollgruppen ebenfalls sportlich aktiv waren: Alle Studienteilnehmer trainierten nämlich Ausdauer und Kraft. „Das allerdings wirkt nicht auf die Polyneuropathie“, berichtete Baumann. Die Betroffenen brauchen also ein maßgeschneidertes, sportwissenschaftlich fundiertes Zusatzprogramm. Man befinde sich hier schon auf dem Weg in die Präzisionsmedizin, so Baumann. Möglicherweise kann durch ein frühzeitiges Training den Empfindungsstörungen sogar vorgebeugt werden. In einer gemeinsamen Studie von Uniklinik Köln und Deutscher Sporthochschule Köln wird dazu jetzt weiter geforscht – mit Unterstützung der Deutschen Krebshilfe.
Dass ein kombiniertes Kraft- und Ausdauertraining gegen Gelenkschmerzen hilft, die bei Frauen mit Brustkrebs durch die antihormonelle Langzeitbehandlung mit Aromatase-Hemmern entstehen können, hat im Jahr 2016 die Hope-Studie gezeigt. Andere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass selbst Brustkrebspatientinnen, bei denen sich nach der Entfernung von Lymphknoten in einem Arm ein Lymphödem gebildet hat, keine Sorge haben müssen, wenn sie Krafttraining machen. Eine der Untersuchungen legt sogar nahe, dass sich weniger Flüssigkeit staut, wenn die Frauen ihre Arme mit Gewichten trainieren.
„Bewegung ist auch das geeignetste Mittel, um das Fatigue-Syndrom zu reduzieren“, berichtete Baumann. Hinter diesem Begriff verstecken sich starke, für die Betroffenen oft unerklärliche, sehr belastende Erschöpfungszustände während und nach der Behandlung. Bei Fatigue ist es allerdings besonders schwer, sich zum Trainieren aufzuraffen.
Schonen und im Bett bleiben? Kontraproduktiv!
Der wichtigste Motivationsschub kommt den Daten zufolge von den behandelnden Ärzten. Sie sind es, die den Krebspatienten ein Gefühl der Sicherheit vermitteln können und den vermeintlich „guten Ratschlägen“ entgegentreten, im Bett zu bleiben und sich zu schonen. Inzwischen hält das Thema Bewegung auch in die Behandlungsleitlinien Einzug, etwa im Bereich Brustkrebs.
Ein auf den jeweiligen Patienten zugeschnittenes Sportprogramm wirkt sich offenbar nicht nur dann positiv auf den Krankheitsverlauf aus, wenn es während der Chemotherapie, der Reha und danach durchgeführt wird, sondern auch, wenn man schon vor der Behandlung damit beginnt („Prä-Rehabilitation“).
Bislang gehören Patienten der Kölner Uniklinik aber zu den wenigen, die aufgrund der Zusammenarbeit mit der Deutschen Sporthochschule Köln in den Genuss individueller Bewegungstherapien kommen. Standard ist das in deutschen Krebskliniken noch nicht und wird von den Kassen auch meist nicht übernommen. Dabei zeigen mehrere Studien, dass ein „bewegtes“ Leben auch ein längeres Leben ist – zumindest im statistischen Mittel und bei einige Krebsformen: In einer Auswertung von 16 Studien fand sich für Menschen mit Brust- oder Darmkrebs, die in der Woche mindestens zweieinhalb Stunden in körperlich etwas anstrengender Form aktiv waren, eine Verringerung des Sterberisikos um 24 Prozent.
Am wichtigsten aber ist wohl der psychologische Effekt, mit Bewegung dem Schock der Diagnose und den Widrigkeiten der nachfolgenden Behandlung trotzen und Vertrauen in den eigenen Körper und seine Leistungsfähigkeit behalten zu können. „Man spürt, dass man Kraft behalten kann und sie nicht nur verliert“, sagt Hallek.