Weltklimarat zur fortschreitender Erderhitzung: Das Zeitfenster für eine lebenswerte Zukunft trotz Klimakrise schließt sich
Schon jetzt ist die Hälfte der Menschheit durch den Klimawandel „hochgradig gefährdet“, heißt es im neuen IPCC-Bericht. Und die Emissionen steigen weiter.
Der neue Bericht des Weltklimarates könnte kaum deutlicher sein. Bei jeder weiteren Verzögerung werde sich „das Fenster der Gelegenheit schließen, eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern“, heißt es in dem an diesem Montag in Berlin veröffentlichten Bericht. Schon jetzt sei fast die Hälfte der Menschheit durch den Klimawandel „hochgradig gefährdet“.
Der zweite Teil des sogenannten sechsten Sachstandberichts des Weltklimarates (IPCC) seit 1990 fasst zusammen, welche Menschen und Regionen besonders verletzlich sind wie sich die Menschheit an den Klimawandel anpassen kann. Und macht klar: Die Zeit dafür wird knapp.
In Afrika mit seiner jungen Bevölkerung wird der Klimawandel die Zahl der Kinder mit Wachstumsstörungen bis 2050 deutlich erhöhen. 1,4 Millionen junge Menschen südlich der Sahara werden bis dahin in ihren körperlichen und geistigen Fähigkeiten eingeschränkt sein, weil sie wegen des Klimawandels zu wenig zu essen hatten. Damit sinken ihre späteren Lebenschancen. Dies ist eine der bitteren Wahrheiten, die sich nach Lage der Dinge wissenschaftlich abgesichert zu den Folgen des Klimawandels sagen lassen.
Das Beispiel ist aus tausenden Fakten willkürlich herausgepickt, aber typisch. „Afrika hat mit am wenigsten zu den Treibhausgasemissionen beigetragen, aber wichtige Sektoren sind bereits Verlusten und Schäden durch den anthropogenen Klimawandel ausgesetzt“, schreibt der IPCC. Verlust der Artenvielfalt, Wasserknappheit, geringere Nahrungsmittelproduktion, Verlust von Menschenleben und verringertes Wirtschaftswachstum sind die Folgen. Die globalen Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, würde all diese Risiken erheblich reduzieren.
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Für den zweiten Teil des sechsten IPCC-Sachstandsberichts haben die Autorinnen und Autoren wieder Tausende von Fachartikeln gesichtet, die seit dem Vorgängerbericht von 2014 erschienen sind. Wirklich neu können ihre Erkenntnisse deshalb nicht sein. Wertvoll aber ist die Gesamtschau.
Der Bericht stellt mit „hoher Sicherheit“ fest, dass der Klimawandel durch häufigere und intensivere Hitzeextreme, durch Starkregen, Dürren und Brände tiefgreifende Auswirkungen auf Ökosysteme, Menschen, Siedlungen und Infrastruktur hat. Mit hoher Sicherheit sind auch Korallenbleichen und das Absterben von Bäumen in Dürren auf den Klimawandel zurückzuführen.
„Oft treten Wetterextreme gleichzeitig auf und verursachen kaskadierende Auswirkungen, die immer schwieriger zu bewältigen sind“, warnt der IPCC. In der Folge leiden Millionen Menschen unter akuter Ernährungs- und Wasserunsicherheit, insbesondere in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika, auf kleinen Inseln und in der Arktis.
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In den Staaten, die als globale Hotspots für ein hohes Risiko identifiziert wurden, leben 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen, sagte der koordinierende Leitautor für das Kapitel „Armut, Existenzgrundlagen und nachhaltige Entwicklung“, Jörn Birkmann.. Gar nicht verwundbar seien nur etwa halb so viele Menschen.
Die Folge: „In den letzten zehn Jahren sind in den verwundbaren Clustern fünfzehnmal mehr Leute durch Stürme, Hochwasser und Dürren zu Tode gekommen als in den nicht oder geringer verwundbaren“, sagte der koordinierende Leitautor für das Kapitel „Armut, Existenzgrundlagen und nachhaltige Entwicklung“, sagte Birkmann.
Bessere Anpassung durch Gleichheit und Gerechtigkeit
Europa ist im Vergleich dazu gut dran. Zwar bestehen auch hier Risiken. Es sind:
- Höhere Sterblichkeit von Menschen und negative Auswirkungen auf Ökosysteme durch Hitze
- Hitze- und Dürrestress für Nutzpflanzen
- Wassermangel
- Anstieg des Meeresspiegels
Die meisten dieser Risiken würden aber erst bei einer Erwärmung von mehr als zwei Grad schwerwiegender werden. Ab drei Grad würden sie dann auch bei einer hohen Anpassungsleistung erhalten bleiben. Dann könne selbst eine erhöhte Bewässerung die Verluste in der Landwirtschaft nicht mehr ausgleichen, weil es an Wasser fehlen werde. Besonders negativ werde sich der Klimawandel auf Südeuropa auswirken.
Trotz seiner geringeren Betroffenheit hat Europa aber eine hohe Verantwortung: „Als eines der Länder mit dem stärksten kumulativen Beitrag zur Klimakrise müssten wir in Deutschland Klimaschutz viel stärker als Gerechtigkeitsphänomen behandeln“, kommentierte der Umweltpsychologe Gerhard Reese die Ergebnisse des IPCC.
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Gemeint ist, dass Europa 33 Prozent aller historischen Emissionen verursacht hat, Afrika und Südamerika jeweils nur drei. Der Bericht mache klar: „Eine umfassende Reaktion auf die Klimakrise – eine Schaffung resilienter Gesellschaften – gelingt am besten, wenn diese auf Gleichheits- und Gerechtigkeitsprinzipien basiert“, sagte Reese.
Grenzen der Anpassungsfähigkeit zum Teil schon erreicht
Mehr als der Vorläufer beschreibt der Bericht diese Wechselwirkungen zwischen Klima, Ökosystemen und menschlicher Gesellschaft. So könnten Maßnahmen gegen den Klimawandel, die gleichzeitig soziale Ungerechtigkeiten angehen, auch die Wirksamkeit von Anpassung erhöhen. Allerdings warnen die beteiligten Forschenden, dass die Grenzen der Anpassungsfähigkeit zum Teil schon erreicht sind.
Dabei ist die Fähigkeit zur Anpassung so ungleich verteilt wie der Wohlstand auf der Welt. Darum sind zwar auch die Menschen in Europa den Folgen des Klimawandels ausgesetzt, aber eben nicht in gleichem Maße einem Risiko ausgeliefert, erklärte Jörn Birkmann.
Oder andersherum gesagt: „Das, was wirklich arme Regionen leisten müssten, um sicher zu leben, ist prozentual zum Bruttoinlandsprodukt viel höher als in den entwickelten Regionen. Bei uns kostet Anpassung mehr, aber es ist weniger relativ zum Bruttoinlandsprodukt“, sagte Diana Reckien, koordinierende Leitautorin für das Kapitel über Entscheidungsoptionen beim Risikomanagement.
Ihre Schlussfolgerung: „International müssen wir einen höheren Fokus auf Klimafinanzierung legen. Da sind die Ziele noch nicht erreicht.“ Zu den universellen Anpassungsmaßnahmen, die in jedem Land greifen würden, zählt Reckien den Zugang zu Wasser, Verkehrsinfrastruktur und Kommunikation, aber ganz besonders auch Gesundheitsversorgung und soziale Sicherheitsnetzwerke.
Risiken des Klimawandels noch höher als bisher bekannt
Insgesamt sind die Risiken des Klimawandels höher als im Vorgängerbericht beschrieben, sagte der Co-Vorsitzende der Arbeitsgruppe II, Hans-Otto Pörtner: „Die Risikoschwellen werden bei niedrigeren Erwärmungsgraden erreicht, als früher angenommen.“ Das lasse sich aus „präziseren Beobachtungen“ schließen.
Unabdingbar ist deshalb eine Minderung der Emissionen. „Mit schnellem Handeln können die drastische Folgen des Klimawandels noch verhindert werden“, schreibt der IPCC. Schnell genug aber ist die Weltgemeinschaft bisher nicht. Im 1,5-Grad-Bericht des IPCC wird davon ausgegangen, dass die Emissionen ab 2020 steil abfallen, erinnerte Pörtner. Jedoch: „Wir sehen einen moderaten Beginn der Emissionsreduktionen. Das heißt, wir werden eine Lücke generieren.“
Eine Erderwärmung von 1,5 Grad kann deshalb schon „kurzfristig“ erreicht werden, warnt der Bericht. Und schlimmer noch: „Gleichzeitig verlagert sich die Politik mehr und mehr darauf, die natürlichen Ökosysteme in ihre nationalen CO2-Budgets einzurechnen. Diese Ökosysteme sind aber durch die zunehmenden Extreme im Klima und in den Temperaturen bereits negativ betroffen in ihrer Fähigkeit, CO2 aufzunehmen“, sagte Pörtner. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in den borealen Wäldern Russlands und in den Regenwäldern Afrikas und Südamerikas.
Alles in allem schließe sich das Zeitfenster, mit einer klimaresilienten Entwicklung eine sichere Zukunft zu erreichen, warnte Pörtner.
Der dritte und letzte Teil des sechsten Sachstandsberichts kommt nun Anfang April heraus und wird sich mit den Lösungen der Klimakrise befassen. Der erste Teil beschrieb im August die Beobachtungen zum Stand des Klimawandels.