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Puzzlesteine. Verschiedene Schutzfaktoren können Älteren helfen, geistig fit bleiben. Dazu zählt Bildung.
© dpa-tmn

Demenz: Das Risiko sinkt - die Herausforderung bleibt

Laut einer neuen Studie ist das Risiko, an Demenz zu erkranken, um fast ein Viertel gesunken. Und: Dicke erkranken seltener als Dünne.

Demenz ist für viele ein Schreckenswort, geht die Krankheit doch mit kaum behandelbaren Gedächtnisverlust und allgemeinem geistigen Verfall einher. Zudem rechnen Experten damit, dass sich die Zahl der Demenz-Fälle aufgrund der Zunahme alter Menschen bis zum Jahr 2050 weltweit verdreifachen kann. Doch ganz so düster, wie es den Anschein hat, ist die Lage nicht. Denn in den Industrienationen mehren sich die Indizien dafür, dass das Demenzrisiko sinkt. Jüngstes Beispiel ist eine große amerikanische Studie, die den Trend bestätigt.

Kenneth Langa von der Universität Michigan in Ann Arbor und sein Team verglichen zwei repräsentative Stichproben älterer Amerikaner (Durchschnittsalter 75) mit jeweils 10 500 Personen. Die eine Gruppe wurde im Jahr 2000 untersucht und auf ihre geistige Fitness getestet, die zweite 2012. Ergebnis: Im Jahr 2000 waren 11,6 Prozent der Untersuchten dement, 2012 dagegen nur noch 8,8 Prozent, ein Rückgang um fast drei Prozentpunkte, wie die Forscher online im Fachblatt „Jama Internal Medicine“ berichten. Damit ist das Risiko älterer Amerikaner, an Demenz zu erkranken, um fast ein Viertel gesunken.

„Unsere Ergebnisse sind ein weiterer Beleg dafür, dass der Rückgang des Demenzrisikos tatsächlich Realität ist und dass die zukünftige Belastung durch diese Krankheit nicht ganz so schwer ausfallen wird“, sagte der Studienleiter Langa laut einer Pressemitteilung. „Ändert sich die Prognose der künftigen Demenzfälle, kann das große ökonomische Folgen haben.“

Der Grund der Trendwende? Unklar

Warum immer mehr Menschen im Alter geistig fit bleiben, ist nicht völlig geklärt. Demenz ist ein Oberbegriff für eine Reihe von Leiden. Häufigste Ursache ist die Alzheimer-Krankheit, bei der es zu Eiweißablagerungen im Gehirn kommt. An zweiter Stelle stehen Durchblutungsstörungen durch Gefäßverkalkung, die zum Absterben von Nervenzellen führen. Bei vielen Patienten finden sich Spuren beider Krankheiten.

Es könnte sein, dass die bessere Vorbeugung und Behandlung von Gefäßleiden auch die Häufigkeit gefäßbedingter Demenzen verringert, nach dem Motto „Was gut fürs Herz ist, ist auch gut fürs Hirn“. Deutliche Anhaltspunkte dafür haben die Wissenschaftler jedoch nicht gefunden.

Ein anderer Schutzfaktor kann bessere Bildung sein. Der Jahrgang 2012 verbrachte im Mittel 13 Jahre im amerikanischen Bildungssystem, der Jahrgang 2000 nur zwölf. „Anscheinend ist die Ausbildung wichtig, wenn es darum geht, Demenz vorzubeugen“, sagte Langa. „Sie hilft, die ,kognitive Reserve’ aufzubauen – also die Fähigkeit, auch im Alter noch geistig beweglich zu sein.“

Allerdings seien die Zusammenhänge zwischen Bildungsniveau, Gehirnbiologie und intellektueller Regsamkeit kompliziert, schränken die Wissenschaftler ein. Es sei auch denkbar, dass die Art, wie Menschen lebenslang mental gefordert werden – etwa durch den Beruf und seine Dauer, soziale Kontakte und Lesen – , ihnen helfe, ein geistiges Kapital aufzubauen und der Demenz zu widerstehen.

Übergewichtige erkranken seltener

Auf den ersten Blick paradox erscheint ein weiterer Befund der Studie. Es stellte sich heraus, dass Übergewichtige und stärker Beleibte (Adipöse) ein geringeres Risiko hatten, dement zu werden, als Unter- oder Normalgewichtige. Dieser Sachverhalt fand sich auch schon in früheren Untersuchungen.

Während Fettsucht in mittleren Jahren das spätere Demenzrisiko erhöhen kann, sind ein paar Pfunde mehr im Alter tendenziell mit einem fixeren Verstand und anderen gesundheitlichen Vorteilen verknüpft, schreiben die Forscher.

Das Phänomen, bekannt als Adipositas(Fettsucht)-Paradox, wurde als Messfehler abgetan und ist umstritten, wird jedoch mehr und mehr anerkannt. Es tritt nicht nur bei Demenz auf, sondern auch bei Herz- und Nierenleiden und womöglich sogar bei Krebs. Die Ursache für das mitunter bessere Abschneiden der „Pfundigen“ im Alter ist ungeklärt.

Anfang des Jahres hatte bereits eine andere US-Untersuchung Aufsehen erregt. In der Framingham-Langzeit-Studie stellte sich heraus, dass neue Fälle von Demenz bei Älteren zwischen 1977 und 2008 jedes Jahrzehnt um 20 Prozent zurückgingen. Und in England verringerten sich zwischen 1991 und 2011 die Zahl der erwarteten Fälle um 24 Prozent, was immerhin 200 000 weniger Demenzpatienten bedeutete. Ähnliche Studien liegen aus den Niederlanden, Dänemark, Spanien und Schweden vor.

In Deutschland gibt es keine vergleichbare Untersuchung, doch dürfte es eher unwahrscheinlich sein, dass die Bundesrepublik die Ausnahme von der Regel darstellt. Dennoch tun sich Experten hierzulande schwer damit, die wissenschaftlichen Erkenntnisse ihrer internationalen Kollegen ernstzunehmen. In einem vor kurzem veröffentlichten Papier der Deutschen Alzheimer-Gesellschaft wird der Rückgang des Demenz-Risikos bezweifelt. Es gebe „erste Hinweise“ auf ein „möglicherweise abnehmendes Krankheitsrisiko“, doch seien die „Studienresultate noch widersprüchlich“, der Rückgang könne „nicht als gesichert gelten“.

Dementsprechend bleibt die Alzheimer-Gesellschaft bei ihrer pessimistischen Vorhersage, nach der sich die Zahl der Kranken bis zum Jahr 2050 auf rund drei Millionen verdoppelt. So schlimm wird es vermutlich nicht kommen. Doch es ist unstrittig, dass Demenz-Erkrankungen trotz der erfreulichen Risikosenkung weiter deutlich zunehmen werden. Ganz einfach, weil die Zahl der Älteren wächst.

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