Alzheimer: Demenz-Risiko offenbar überschätzt
Eine Langzeitstudie aus den USA bestätigt, dass der Trend rückläufig ist. Eine mögliche Ursache ist die bessere Vorbeugung von Gefäßleiden.
Geistiger Verfall, Demenz, ist gefürchtet. Hochrechnungen sagen angesichts einer wachsenden und älter werdenden Weltbevölkerung einen rapiden Anstieg der Fälle voraus. Auch deshalb, weil mit der größeren Lebenserwartung das Demenzrisiko zunimmt: Ältere erkranken öfter. Doch gleichzeitig mehren sich die Hinweise, dass die Häufigkeit der Demenzen in den Industrienationen schwindet und damit das Risiko des Einzelnen, dement zu werden. Das bislang eindrucksvollste Beispiel dafür liefert nun eine neue Auswertung der Framingham-Herz-Studie, einer seit 1948 laufenden Langzeituntersuchung der Bürger der Stadt Framingham an der amerikanischen Ostküste.
Die Analyse umfasste 5205 Teilnehmer im Alter von 60 bis 101 Jahren. Berechnet wurde das Demenz-Risiko in vier Zeitabschnitten (Epochen): In den Jahren 1977 bis 1983, 1986 bis 1991, 1992 bis 1998 und 2004 bis 2008. Aufgrund von Überschneidungen waren pro Epoche mehr als 2000 Teilnehmer vertreten. Wie die Wissenschaftler um die Neurologin Sudha Seshadri von der Universität Boston im Fachblatt „New England Journal of Medicine“ berichten, ging die Häufigkeit von Demenz-Neuerkrankungen (Inzidenz) seit 1997 in jedem Jahrzehnt um 20 Prozent zurück.
Wie kommt es zu dem Rückgang?
In der ersten Epoche erkrankten 3,6 von 100 Teilnehmern an Demenz, in der zweiten 2,8, in der dritten 2,2 und in der vierten nur noch zwei. Damit sank im Vergleich zur ersten Epoche die Demenz in der zweiten Epoche um 22 Prozent, in der dritten um 38 und in der vierten um 44 Prozent. Dieser positive Trend wurde nur bei jenen Personen beobachtet, die mindestens einen Highschool-Abschluss hatten (etwa 80 Prozent). Die Diagnose einer Demenz verschob sich zwischen 1977 und 2008 im Mittel um fünf Jahre „nach hinten“.
Wie erklärt sich die positive Entwicklung? Die Forscher ziehen als mögliche Ursache das gestiegene Bildungsniveau und den Rückgang von Risikofaktoren für Herz- und Gefäßleiden heran, etwa hohen Blutdruck und überhöhte Cholesterinwerte. Lediglich Fettsucht und Zuckerkrankheit nahmen über die Jahre zu. Rückläufig waren zudem die Häufigkeit von Schlaganfällen und anderen Herz- und Gefäßleiden. Auch dieser Trend zeigte sich nur bei jenen, die mindestens eine Highschool-Abschluss hatten.
Es ist denkbar, dass eine frühere Erkennung und bessere Behandlung von Gefäßleiden das Demenzrisiko gesenkt hat. Dafür spricht auch, das vor allem die Häufigkeit von gefäßbedingter Demenz („Verkalkung“) rückläufig war, während der Rückgang der durch Eiweißablagerungen gekennzeichneten Alzheimer-Demenz weniger ausgeprägt war.
Weniger Eiweißablagerungen im Gehirn
Allerdings reicht diese Erklärung nicht aus. Die Wissenschaftler vermuten, dass weitere Ursachen im Spiel sind. So verweisen sie auf Obduktionsergebnisse aus der Schweiz. Bei denen zeigte sich, dass die Alzheimer-typischen Eiweißablagerungen im Gehirn von über 65-Jährigen im Zeitraum von 1972 bis 2006 weniger geworden waren. Die Menschen in den westlichen Industrienationen altern also gesünder. Noch kennt man die genauen Ursachen dafür nicht.
Die Forscher hoffen, dass bessere Vorbeugung und Behandlung von Herz- und Gefäßleiden, von Schlaganfällen und von entsprechenden Risikofaktoren helfen werden, die Belastung durch Demenz in den kommenden Jahren zu verringern. Dennoch werde die absolute Zahl der Demenz-Patienten weiter zunehmen. Auch deshalb, weil nun die Babyboomer in die Jahre kommen. Aber ganz so düster wie von manchen erwartet ist die Zukunft vermutlich nicht. Die Prognose für Deutschland, nach der sich die Zahl der Demenzen bis 2050 mindestens verdoppelt, muss womöglich revidiert werden – nach unten.