Diskussion um Aussetzen der Abiturprüfungen: „Das kommt viel zu spät, wir sind mitten in den Vorbereitungen“
Der GEW-Vorstoß, Abiprüfungen wegen durch Corona erschwerter Bedingungen ausfallen zu lassen, findet keine Unterstützung - auch nicht bei Berlins Abiturienten.
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, Heinz-Peter Meidinger, spricht sich dezidiert dagegen aus, die Abiturprüfungen zu verschieben. Bereits im vergangenen Jahr seien die Prüfungen trotz Corona zu Recht "durchgezogen" worden. "Es hat sich gezeigt, dass sichere Prüfungen mit hohem Gesundheitsschutz durchführbar sind", sagte Meidinger dem Tagesspiegel am Montag.
In diesem Jahr könne man zusätzlich noch mit Schnelltests arbeiten, um die Ansteckungsgefahr für alle Beteiligten zu minimieren. Darüber hinaus seien die Prüfungsergebnisse trotz der pandemiebedingten Belastungssituation "ganz so wie bisher beziehungsweise eher leicht besser" ausgefallen, argumentiert Meidinger.
Wegen der Pandemie die Abiturprüfungen 2021 notfalls auszusetzen, hat die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) am Montag gefordert. "Sollte das Infektionsgeschehen so dramatisch ansteigen, wie die dritte Welle in anderen europäischen Nachbarstaaten befürchten lässt, müssen die Länder flexibel reagieren und von Prüfungen absehen", sagte GEW-Chefin Marlis Tepe dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Alternativ könnten die Leistungen aus dem Unterricht zur Grundlage der Notengebung gemacht werden. Sollten Prüfungen pandemiebedingt ausfallen, müssten die Abiture trotzdem von den Bundesländern gegenseitig anerkannt werden, forderte Tepe.
Berlins GEW-Chef Tom Erdmann erklärte auf Anfrage, er habe diesen Vorstoß im Bundesvorstand eingebracht. "Ich halte es für pädagogisch fragwürdig, die wenigen Öffnungsmöglichkeiten, die Schulen haben, für Prüfungen statt für Lernangebote zu nutzen", erklärt Erdmann. Wichtig wäre jetzt aber "eine Einigung hierzu auf KMK-Ebene".
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Die Kultusministerkonferenz will sich zur Frage des Corona-Abiturs, aber auch des Offenhaltens von Schulen am Donnerstag treffen. Unterdessen betonte bereits die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), Britta Ernst (SPD), dass keinem Jugendlichen durch die Umsetzung der Abiturprüfung Nachteile entstehen sollten.
"Alle arbeiten mit Hochdruck an sicheren Bedingungen für die Durchführung der Prüfungen“, sagte sie den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Die KMK habe für das Abitur 2021 einen Rahmen verabredet, der die Vergleichbarkeit sicherstelle, aber Spielräume schaffe, um auf die Einschränkungen der Pandemie Rücksicht zu nehmen und der in den Ländern umgesetzt werde.
Die Abiturprüfungen ausfallen zu lassen, komme für die allermeisten Abiturient:innen in Berlin sicher nicht infrage, sagt Felix Koeppe, Bezirksschüler*innensprecher in Tempelhof-Schöneberg. "Das kommt viel zu spät, die schriftlichen Prüfungen beginnen ja schon in zweieinhalb Wochen, wir sind mitten in den Vorbereitungen."
Berlins Abiturienten sind für Nachteilsausgleich
Die jüngste Umfrage der Initiative Bildungsgerechtigkeit 2021 unter Berliner Abiturient:innen habe ergeben, dass 81 Prozent einen Nachteilsausgleich bei den Prüfungen befürworten. Zum einen sei früh gesehen worden, dass eine Kampagne wie vor einem Jahr, das Abitur zu stoppen, wenig aussichtsreich wäre. Zum anderen sei das Abitur mit der zeitlichen Verschiebung, der größeren Themenauswahl für Lehrkräfte und Schüler:innen und den Wegfall der Zweitkorrektur für die allermeisten wohl auch machbar.
"Was es in diesem Jahr trotzdem schwierig macht, ist die wachsende soziale Diskrepanz", sagt der 17-Jährige, der am Paul-Natorp-Gymnasium in Friedenau in den Abiturvorbereitungen steckt. Benachteiligte Schüler:innen lägen wegen des seit einem Jahr anhaltenden Unterrichtsausfalls im Stoff weiter zurück.
Felix Koeppe persönlich hofft, "schriftlich in einigen Fächern noch meinen Schnitt zu verbessern". Insgesamt habe sich in der Schülerschaft die Angst vor der Ansteckungsgefahr bei Präsenzprüfungen verringert – auch wegen der nun verfügbaren Schnelltests.
Auch Heinz-Peter Meidinger kann den Vorstoß der GEW nicht nachvollziehen: "Mich ärgert der Zeitpunkt der Diskussion, die nämlich gerade in einer Phase der finalen Prüfungsvorbereitung zu einer erneuten erheblichen Verunsicherung unter den Prüflingen führen wird." Die Bundesländer hätten ja auch bereits reagiert und die Abiprüfungen vielfach verschoben, teilweise weit in den Mai hinein.
Gegen eine Ersetzung der Prüfungen durch bisherige Noten spricht Meidinger zufolge zudem, dass die Abiturprüfungen in Rheinland-Pfalz bereits abgeschlossen und in Schleswig-Holstein angelaufen sind. In Berlin sollen die schriftlichen Prüfungen am 21. April beginnen.
Abiturnoten nach Vorleistungen würden die Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern und auch zu bisherigen Jahrgängen massiv zusätzlich erschweren, warnt Meidinger.
Scheeres will ein bundesweit anerkanntes Abitur
"Die Vornoten sind in einigen Bundesländern erheblich besser als die späteren Abiturprüfungsergebnisse, was erhebliche Verzerrungen zur Folge hätte." Im Nachteil wären auch die diesjährigen Abiturienten, sie würden als "Coronajahrgang" negativ abgestempelt. Zudem würden die Universitäten wegen fehlender Vergleichbarkeit Probleme bei der Studienzulassung bekommen.
[Im Januar hatte Meidinger dafür plädiert, dass Schüler:innen wegen Corona ein Schuljahr ein Schuljahr ohne weitere Nachteile wiederholen können sollten]
Auch Berlins Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) wandte sich entschieden gegen eine Streichung der Abiturprüfungen in der Corona-Pandemie. „Unsere Berliner Abiturientinnen und Abiturienten haben noch eine Woche Unterricht, danach greifen bei den Abiturprüfungen die Anpassungen und Erleichterungen, die wir bereits beschlossen haben.“ Junge Menschen wollten ein Abitur, "das in ganz Deutschland und im Ausland anerkannt wird".
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hatte sie sich Ende April dafür ausgesprochen, die Abiturnoten nachträglich anzuheben - falls die Noten in diesem Jahr wegen der Pandemie schlechter ausfallen sollten.
Mit dem Ende der Osterferien in dieser und in der kommenden Woche stellt sich erneut auch die Frage, ob die Schulen trotz vielerorts hoher Inzidenzzahlen offengehalten werden können. Karliczek sagte der Deutschen Presseagentur dazu: "Es wird überall eine Gratwanderung sein und sehr vom regionalen Infektionsverlauf gerade auch unter den Kindern und Jugendlichen abhängen."
Die Bundesbildungsministerin rechnet mit "noch einmal ganz schwierigen Wochen, in denen ein Präsenzunterricht leider immer wieder am seidenen Faden hängen wird". Sie sprach sich für Wechselunterricht "mit einem guten Test- und Hygienekonzept" bei Inzidenzen bis 100 aus. Nach Ostern müssten Schüler zwei Mal pro Woche getestet werden. In einigen Bundesländern sind bereits entsprechende Testpflichten geplant. (mit sve/dpa)
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