zum Hauptinhalt
Eine Schülerin sitzt im Rollstuhl an einem Tisch im Klassenzimmer.
© dpa

Grundschulpreis für FU-Forscher Ramseger: Das Dilemma der Integration

Der Berliner Grundschulforscher Jörg Ramseger, der jetzt mit dem Grundschulpreis geehrt wurde, warnt vor einer Krise der öffentlichen Schulen. Eltern der "Generation Y" wichen zunehmend auf Privatschulen aus. Auch die Inklusion führe zu Verwerfungen.

Der Siegeszug der freien Schulen könnte zu einer Gefahr für das öffentliche Schulwesen werden. „Der gesellschaftliche Konsens über die Erziehung als öffentliche Aufgabe zerbricht gerade“, lautet die düstere Diagnose des FU-Grundschulforschers Jörg Ramseger. Die staatlichen Schulen seien nicht mehr attraktiv genug, um den Ansprüchen der „Generation Y“, also der um 1980 herum geborenen Eltern, gerecht zu werden. Marode und schlecht gereinigte Schulgebäude seien daran Schuld, aber auch die Tatsache, dass „Multikulturalität eher als Bedrohung denn als Bereicherung erlebt“ werde, sagte Ramseger jetzt anlässlich der Verleihung des Grundschulpreises in Göttingen.

Ramseger bezog sich bei seiner Mahnung auf die große Zunahme an privaten Schulplätzen. Ihr Anteil sei seit 1992 um über 30 Prozent gestiegen und liege jetzt bei rund zehn Prozent, in etlichen Städten teilweise noch erheblich darüber. Als einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma nannte er den Modellversuch an der Weddinger Gustav-Falke-Schule, der es mit ihren „Deutsch-Garantie-Klassen“ gelungen sei, auch bildungsbürgerliche Eltern zu überzeugen. Allerdings zahlten die Schulen dafür den „Preis der Erpressbarkeit“: Eltern könnten jederzeit mit dem Abzug ihrer Kinder drohen, wenn sie mit Einzelentscheidungen der Schulen nicht einverstanden seien.

Immer häufiger lautet die Diagnose: "nicht beschulbar"

Aber noch eine weitere Sorge treibt Ramseger um: die vor einem Misslingen der Inklusion durch eine überhastete Abschaffung von Sonderschulen. Zudem beobachtet er eine Tendenz der allgemeinbildenden Schulen, sich die „leichten Fälle“ herauszupicken, um die Inklusionsquote zu erfüllen. Dies führe dazu, dass sich an den Sonderschulen die schwierigen Fälle häuften. Zudem berichtete Ramseger dem Auditorium in Göttingen davon, dass allgemeinbildende Schulen Kinder „immer öfter für nicht beschulbar“ erklären. Diese Kinder würden dann „ein paar Stunden Hausunterricht erhalten“, weil das Gesetz eine Schulpflicht vorsieht, „sind aber ansonsten aus dem Schulsystem völlig herausgefallen“.

Ramseger riet früh davon ab, JüL verpflichtend einzuführen

Ramseger wird von vielen Lehrern insbesondere dafür geschätzt, dass er engen Kontakt zur Schulrealität hält – nicht zuletzt durch eine Vielzahl von Schulversuchen, die er verantwortete. Es freue sie „unendlich“, dass Ramseger diesen renommierten Preis erhalten habe, sagte die langjährige Leiterin der preisgekrönten Weddinger Erika-Mann-Schule, Karin Babbe, am Montag.

Der 63-jährige Erziehungswissenschaftler hatte unter anderem die Berliner Grundschulreform auch den Modellversuch „Jahrgangsübergreifendes Lernen“ (JüL) wissenschaftlich begleitet. Dabei hatte er davon abgeraten, diese Unterrichtsform verpflichtend vorzuschreiben, was die Politik aber nicht beachtete. Aufgrund der Gegenwehr hatte sich die SPD-geführte Bildungsverwaltung Jahre später dazu gezwungen gesehen, JüL nur auf freiwilliger Basis umsetzen zu lassen.

Ramseger gab der Politik in seiner Preisrede aber auch einen neuen Impuls mit: Angesichts der guten Ergebnisse in anderen Ländern müsse man darüber nachdenken, dass deutsche Klassenlehrerprinzip infrage zu stellen und auch in den Grundschulen verstärkt Fachlehrer einzusetzen.

Zur Startseite