Wiarda will's wissen: Das Bafög automatisch anpassen
Bundesbildungsministerin Anja Karliczek verdient Lob für ihre Pläne zur Bafög-Reform, meint unser Kolumnist. Doch an einem Punkt war sie zu zaghaft.
Anja Karliczek will eine Milliarde Euro mehr fürs Bafög ausgeben, und fast alle schimpfen. „Unter der Armutsgrenze“, finden die Linken. Die Ministerin „dreht die falschen Schrauben“, meint die FDP. Die Grünen reden von einem „Heftpflaster“ statt einer Trendwende. Immerhin, das Deutsche Studentenwerk sagt: „Die Richtung stimmt“, aber es sei fraglich, ob die Erhöhung reicht.
Die „richtigen Schrauben“, die „Trendwende“ wäre laut FDP und Grünen der Einstieg in eine elternunabhängige Förderung. Mit dem Ergebnis, dass alle Studierenden einen Grundbetrag bekämen, egal, was ihre Eltern verdienen. Auf den zweiten Blick unterscheiden sich die Vorschläge der beiden Oppositionsparteien allerdings. Die Grünen wollen auf den Grundbetrag eine „Bedarfsförderung als Vollzuschuss für die Bedürftigen“ draufsetzen. Die Liberalen wollen eine andere zweite Säule: ein Darlehensangebot.
Grundstruktur des Bafög bleibt so, wie sie ist
Das mit der Unterstützung für alle klingt erst einmal gut. Populär. Aber wäre es wirklich fair, wenn dadurch auch reiche Familien entlastet würden? Absehbar bliebe dann weniger für jene, die es wirklich nötig haben.
Nein, es ist gut, dass sich das Bundesforschungsministerium laut seinem vergangene Woche vorgelegten Eckpunktepapier nicht auf solche Experimente einlassen möchte. Dass das Bafög in seiner Grundstruktur erstmal bleibt, wie es ist. Aber mit höheren Fördersätzen und Einkommensfreibeträgen. Und, noch wichtiger, einem um 30 Prozent höheren Wohnkostenzuschlag.
Und Ministerin Karliczek verdient gleich noch einmal Lob: Wer 20 Jahre lang nicht genug verdient hat oder sechseinhalb Jahre lang nur niedrige Raten zurückzahlen konnte, soll ihrem Plan zufolge künftig die Restschuld erlassen bekommen. Die Botschaft an alle, die ein Bafög-Darlehen brauchen, würde dann also lauten: Habt keine Angst, den Rest eures Lebens mit Schulden herumzulaufen.
Tatsächlich war das schon bislang für die allermeisten eine ziemlich irreale Furcht. Insofern dürfte seine neue Großzügigkeit den Bund nicht sonderlich teuer zu stehen kommen. Aber das Signal ist ungeheuer wichtig. Und es kommt spät: Andere Länder kennen solche Rückzahlungsregeln längst.
Automatische jährliche Anpassung würde Vertrauen schaffen
An entscheidender Stelle fehlt Karliczek dann aber doch der Mut. Es bleibt beim bisherigen Muster von einer Erhöhung alle paar Jahre nach Kassenlage, wodurch die Zahl der Geförderten nach jeder Reform erst steigt und dann wieder (wie zuletzt) tief in den Keller rutscht. Genau wie die von der Inflation angeknabberten Bedarfssätze. Mehr Vertrauen ins Bafög schafft man so nicht. Eine automatische jährliche Anpassung an die Lebenshaltungskosten ist überfällig. Auch wenn Finanzminister so etwas nicht mögen.
Aber das Eckpunktepapier ist noch nicht das Gesetz. Das soll erst Mitte nächsten Jahres kommen. Automatische Erhöhungen wären die wirklich benötigte Trendwende.
Wobei, der Begriff zeigt es, dies mittelfristig nur der Einstieg sein kann. Die Grünen fordern eine Reformkommission, die bis 2020 eine grundlegende Überarbeitung der Studienförderung liefern soll. Ein Vorschlag, den die Bundesforschungsministerin aufgreifen sollte.
Was dem Bafög fehlt, ist auch Werbung in Schulen
Ansätze und Ideen gibt es auch jenseits der elternunabhängigen Förderung viele. Sie mögen weniger plakativ und dafür detailreicher sein, aber womöglich auch bedenkenswerter. So lohnt zum Beispiel der Blick in den „11-Punkte-Plan zur Reform des Bafög“, den Achim Meyer auf der Heyde, Generalsekretär des Studentenwerks, und der Bildungsforscher Dieter Dohmen im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung aufgestellt haben. Nachdem Karliczeks Ministerium unerwartet früh sein Eckpunktepapier präsentierte, warf auch die Stiftung ihren alten Zeitplan über Bord und veröffentlichte den Plan fast überstürzt (zur Studie geht es hier).
Die wichtigste Empfehlung darin ist eine, die noch nicht einmal viel kosten würde: deutlich mehr Werbung fürs Bafög und eine „klare Kommunikationsstrategie“. In der Tat: Forscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und dem Wissenschaftszentrum Berlin haben vor einer Weile 27 Schulen in Berlin besucht und Oberstufenschülern vom Bafög und von Studienkrediten erzählt. Sie haben ihnen Statistiken gezeigt, denen zufolge Hochschulabsolventen seltener arbeitslos werden und im Schnitt mehr verdienen. Das Ergebnis: Schon dieser kurze Vortrag reichte, um die Studienabsicht unter Nicht-Akademikerkindern um mehrere Prozent ansteigen zu lassen.
Der Autor ist Journalist für Bildung und lebt in Berlin. Auf seinem Blog www.jmwiarda.de kommentiert er aktuelle Ereignisse in Schulen und Hochschulen.