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Kinderwunschbehandlung
© picture alliance / dpa

Genomchirurgie: Darf man das Erbgut menschlicher Embryonen verändern?

Eine britische Forscherin möchte bei menschlichen Embryonen Gene einfügen oder herausschneiden - mit guten Gründen. Doch sie prescht vor und sendet damit eine folgenschwere Botschaft: Uns kümmert nicht, was der Rest der Welt denkt. Ein Kommentar.

Kathy Niakan möchte das Erbgut menschlicher Embryonen verändern. So steht es in ihrem Antrag bei der britischen Regulierungsbehörde HFEA (Human Fertilisation and Embryology Authority). Sollte er genehmigt werden?

Dem Anliegen nur ein empörtes „Nein“ entgegenzuschmettern, greift zu kurz. Niakan erforscht am Francis-Crick-Institut in London die allerersten Stadien menschlicher Entwicklung. Wird eine Eizelle befruchtet, bildet sich in den folgenden Tagen eine Hülle um den Embryo. Sie ist lebenswichtig, denn wenn dieses embryonale Gewebe in die Schleimhaut der Gebärmutter einwächst, entsteht die Plazenta. Niakan will wissen, welche Gene dafür wichtig sind, und deshalb einzelne Erbgutabschnitte mit chirurgischer Präzision herausschneiden oder einfügen. Sie will Embryonen verwenden, die bei der künstlichen Befruchtung übrig geblieben sind und der Forschung gespendet wurden. Kein Embryo mit verändertem Erbgut soll in eine Gebärmutter eingesetzt werden. Nach britischem Recht müssen sie nach 14 Tagen zerstört werden. Es geht um reine Grundlagenforschung. Forschung, die vielleicht erklären kann, warum manche Frauen immer wieder eine Fehlgeburt erleiden und ihnen keine Kinderwunschbehandlung helfen kann.

Niakan hat also gute Gründe für ihr Anliegen. Trotzdem kommt es zur Unzeit. Denn sie ignoriert eine Grundsatzdebatte, die Forscher derzeit über Veränderungen im menschlichen Erbgut mithilfe genchirurgischer Werkzeuge wie „Crispr-Cas9“ führen.

Zu früh für Gedankenspiele, Embryonen von Erbkrankheiten zu heilen

Als chinesische Wissenschaftler im April berichteten, dass sie das Erbgut von Embryonen verändert hatten, gab es einen Aufschrei angesichts dieses Dammbruchs. Zwar hatte das Team von der Sun-Yat-sen-Universität in Guangdong 86 nicht entwicklungsfähige Embryonen verwendet, ein Austragen war unmöglich. Doch das hielten viele für einen Schachzug, um Kritik aus dem Westen abzuwehren. Die mögliche klinische Anwendung war offensichtlich: Die Forscher wollten ein schadhaftes Gen reparieren, das zu der Blutkrankheit Thalassämie führt.

Ihre Ergebnisse zeigten deutlich, dass es viel zu früh für Gedankenspiele ist, Embryonen von einer Erbkrankheit zu „heilen“. Nur vier Mal glückte ihr Experiment, bei 28 Embryonen fanden sie nach der Genchirurgie unbeabsichtigte Veränderungen. Trotzdem steht seitdem die Sorge im Raum, wann der nächste Schritt folgt. Anders als in Großbritannien gibt es in China kein Gesetz, das die Forscher davon abhalten würde, keine zentrale Behörde, die das Vorhaben prüft. Ähnlich ist es in anderen Ländern.

Wir brauchen ein Moratorium, forderten deshalb im Frühjahr internationale Forscher. Wir müssen – gemeinsam mit der Gesellschaft – Richtlinien erarbeiten, an die sich alle halten sollten! In den USA und in Großbritannien begannen Ethikkommissionen umgehend damit, Stellungnahmen zu erarbeiten. Nun haben die Chinesische Akademie der Wissenschaften, die britische Royal Society und die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA zu einem Gipfel zum „Human Gene Editing“ Anfang Dezember nach Washington eingeladen. Die Liste der Organisatoren liest sich wie ein „Who’s who“ der Genforscher. Diskussionen, die dort angestoßen werden, könnten Strahlkraft entwickeln – über nationale Gesetzgebungen und Befindlichkeiten hinaus.

Das Vorpreschen sendet eine folgenschwere Botschaft

Leicht wird das nicht. Die Werkzeuge der Genchirurgie werden in unzähligen Laboren weltweit verwendet, für ganz verschiedene Zwecke. Niemand will sie verteufeln, ihre Erfinder gelten als Kandidaten für einen Nobelpreis. Crispr und Co. haben enormes Potenzial in der Medizin – etwa, um eine Gentherapie gegen HIV zu entwickeln oder neue Ansätze gegen Krebs. Daher fördert das deutsche Bundesforschungsministerium ein Projekt zur Bewertung der Genchirurgie beim Menschen. Es sei dringend nötig, das Werkzeug von der Anwendung, Grundlagenforschung von der Klinik sowie Therapieversuche an Erwachsenen von denen an Embryonen und Keimzellen zu unterscheiden, betonten kürzlich britische Forschungsorganisationen. Sie wollen eine offene, rationale Debatte.

In all diese vorsichtigen Bemühungen platzt Niakans Antrag. Man kann nur hoffen, dass die HFEA ihn auf Eis legt. Denn ihr Vorpreschen sendet eine folgenschwere Botschaft: „Für uns gilt nur, was die HFEA sagt, der Rest der Welt kümmert uns nicht.“

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